Gelsenkirchen. Eine Ära geht beim FC Schalke 04 zu Ende: Nach 19 Jahren tritt Aufsichtsratschef Clemens Tönnies zurück. Die Reaktionen sind geteilt.
Nach 19 Jahren legt Clemens Tönnies sein Amt nieder und tritt als Aufsichtsratchef bei Schalke 04 zurück. Im Verein Anno 1904 an der Kurt-Schumacher-Straße, Anlaufstelle für Fans, aber auch für Menschen aus Schalke-Nord, die Rat und Unterstützung suchen, wertet man das als frohe Botschaft: Darauf werden wir ein Gläschen trinken“, sagt der Vereinsvorsitzende Manfred Beck. Ein spontaner „Freudenumtrunk“ der Ultra-Fans war abends an der 1000-Freunde-Mauer geplant.
Beck, der ehemalige Gelsenkirchener Stadtrat für die Bereiche Kultur, Bildung und Sport, ist glühender Schalke-Fan – und Tönnies-Kritiker. Gegen die Vereinspolitik und nicht zuletzt gegen Deutschlands größten Fleischproduzenten protestierten zuletzt am Wochenende auch etliche Hundert Fans rund um Arena und Berger Feld. Nach den Rassismus-Vorwürfen im vergangenen Jahr hat der massive Corona-Ausbruch in seinen Betrieben die Krise zugespitzt. Nun wirft Tönnies auf Schalke hin. „Das Gros der organisierten und nicht organisierten Fans“, so Beck, „ist klar der Meinung, dass dieser Schritt überfällig war.“
Anno-Vorsitzender sieht Parallelen bei der Denkweise in der Firma und auf Schalke
Das Denken, das „die Arbeitsbedingungen“ in den Schlachthöfen präge, findet Manfred Beck, sei auch „das Denken, das in Schalke geherrscht hat“ und habe mit zu der gesellschaftlichen wie sportlichen Krise beigetragen. Beck: „Mit der Person Tönnies ist ja nicht das System Tönnies beendet. Wir müssen daher sehen, dass sich im Aufsichtsrat was ändert und der Vorstand wieder eigenständiger arbeitet.“
Bisher, so Beck, habe Schalke stets seine Kredite bedienen können. „Ich hoffe, dass jetzt auch die Bürgschaft zustande kommt.“ 30 bis 40 Millionen Euro Darlehen, abgesichert über eine Bürgschaft der Landesregierung, stehen im Raum. Vielleicht, mutmaßt der Anno-Vorsitzende, sei der Millionen-Deal auch von der Personalie Tönnies abhängig gewesen und würde platzen, so lange der durch die Corona-Situation maximal in der Kritik stehende Firmenchef weiter Vorsitzender des Aufsichtsrats bliebe.
Eine Alternative hat Beck bereits im Blick: Kornelia Toporzysek, Richterin am Oberlandesgericht Düsseldorf. Sie war im September 2019 aus dem Ehrenrat zurückgetreten – aus Protest gegen Tönnies.
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Peter Neururer übt Kritik an der Interpretation von Tönnies Doppelrolle
Peter Neururer hatte den Abschied „schon befürchtet“, wie er sagt. „Clemens Tönnies hat die persönlichen Konsequenzen gezogen, aber nicht aufgrund der sportlichen oder finanziellen Lage auf Schalke, sondern weil der Druck von außen so groß geworden ist.“
Neururer übte Kritik am Umgang mit der Doppelfunktion des S04-Chefs: „Eine Verbindung zwischen Tönnies Rolle als Unternehmer und als Aufsichtsratschef von Schalke zu ziehen, halte ich für nicht berechtigt und gerechtfertigt.“ Leider werde vielfach vergessen, „welche positiven Entwicklungen der Verein in der Ära Tönnies genommen hat“, so der frühere Schalke-Trainer und TV-Experte weiter. Die Arena sei bezahlt, die Mannschaft hat vielfach in der Champions-League gespielt und ist fünf Mal Vize-Meister geworden.
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„Ich bin daher gespannt, wer an seine Stelle tritt, denn dieser Posten setzt Knowhow, Finanzkraft und ein großes Netzwerk voraus“, so der Gelsenkirchener. „Über die Sommerpause hat der Club jetzt wahrscheinlich Ruhe, sich neu aufzustellen, passiert das später, steht Schalke vor einem echten Problem.“
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Günther: Schalker Einheit hat Brüche bekommen nach den rassistischen Äußerungen
Und Lukas Günther (SPD), stellvertretender Vorsitzender des Sportausschusses der Stadt sagt: „Schalke war immer dann stark, wenn der Verein als Einheit aufgetreten ist. Als Fan bin ich mir sicher, dass diese Einheit nach den rassistischen Tönnies-Äußerungen und dem fragwürdigen Ehrenrat-Urteil unheilbare Brüche erhalten hat, die sich in der Folge mit den Härtefallregelungen und der Kündigung der Jugend-Fahrer verfestigt haben. Als Fan und Lokalpolitiker hoffe ich, dass der Verein nach dem Rücktritt wieder schnell zusammenfindet und der Neuanfang gelingt. Die 1000 Freunde sind immer dann stark, wenn sie zusammenstehen. Gerade jetzt kommt es darauf an.“
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Gemeindeleiter mahnt: Müssen unsere Doppelmoral hinterfragen
Markus Schaufelberger, Vize-Gemeindeleiter der Ev. Freikirchlichen Gemeinde Erlöserkirche und Schalke-Fan, ist nicht überrascht von dem Rücktritt, hält es allerdings „für menschlich schwierig, nur Steine nach Tönnies zu werfen.“ Der Verein habe Tönnies auch viel zu verdanken. „Dass er nun zurückgetreten ist, zeugt zumindest von einer gewissen Selbstreflexion.“ Diese wünscht sich Schaufelberger auch von den Kritikern. „Wir sollten den Fall nutzen, um unsere eigene Doppelmoral zu hinterfragen, zum Beispiel beim nächsten Gang an die Fleischtheke.