Istanbul. Der Ex-Schalker Fabian Ernst ist bei Besiktas Istanbul Sympathie- und Hoffnungsträger. Am Mittwoch tritt er mit seinem Team in der Champions League beim VfL Wolfsburg an.

Fabian Ernst kann machen, was er will. Die außergewöhnliche Zuneigung, ja heldenhafte Verehrung wird der 30-Jährige so schnell nicht los. Ob der frühere Bundesliga-Spieler nun beim 1:0 gegen Denizlispor den Ball meterweit über die Latte beförderte oder sich jüngst beim jüngsten 2:1-Arbeitssieg gegen Kasimpasa eine Gelb-Rote Karte einhandelte: Auf den Tribünen des Inönü-Stadions von Besiktas Istanbul im gleichnamigen Stadtteil wird dann ein lautes „Oley, Oley” angestimmt und der Name des Deutschen gerufen. Der 24-fache Nationalspieler ist der Liebling beim Meister und Pokalsieger. Aber er gilt vor dem Gastspiel in der Champions League am Mittwoch beim VfL Wolfsburg (20.45 Uhr) weit und breit auch als der einzige Sympathie- und Hoffnungsträger.

Punktloser Letzter in der Königsklasse

Denn der 13-fache Titelträger hechelt in der Süper Lig dem von Christoph Daum trainierten Erzrivalen Fenerbahce fast schon hoffnungslos hinterher. Und was die fanatische Anhängerschaft der „schwarzen Adler” ebenso erzürnt: In der Königsklasse ist Besiktas punktloser Letzter. Das Multi-Kulti-Ensemble von Trainer Mustafa Denizli, kurzzeitig mal bei Alemannia Aachen beschäftigt, spielt weitgehend konzept- und konturlos. „Die Negativerlebnisse haben unser Selbstvertrauen angekratzt”, gibt Ernst zu. Und so ist die ausufernde Freude nach dem Doublegewinn in blanke Abneigung umgeschlagen: Trainer, Spieler, darunter selbst die türkische Torhüter-Legende Recber Rüstu, werden Woche für Woche beschimpft und beleidigt – die Ausnahme ist eben allein Ernst. Vor allem Yildirim Demirören, der ob seiner Transferpolitik umstrittene Präsident, muss sich wahre Hasstiraden anhören. Dass der Besiktas-Boss zuletzt ankündigte, die Tribünen von den Krakeelern „säubern zu lassen”, erwies sich als klassisches Eigentor.

Der ganz normale Wahnsinn

Was Ernst und der von Eintracht Frankfurt gekommene Michael Fink erleben, ist der ganz normale Wahnsinn im türkischen Fußball. „Einmal umarmen und küssen sie dich”, hat der 27-jährige Fink festgestellt, der in der Champions League noch gar keine Minute gespielt hat, „aber als wir in Moskau verloren hatten, war der Atatürk-Flughafen danach von unseren Fans blockiert. Manchmal ist es besser, nicht zu verstehen, was gerufen und geschrieben wird.” In der Kabine gibt es gleich mehrere Dolmetscher – einen für die Brasilianer, einen für die Tschechen; Eray Akyürek übersetzt alles fürs deutsche Duo. Auch Ernst, bereits vergangenen Winter in einer Nacht-und-Nebel-Aktion von Gelsenkirchen nach Istanbul transferiert, spricht nur leidlich die Landessprache. „Der Wille ist da, aber Türkisch ist nicht einfach. Man redet mit Händen und Füßen.”

Umso erstaunlicher, dass der bei Hannover 96 geförderte und bei Werder Bremen gereifte Profi sich auf Anhieb zum uneingeschränkten Leader entwickelt hat. „Fabian hat hier einen Sonderstatus”, erklärt Fink, „er ist unantastbar.” Und Chefcoach Denizli lobt seinen Chefstrategen: „Er spielt mit Leidenschaft. Solche Vollblutfußballer gibt es selten.”

Fühungsfigur und Fanliebling

Ernst weiß, dass er Führungsfigur und Fanliebling ist: „Hier wirst du von den Fans respektiert, wenn sie sehen, dass du mit dem ganzen Herzen dabei bist. Sie wollen sehen, dass du dich zerreißt.” Wobei Ernst nicht verhehlt, dass er sich vor einem Jahr nicht vorgestellt hatte, seinen Job in Istanbul zu verrichten. „Mein Wechsel auf den letzten Drücker war nicht einfach. Ich hätte meinen Vertrag auf Schalke gerne auch verlängert.”

Den Hund mitgebracht

Doch der Mittelfeldallrounder war sozusagen erstes Opfer der problematischen königsblauen Finanzlage. Dass Fink ablösefrei diesen Sommer zu Besiktas kam, finden beide nur gut. „Unsere Familien sehen sich häufig, er hat mir in Istanbul einige Sachen gezeigt”, erzählt Fink, der sogar seinen Hund mitgebracht hat. Ernst und Ehefrau Julia wiederum stehen oft staunend in der pulsierenden Metropole am Bosporus, „ich bin immer aufs Neue überwältigt.” Aber auf die Frage, ob er Deutschland vermisse, antwortete Ernst gegenüber dem Wolfsburger Stadionmagazin „Unter Wölfen” ehrlich: „Ein bisschen schon. Auch wenn es klischeehaft klingt: Mir fehlt die Ordnung.”