Gelsenkirchen. Nach 26 Jahren im Aufsichtsrat des FC Schalke 04 tritt Clemens Tönnies zurück. Seine Gründe, die Folgen, sein Nachfolger - hier ist die Analyse.

Clemens Tönnies hat oft erzählt, wie seine Zeit auf Schalke einst begann: Am Sterbebett seines vier Jahre älteren Bruders Bernd. Der habe ihm kurz vor seinem Tod am 1. Juli 1994 mit auf den Weg gegeben: „Kümmere dich um Schalke.“ Bernd Tönnies war damals der Präsident von Schalke 04. Er war erst am 7. Februar 1994 ins Amt gekommen und starb keine fünf Monate später an den Folgen einer Nierentransplantation. Bernd Tönnies wurde nur 42 Jahre alt.

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Wenn man Clemens Tönnies (64) in all den Jahren begleitet hat, dann kann man es sich heute kaum noch vorstellen, dass er eigentlich als zweiter Mann, als Nachfolger seines verstorbenen Bruders, nach Schalke gekommen ist. Clemens Tönnies ist ein Mann für die erste Reihe, er stand immer im Blickpunkt. Auch zum Schluss, als er mehr polarisiert hat als alles andere und sich die Zahl seiner Gegner häufte. Sein Abgang am Dienstag, als er von seinem Amt als Aufsichtsratsvorsitzender von Schalke 04 zurücktrat, kam einem großen Knall gleich. Der zweite Rücktritt auf Schalke binnen dreieinhalb Wochen, nachdem Anfang Juni erst Finanzvorstand Peter Peters sein Amt niedergelegt hatte.

Schalke: Tönnies kommt Debatte zuvor

Tönnies begründete seinen Rückzug nicht mit der Situation auf Schalke. In seinem Rücktrittsschreiben, das dieser Redaktion vorliegt, teilte er mit: „Meine Aufgabe ist es, mich aktuell voll und ganz auf mein Unternehmen zu konzentrieren, es erfolgreich durch die schwerste Krise seiner Geschichte zu führen.“ Nach einem Corona-Ausbruch in seinem Fleisch-Imperium in Rheda-Wiedenbrück steht Tönnies schwer in der Kritik – die auch auf Schalke durchschlug, weil der Name Tönnies mit den Königsblauen aufs Engste verbunden ist. Zuletzt hatten viele Fans seinen Rücktritt gefordert. Am Dienstag hatte sich der Schalker Aufsichtsrat zu einer virtuellen Sitzung zusammengeschaltet. Mit seinem Rücktrittsschreiben, gerichtet an Ehrenrat, Aufsichtsrat und Vorstand, war Tönnies einer möglichen Debatte über seine Person auch in den Gremien zuvorgekommen.

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Es war wohl an der Zeit – Schalkes verbliebene Vorstände Alexander Jobst und Jochen Schneider äußerten in einer gemeinsamen Stellungnahme ihren „höchsten Respekt“ und erklärten: „Clemens Tönnies stand für uns im Vorstand jederzeit als wertvoller Ratgeber und Ansprechpartner zur Verfügung. Wir wissen, wie schwer ihm diese Entscheidung gefallen ist.“ Der Aufsichtsrat ging einen Schritt weiter. „Wir als Aufsichtsrat bedauern die Entscheidung von Clemens Tönnies sehr“, erklärte Jens Buchta (57), als bisheriger Stellvertreter ein enger Vertrauter von „CT“. Tönnies werde „schwer zu ersetzen sein“. Buchta, ein Rechtsanwalt, ist nun sein Nachfolger an der Spitze des Gremiums, er wurde am Dienstag einstimmig gewählt.

Mit seinem Rückzug nimmt Tönnies Schalke ohne Zweifel ein Stück weit aus der Schusslinie: Die Kritik, nicht nur in Fan-Kreisen, sondern auch in der breiten Öffentlichkeit, hatte sich in der Vergangenheit mehr und mehr auf den großen Patron zugespitzt, der seine Rolle als Schalke-Boss gerne auslebte. Auch das glückliche Händchen bei Personalentscheidungen ist ihm mehr und mehr abhanden gekommen. Andererseits hinterlässt Tönnies aber auch ein großes Vakuum: Seine Kontakte ermöglichten Schalke viele Vorteile – nicht zuletzt den Vertrag mit Hauptsponsor Gazprom, der den klammen Knappen auch in diesen Zeiten 20 Millionen Euro pro Jahr garantiert. Auch der schwerreiche Tönnies selbst half in der Vergangenheit, wenn es auf Schalke eng wurde, immer wieder mal mit Krediten aus, die er sich aber marktüblich verzinsen ließ. Ein Geschäftsmann mit Schalke-Herz, ganz ohne Zweifel.

Enger Draht zu Schalke-Vorstand Jobst

Seine mitunter hemdsärmelige und direkte Art, auch daran besteht kein Zweifel, hat viele, viele Jahre bestens zu Schalke gepasst. Wegbegleiter wie Buchta heben seine „Mischung aus Bodenständigkeit und Dynamik“ hervor, Tönnies sei der „Motor“ für wegweisende Prozesse gewesen. Auf Schalke sagt man: „CT“ konnte gut anpacken. Den engsten Draht aus der Vorstandsetage zu ihm hatte Alexander Jobst – in kritischen Situationen wählte er die Nummer in Rheda-Wiedenbrück.

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„Schwergefallen“, sagt Tönnies, sei ihm der Rückzug. Schalke sieht er aber gewappnet für die Zeit danach: „Das Konzept zur zukunftsorientierten Neuaufstellung des FC Schalke 04 ist ausgearbeitet und geschrieben; es wartet auf seine Umsetzung“. Dass mit „CT“ jetzt auch ein Stück Schalke geht: Nach 26 Jahren im Verein eine Selbstverständlichkeit. Seit dem 24. Oktober 1994 war er Gremienmitglied beim FC Schalke 04; seit 2001 hatte er ununterbrochen die Rolle des Aufsichtsratsvorsitzenden inne.

Und: Gekümmert hat er sich um Schalke immer – so, wie er es seinem Bruder damals versprochen hatte.