Gelsenkirchen. Domenico Tedesco wurde vor 16 Monaten auf Schalke entlassen. Im Interview spricht er über seine neue Aufgabe - und die Trennung von S04.
Eigentlich lebt Domenico Tedesco (34) mitten im Zentrum Moskaus, seitdem er den Traditionsverein Spartak trainiert. Als wir ihn am Telefon erreichen, sitzt er aber im Trainingszentrum im Norden der Metropole. „Moskau“, sagt er, „ist eine überragende Stadt.“ Am 20. Juni wird die Saison in Russland fortgesetzt – und nach einer kurzen Unterbrechung beginnt direkt die nächste. „Das macht die Vorbereitung umso wichtiger“, sagt er – und es beginnt ein Gespräch über Fußball in Russland bis Dezember, die eigene Zukunft und seinen Ex-Klub Schalke 04, 16 Monate nach seinem Aus in Gelsenkirchen. Tedesco betont, warum er für Schalke auf Geld verzichtete.
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Herr Tedesco, wenn auf die alte direkt die neue Saison folgt - wie ist der Übergang möglich? Gibt es nicht Kaderveränderungen durch auslaufende Verträge am 30. Juni?
Domenico Tedesco: Wir haben zwei Spieler weniger als eigentlich geplant. Hätten wir die Saison bis Mai fertiggespielt, hätten wir mit Andre Schürrle und Lorenzo Melgarejo weitergespielt. Beide Verträge werden aber nicht über den 30. Juni hinaus verlängert. Deshalb macht es wenig Sinn, dass sie nun dabei sind.
Ihre Familie sehen Sie aber nun länger nicht…
Tedesco: Auch vor Corona war das zwischen Januar und April so. Jetzt war ich aber in Deutschland, deshalb ist das jetzt okay. (lacht)
Sind in dieser außergewöhnlichen Zeit sportliche Ziele formulierbar?
Tedesco: Wir müssen in dieser Saison das Team stabilisieren und dann Schritt für Schritt weiterentwickeln. Als wir im Oktober kamen, hatte Spartak fünf Spiele in Folge verloren und war in einer brenzligen Situation. Jetzt haben wir ordentlich gepunktet, stehen stabil im Tabellen-Mittelfeld und hoffen, dass wir das nach der Pause fortsetzen können. Aber man muss auch daran denken, dass wir eine extrem junge Mannschaft haben. In unserem letzten Spiel vor der Unterbrechung hatten wir einen jüngeren Altersdurchschnitt als unsere U23.
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Sie haben im Oktober in Moskau begonnen – auch danach wurden in Deutschland einige Trainerposten in der Bundesliga frei. Ärgern Sie sich manchmal, dass Sie nicht auf Deutschland gewartet haben?
Tedesco: Ich war sechs Monate ohne Job, und es ist nicht so, dass ich nicht noch länger hätte warten können. Ich hatte auch Angebote aus der Bundesliga. Aber mich hat einfach die Aufgabe bei Spartak gereizt: großer Verein, tolle Stadt. Schon jetzt kann ich sagen: Diese Erfahrungen kann mir keiner nehmen. Erfahrungen, die mich weiterbringen.
Dritte Profi-Station für Tedesco
Der 34-jährige Domenico Tedesco stammt aus Italien. Seine Familie wanderte nach Esslingen aus, als er zwei Jahre alt war. Er ist studierte Wirtschaftsingenieurwesen.
Den Fußballlehrer-Schein erwarb er als Jahrgangsbester. Er trainierte die U17 des VfB Stuttgart und die U19 der TSG Hoffenheim, bevor er 2017 erst zu Erzgebirge Aue, dann zu Schalke wechselte. 2019 holte ihn Spartak Moskau.
Was meinen Sie damit?
