Gelsenkirchen. Hunderte Schalke-Fans demonstrieren am Samstag friedlich gegen die Vereinspolitik. Clemens Tönnies steht im Zentrum der Kritik. Eine Reportage

Die Demonstration hat noch gar nicht angefangen, da geht auf dem Trainingsgelände des FC Schalke 04 schon der Alarm los. Ein erstes stumpfes Grollen des vorhergesagten Gewitters hat wohl den Alarm ausgelöst. Normalerweise würden Spieler und Trainer nun schnell einen Unterschlupf aufsuchen. Doch an diesem Samstagnachmittag, 14.15 Uhr, passiert gar nichts. Das Gelände ist leer. Und doch ist es ein Alarm mit Symbolkraft: In gut einer Stunde soll nämlich das nächste Gewitter aufziehen. Diesmal aber auf den Gehwegen rund um die Veltins-Arena. Mindestens 150 Fans wollen laut Antrag mit einer Menschenkette unter dem Motto „Schalke ist kein Schlachthof – gegen die Zerlegung unseres Vereins“ gegen die Vereinspolitik und den Aufsichtsrats-Vorsitzenden Clemens Tönnies demonstrieren.

Dass es bei dieser Zahl nicht bleibt, zeigt sich schnell. Vor allem auf dem Parkplatz C1 an der Adenauerallee haben sich viele Fans versammelt. Auf Plakaten lassen sie sich mal mehr, mal weniger hart über aktuelle Geschehnisse vom Härtefallantrag, über die Entlassung von Busfahrern bis hin zu den Corona-Fällen in der Fleischfabrik von Tönnies aus. An der Einfahrt des Parkplatzes begrüßt Stefan Barta, der die Protestaktion gemeinsam mit Katharina Strohmeyer organisiert hat, jedes Auto per Megafon und weist corona-gemäß auf die Einhaltung von Maskenpflicht und Mindestabstand hin.

Parallel zum Bundesligaspiel

„Wir wollen ein Zeichen dafür setzen, dass ganz viele Schalker finden, dass es so nicht weitergehen kann“, betont Katharina Strohmeyer. Die 36-Jährige hat den Termin bewusst auf die Anstoßzeit des letzten Schalker Spiels dieser Saison beim SC Freiburg (4:0) gelegt: „Wir wollen diese Saison mit einem Aufbruch-Signal beenden. Wir haben nicht nur aus sportlicher Sicht eine Chaos-Saison hinter uns. Teilweise mussten wir uns schämen für das Bild, das der Verein in der Öffentlichkeit abgegeben hat. Jetzt muss es wieder bergauf gehen“, ruft sie.

Transparente richteten sich vor allem gegen Clemens Tönnies.
Transparente richteten sich vor allem gegen Clemens Tönnies. © FUNKE Foto Services | Jörg Schimmel

Dass viele Fans dies ähnlich sehen, zeigt sich bei einem ersten Blick auf die Adenauerallee. Hier haben sich um 15.30 Uhr schon viele Fans auf ihre Standpunkte entlang der Hauptstraße begeben. Blaue Punkte und blau-weiße Flatterbänder gewährleisten den Mindestabstand. Auch Thomas Kappelhoff ist dabei. Der S04-Fan steht mit seiner Tochter und seiner Schwester auf Höhe der Gesamtschule Berger Feld. „Schalke ist moralisch total verkommen“, findet er und rückt wie viele andere Fans auch Tönnies ins Zentrum der Kritik: „Es gab mal eine Zeit, in der Aufsichtsratsmitglieder eine andere Linie gefahren sind als die von Clemens Tönnies. Diese wurden aber konsequent ausgeschlossen. Solche Strukturen können nur durchbrochen werden, wenn Tönnies den Verein verlässt.“

Ex-Ehrenrätin ist beeindruckt

Währenddessen wird die Kette der Entrüstung länger und länger. Immer mehr Menschen kommen hinzu und verlängern die Verbindung von der Adenauerallee über die Willy-Brandt-Allee bis zur Kurt-Schumacher-Straße auf eine 4,5 Kilometer lange Kette. Einige machen es sich auf einem Klappstuhl gemütlich, andere bleiben stumm stehen. Die Nachricht der immer klarer werdenden Schalker Niederlage in Freiburg verbreitet sich trotzdem schnell. Über den ein oder anderen Handybildschirm flimmern eben doch die Livebilder aus Freiburg. An der Stimmung ändert sich nichts: Die Menschenkette gleicht einer Mahnwache, in stillem Gedenken an die Schalker Werte.

Auch Kornelia Toporzysek ist beeindruckt. Die Richterin am Oberlandesgericht Düsseldorf trat aus dem Ehrenrat zurück und steht nun ebenfalls in der Kette: „Dass man mit einem Thema wie der Vereinspolitik so viele Menschen mobilisieren kann, ist einfach super“, schwärmt sie. „Wir Schalker haben in den vergangenen Jahren so viel mitgemacht. Diese positive Energie hier, das ist mein Schalke. Wir müssen weiterhin versuchen, den fahrenden Zug noch aufzuhalten.“

Als sich die Kette gegen 17 Uhr langsam auflöst, schätzt Organisatorin Katharina Strohmeyer die Teilnehmerzahl auf 1500 – die Polizei spricht hingegen nur von etwa 650. Strohmeyer: „Wir sind zu zwei Dritteln um die Arena herumgekommen. Dass so viele Menschen gekommen sind, obwohl Schalke parallel gespielt hat, ist ein starkes Zeichen“. Kurz danach beginnt es erneut zu regnen. Ein nächstes Gewitter bleibt diesmal aber aus. Aber davon gab es ja schon genug.