Gelsenkirchen. Große Dramaturgie und unerwartete Helden: Der Schalke-Sieg gegen Frankfurt war mitreißend. Matchwinner Benito Raman schwärmte von der Atmosphäre.

Die Atmosphäre hatte etwas Faszinierendes, etwas Mitreißendes. Der kleine Jonjoe Kenny flog durch den Strafraum wie einst Yves Eigenrauch beim Uefa-Cup-Klassiker gegen den FC Brügge im Dezember vor 23 Jahren. Die Fans bejubelten jeden Ballgewinn und feierten jeden Einwurf, als wäre ihre Mannschaft dem Titel ganz nah. Und Markus Schubert, der junge Torwart, bekam eine Rückendeckung, die sein Kreuz so breit wie das eines Eisenbiegers werden ließ. Die Tausend Freunde, die zusammensteh’n, waren an diesem Abend in Wahrheit 60.000 Schalker, die den 1:0-Vorsprung gegen Eintracht Frankfurt über die Zeit brachten.

So schön kann Schalke sein.

Die kleine Schwärmerei sei erlaubt, weil man solche Spiele wie das am Sonntagabend in der Arena tatsächlich nicht mehr alle Tage erlebt. Es ging nicht um den fußballerischen Genuss, sondern um die Willensleistung aller Schalker, die an diesem Abend überwältigend war. Da war, nach der Roten Karte gegen Alexander Nübel, allein in der letzten halben Stunde in Unterzahl mehr drin als in allen Heimspielen der vergangenen Saison zusammen.

Rabbi Matondo rannte mehr, als der Körper hergab

„Es war unglaublich“, schwärmte Benito Raman über diese grandiose Atmosphäre: „Dann rennst du sogar mehr, als du es eigentlich kannst.“ Als Beispiel nannte der Belgier seinen Sturmpartner Rabbi Matondo: „Rabbi ist fast zwölf Kilometer gelaufen, er hatte Krämpfe und hatte Schmerzen und ist trotzdem weiter gerannt. Das kommt, wenn die Fans so hinter einem stehen.“

Von Schmerzen geplagt: Rabbi Matondo hielt tapfer durch.
Von Schmerzen geplagt: Rabbi Matondo hielt tapfer durch. © firo Sportphoto | firo Sportphoto/Jürgen Fromme

Der kleine, schmächtige Waliser Rabbi Matondo war sicher nicht der Hauptdarsteller an diesem Abend, für diese Rolle gab es viele andere. Aber bei Matondo wurde besonders deutlich, wie sehr sich die Schalker verausgabt hatten. 11,96 Kilometer rannte der 19-Jährige, zum Schluss hätte man ihn manchmal fast umpusten können, so kaputt war er. Bastian Oczipka berichtete eine Stunde nach dem Abpfiff: „Ich war gerade zusammen mit ihm im Eiswasser und habe ihm gesagt, er soll da nur lange genug drinbleiben, damit er wieder Gas geben kann.“

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Denn schon am Mittwoch (20.30 Uhr) steht das nächste Spiel beim VfL Wolfsburg an. Und allzu viele andere Spieler hat Schalke nicht mehr ohne die Verletzten und den nun gesperrten Nübel. Gegen Frankfurt standen schon Sané, Stambouli, Nastasic, Schöpf, Uth und Kutucu auf der Ausfall-Liste, McKennie verletzte sich ganz früh schwer.

Zwei Debütanten – und Oczipka als Innenverteidiger Nummer sechs

Die Art, wie Schalke die Rückschläge wegsteckte, machte das dünne 1:0 gegen Frankfurt zu einem großen Sieg. Mit Markus Schubert und Juan Miranda wurden sogar zwei Spieler eingewechselt, die ihr Bundesliga-Debüt feierten. Miranda, der 19-Jährige Spanier, ersetzte Bastian Oczipka auf der linken Verteidigerposition, weil dieser im Abwehrzentrum gebraucht wurde. „So schnell kann’s gehen“, schmunzelte Oczipka – vier Tage vor dem Spiel hatte er sich noch als mögliche Alternative fürs Zentrum angeboten. Oczipka ist nunmehr Schalkes Innenverteidiger Nummer sechs in dieser Saison nach Benjamin Stambouli, Matija Nastasic, Salif Sané, Ozan Kabak und Weston McKennie.

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Wer hätte diese Abwehr für möglich gehalten?

Wer vor der Saison gesagt hätte, dass Schalke in der Defensive einmal mit Torwart Schubert (21) sowie der Viererkette Kenny (22), Kabak (19), Oczipka (30) und Miranda (19) spielen würde, wäre vermutlich etwas schräg angeschaut worden… Und dafür hat Schalke in der letzten halben Stunde in Unterzahl wirklich bemerkenswert wenig zugelassen. „Wir haben es insgesamt gut verteidigt“, sagte Oczipka: „Das ist gar nicht so einfach, wenn man gegen einen Dost in die Kopfballduelle gehen muss.“ Frankfurt hatte einen Größen-Vorteil, den Schalke aber irgendwie immer ausbügeln konnte.

Nochmal alles geben: David Wagner animiert die Fans in der Nachspielzeit.
Nochmal alles geben: David Wagner animiert die Fans in der Nachspielzeit. © firo Sportphoto | firo Sportphoto/Jürgen Fromme

Wie Schalke das machte, wie abgezockt Männer wie Kabak (19), Serdar (22) oder Mascarell (26) das ausspielten, war schon bemerkenswert. Schalke versuchte, den Ball in den eigenen Reihen zu halten – deswegen wurden die Ecken in der dramatischen Schlussphase auch kurz ausgespielt. Oczipka verriet: „Das sind Sachen, die wir im Verlauf der Saison angesprochen haben, weil wir ein paar Spiele dabei hatten, in denen wir es in den letzten fünf bis zehn Minuten nicht so gut gemacht haben. Da wollten wir noch ein Tor schießen, anstatt einen Sieg mal routiniert über die Bühne zu kriegen – diesmal hat es geklappt.“ Auch ein Fortschritt – diese Mannschaft lernt schnell bei David Wagner. Wobei der eingewechselte Guido Burgstaller sogar mit einem Weitschuss noch den Pfosten traf.

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Schalke nahm so gekonnt die Zeit von der Uhr, sieben quälend lange Minuten betrug die Nachspielzeit, und zur Hälfte drehte sich David Wagner zur Tribüne um und ruderte wie wild mit den Armen: Er forderte die Fans so auf, noch einmal alles zu geben. Ein Miteinander, das perfekt funktionierte und an tolle Schalker Zeiten erinnerte. „So ein Spiel nach der Roten Karte über die Bühne zu kriegen“, sagte Bastian Oczipka, „das ist Gold wert.“