Tedesco: Es ist eine andere Kultur, hier wird ein anderer Fußball gespielt. Die Topteams kann man von der Wucht und Emotionalität trotzdem mit den Topteams in Deutschland oder Italien vergleichen. Spartak als Klub ist mega, ein großer Klub mit 500 Mitarbeitern. Das kann man mit Schalke vergleichen. Die Fans sind leidenschaftlich, südländisch emotional – das gefällt mir. Und ich lerne die russische Sprache…
Wirklich? Das wäre die siebte Sprache, die Sie beherrschen…
Tedesco: Ja, ich bin dabei. Aber das dauert noch eine Weile, da es eine ganz andere Sprache ist als die, die ich schon kann. Die Wörter haben sehr häufig null Zusammenhang mit Wörtern aus anderen Sprachen. Da sind so viele Konsonanten drin… Aber ich bin fleißig dabei, wenn auch ohne Lehrer, weil ich dafür noch keine Zeit hatte. Ich versuche aktuell noch selbst, und es mit Hilfe meines Übersetzers und der Spieler zu lernen.
Ihr Vertrag läuft im Juni 2021 aus. Haben Sie schon Gespräche mit Spartak über eine Verlängerung geführt?
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Tedesco: Es laufen keine Gespräche, aber das erwarte ich auch nicht. Wir haben andere Sachen im Kopf. Das hat noch sehr viel Zeit. Der Verein wollte mich am Anfang länger binden – aber ich habe für eineinhalb Jahre unterschrieben, weil es aus unterschiedlichsten Gründen Sinn ergibt, das erst einmal auf diese Art anzugehen. Für mich und für den Verein. Spartak soll mich kennenlernen, wie ich trainiere, bei den Spielern ankomme, Inhalte vermittele.
In Deutschland standen Sie zuletzt in den Schlagzeilen, weil in einer Bild-Kolumne Vertragsinhalte aus Schalker Zeiten publiziert wurden. Hat Sie das geärgert?
Tedesco: So etwas ist immer unschön. Ich war erstaunt, dass das überhaupt dort drinstand. Es ist aber auch müßig, darauf näher einzugehen, zumal der Vertrag ja längst aufgelöst ist.
Sie wurden als „Sturzflug-Trainer“ bezeichnet, als „Fall Tedesco“ – dabei haben Sie angeblich auf über fünf Millionen Euro verzichtet.
Tedesco: Ich habe immer wieder gesagt, dass Schalke mir wichtig ist, dass es nicht irgendein Verein für mich und in meinem Leben ist. Ich wollte da unbedingt hin und als ich dort war, unbedingt dort bleiben. Ich kann nicht zwei Jahre lang erzählen, dass Schalke für mich ein besonderer Klub ist und dann um jeden Euro feilschen. Das hätte ich unanständig gefunden.
Wenn Schalke ein besonderer Klub für Sie ist – leiden Sie dann momentan mit?
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Tedesco: Na klar. Ich sehe zwar nicht alle Spiele – aber wenn wir zu den Uhrzeiten nicht auf dem Platz stehen, schaue ich sie mir an. Mir tut das extrem leid, vor allem für die Fans. Das war auch das Schlimmste für mich: die Fans enttäuscht zu haben. Sie sind einfach top, sie verdienen Erfolge.
Hätten Sie sich damals gewünscht, dass Sie auch Geisterspiele gehabt hätten? Ein 0:4 gegen Düsseldorf wäre ohne Fans leichter zu ertragen gewesen.
Tedesco: Nein. Die Fans gehören dazu, auch in schlechten Zeiten. Schalke ist etwas Besonderes. Und natürlich sind die Fans auch mal unzufrieden. Aber das gehört dazu und ist ihr gutes Recht. Man kann sich nicht nur die Rosinen rauspicken, sich feiern lassen, wenn man 2:0 im Derby gewinnt und wenn es schlecht läuft, dann Geisterspiele wünschen. Das ist auch das, was wir den Spielern gesagt haben: Wenn du für Schalke spielst, dann mit allem, was du hast und mit sämtlichen Situationen, die es so gibt im Fußball. Wegrennen und verstecken ist nicht. So schätze ich auch die Schalke-Fans ein. Wenn man schlecht spielt und die Ergebnisse nicht erzielt wie wir vor einem Jahr, dann muss man immer ehrlich sein und Fehler zugeben. Auch Trainer und die Spieler. Das ist das Mindeste, was diese Fans verdient haben. Denn die Fans sind einfach super. Wenn das Zusammenspiel mit der Mannschaft auf dem Rasen klappt, dann spielt keiner gern auf Schalke.
