Gelsenkirchen. Schalkes Trainer David Wagner stellt seine Idealvorstellung vom Fußball vorerst zurück. Er gesteht: Gerne mache ich das nicht.
David Wagner ist Lehrer, nicht nur für Fußball, sondern auch für Biologie und Sport – vor seiner Zeit als Trainer hat er Lehramt studiert. Der 48-Jährige weiß wie es ist, auch unangenehmen Lehrstoff zu vermitteln, und nicht viel anders verhält es sich da gerade auf Schalke. Die Abkehr vom vorwärts gerichteten Fußball, für den Schalke in der Hinrunde stand, hin zum aktuell defensiven Denken ist auch für Wagner wie eine unangenehme Mathe-Klausur: Gerne macht er das nicht. Aber Schalkes Trainer hält es für nötig.
Das Abrutschen in der Rückrunde, das sich vor zwei Wochen mit den beiden deutlichen Klatschen gegen Leipzig (0:5) und Köln (0:3) zugespitzt hatte, gab den Ausschlag, dass Wagner seine Ideale vom Fußball vorerst zurückgestellt hat. Um nicht in den freien Fall zu geraten, hat er für Schalke einen Plan B entwickelt, der vor allem das Zerstören des gegnerischen Spiels vorsieht.
So sieht Wagners Plan B aus
Wagner nennt die Kernpunkte, nach denen Schalke derzeit spielt: Ganz tiefe Kompaktheit in der eigenen Abwehr, dem Gegner im Zentrum keinen Raum geben, ihm kaum Torchancen ermöglichen und nach der Balleroberung selbst zu Kontern kommen. „Wir haben das Gefühl, das ist das Einzige, was uns im Moment ein bisschen Erfolg verspricht. Alles andere haben wir versucht, das können wir im Moment nicht“, erklärt der Trainer und schiebt nach: „Das ist nichts, was ich mir gerne eingestehe, aber es geht in dieser Situation nicht anders. Und dann musst du eine Lösung finden und den Jungs etwas an die Hand geben, mit dem jeder wieder das Gefühl hat: Ey, wir können wieder punkten.“
Diese Lösung heißt für Schalke seit zwei Spielen: Fünferkette. Beim Pokalspiel gegen Bayern (0:1) empfing Schalke den Gegner hinten mit fünf Mann auf einer Linie (Kenny, Becker, Todibo, Nastasic, Oczipka). Gegen Hoffenheim (1:1) rückten die Außenverteidiger Kenny und Oczipka bei eigenem Ballbesitz wieder einen Tick mehr ins Mittelfeld auf – beim Derby am Samstag in Dortmund wird wohl wieder der Bayern-Riegel gespielt. Wagner: „Um ganz ehrlich zu sein, haben wir keine andere Option. Ich glaube nicht, dass Suat Serdar zurückkommt, und das wäre der einzige, der unter Umständen zurückkommen könnte.“ Nach Wagners Ansicht ist die derzeitige Herangehensweise alternativlos, solange die Personallage so angespannt ist.
Die Elf vom Hinspiel gibt’s nicht mehr
Am Samstag steht das Derby an: Im Vorfeld eine gute Gelegenheit um zu verdeutlichen, dass Schalke derzeit eben nicht mehr die Möglichkeiten wie in der Hinrunde hat. Damals empfing Schalke den BVB frei von Personalsorgen, Wagner nominierte folgende Elf: Nübel – Kenny, Stambouli, Sané, Oczipka – Mascarell – Caligiuri, Harit, Serdar – Burgstaller, Matondo. Doch diese Elf gibt’s nicht mehr, weil vom damaligen Team fünf Spieler verletzt sind und Nübel sich quasi selbst aus dem Tor bugsiert hat: Nur Kenny, Oczipka, Harit, Burgstaller und Matondo (also weniger als die Hälfte) kommen beim Rückspiel noch für einen Startelf-Einsatz in Frage.
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Den gleichen Fußball wie in der Hinrunde zu verlangen: Dies müsste also jetzt eine aus der Not geborene neue Mannschaft umsetzen – Wagner hat nicht die Hoffnung, dass dies gelingen kann. Für ihn kommt es jetzt auf Zweckmäßigkeit an: „Versuchen, Punkte mitzunehmen wo es geht. Gerne drei, und wenn nicht, dann halt nur einen, um wieder Stabilität und ein Gefühl dafür zu bekommen, dass du unter Umständen auch mit einem Tor schon gewinnen kannst.“
So sah Wagners Schalke-Ideal in der Hinrunde aus
Seinem Idealbild vom Fußball entspricht das nicht – wie das aussieht, war in der Hinrunde zu sehen, als Schalke für „Intensität, Aggressivität, hohes Anlaufen, den Gegner zu langen Bällen zwingen und hohe Balleroberungen“ gestanden habe: „Das war unser Spiel“. In einigen Wochen, wenn die meisten Verletzten zurück sind, will Wagner wieder diesen Fußball spielen lassen – bis dahin heißt es: Pauken und üben, dass „wir diesen neuen Ansatz, den wir in der momentanen Situation wählen, mit Leben füllen.“
Die Spieler gehen den Weg mit
Die Spieler tragen das mit. Guido Burgstaller, derzeit Schalkes Kapitän, sagte nach dem 1:1 gegen Hoffenheim: „Wir haben ja schon gegen die Bayern gezeigt, dass es uns guttut – wir haben uns wohlgefühlt in der Formation.“ Abwehr-Routinier Bastian Oczipka findet, dass die gefestigte Defensive eine Basis ist, auf der man wieder aufbauen kann: „Es ist so, dass wir uns da gerade ein bisschen fangen und sicherer fühlen mit dieser Spielweise.“ Einigen Spielern wie etwa Pressing-Monster Benito Raman oder Dribbelkönig Amine Harit kommt das zwar nicht so entgegen, aber Harit hat schon zugesichert, sich der Mannschaft unterzuordnen.
Wagner findet es gut, wie seine Mannschaft das annimmt – insbesondere, weil es halt ein komplett anderer Fußball als bisher sei. „Wenn du dir über sieben, acht Monate eine Identität aufbaust, daran arbeitest und sie verfeinerst und du dann übergangsweise einen vollkommen anderen Ansatz wählen musst“, erklärt der Trainer, „dann ist das bemerkenswert, wie die Jungs das mit Leben füllen.“
Klingt ein bisschen wie das Lob vom Lehrer für die Klasse, die jetzt etwas Unangenehmes lernen muss.