Zuerst lief es gut, nun geht es nach unten - sehen Sie eine Parallele zu ihrer Zeit?
Tedesco: Das kann nicht beurteilen. Meine Amtszeit habe ich erlebt, ich weiß, wie sie täglich abgelaufen ist. Das kann ich jetzt nicht einsehen. Außerdem finde es immer seltsam, wenn sich ehemalige Trainer gerade in Krisenzeiten zu Wort melden und erklären, was man alles besser machen könnte. Ich bin mir sicher, dass Schalke auch ganz gut ohne schlaue Ratschläge von mir zurechtkommt.
Sie haben nicht nur die Schalker Geisterspiele gesehen. Welche Erkenntnisse haben Sie bisher für Ihre Arbeit gezogen?
Tedesco: Ganz ehrlich: Im Detail habe ich mich damit bisher nicht beschäftigt. Wir sind auf unsere Arbeit fokussiert. Das einzige, was mir aufgefallen ist – was ich aber auch schon zuvor wusste: Die Fans sind ein elementarer Bestandteil. An die aktuelle Situation möchte sich keiner gewöhnen.
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Ist Fußball ohne Fans, diese Diskussion gab es ja auch, nicht besser zu genießen, weil er ursprünglicher ist?
Tedesco: Nein. Für mich sind die Fans der Hauptgrund, warum wir das machen. Klar ist, dass die Gesundheit an erster Stelle stehen muss. Ich hoffe aber, dass auch in Deutschland ein Teil der Fans bald unter gewissen Auflagen wieder ins Stadion gehen kann.
Es gab viele Diskussionen um das Image des Profifußballs. Haben Sie diese verfolgt?
Tedesco: Zum Teil schon. Ich verstehe auch, dass viele kritisch waren. Aber genau wie andere Branchen auch versucht der Fußball wieder auf die Beine zu kommen.
Wie stehen Sie einem Salary Cap gegenüber?
Tedesco: Natürlich kann man über eine Gehaltsobergrenze diskutieren, vielleicht muss man das sogar. Dann aber bitte sachlich und ohne Pauschalisierungen. Es wäre wünschenswert, das in Europa einheitlich hinzubekommen. Aber ich fürchte, dass es schon daran scheitern wird.
Auch die Profis selbst wurden stark kritisiert. Wie haben Sie die Profifußballspieler in Aue und auf Schalke kennengelernt?
Tedesco: Schwierig zu sagen. Es waren natürlich zwei komplett verschiedene Vereine. Der eine Verein ist ein Zweitligist, bei dem die Spieler nicht das große Geld verdienen. Auf Schalke war es dann ein anderes Niveau. Unabhängig von den Gehältern kommt es aber auf den Menschen an. Man kann nicht einfach eine große Schublade aufmachen und alle reinstecken.
Erst Aue, dann Schalke, nun Spartak: Wo sehen Sie sich in fünf bis zehn Jahren?
Tedesco: (lacht) Meine ehrliche Antwort: Ich habe keinen Karriereplan. Man muss das von Fall zu Fall entscheiden und wenig ausschließen. Dann läuft man gut durchs Leben. Vor einem Jahr hätte ich mir nicht ausmalen können, dass ich bei Spartak Moskau lande, in einem neuen Land mit einer neuen Sprache.
Immerhin ist bisher zu erkennen, dass Sie drei sehr individuelle Traditionsvereine übernommen haben.
Tedesco: Ja, das stimmt. Auch Spartak ist ein Verein, der die Menschen bewegt und über den in Russland wirklich viel berichtet wird.
Vielleicht ist es deshalb ja ganz gut, dass Sie die Sprache noch nicht fließend können.
Tedesco: (lacht) So schlecht läuft es ja nicht. Das passt noch.