Gelsenkirchen. Schalkes Sportvorstand Jochen Schneider konnte wegen des Abstiegskampfes noch keine Spieler neu verpflichten. Jetzt stellt er alles neu auf.

Wenn Jochen Schneider aus dem Fenster in seinem Büro in der Geschäftsstelle des FC Schalke 04 hinüber zur Arena blickt, sieht er Bagger auf dem ehemaligen Trainingsplatz – eine große Baustelle. Aber die Umbauarbeiten gehen voran, man darf das auch symbolträchtig deuten. Das Gelände wird erneuert, der sportliche Bereich ebenfalls. Dafür trägt nun der 48-jährige Sportvorstand, der im März seine Arbeit aufnahm, die Verantwortung. Über zu wenig Arbeit kann er sich nach einer enttäuschenden Saison nicht beklagen.

Herr Schneider, Hand aufs Herz bitte: Haben Sie Ihren Wechsel zu Schalke 04 in den letzten Wochen mal bereut?

Jochen Schneider: Nein, keineswegs. Aber in den vergangenen elf Wochen wurde mir schon mehrmals bewusst, dass ich mir die Situation nicht so schwierig vorgestellt hatte.

"Der Start auf Schalke war in Summe also sehr intensiv"

Was waren Ihre ersten Aufgaben?

Jochen Schneider: Zuhören und beobachten. Ich musste mir die richtigen Eindrücke verschaffen. Ich erinnere mich noch an meinen ersten Aufschlag vor der Mannschaft. Das Bundesliga-Heimspiel gegen Fortuna Düsseldorf stand an. Wir hatten die Fortuna im DFB-Pokal deutlich geschlagen und uns deswegen in der Liga zuhause auch etwas ausgerechnet. Nach der 0:4-Pleite war allerdings klar, dass wir mitten im Abstiegskampf steckten. Danach kamen das 2:4 in Bremen und das 0:7 in der Champions League bei Manchester City. Anschließend haben wir uns leider von Trainer Domenico Tedesco trennen müssen. Der Start auf Schalke war in Summe also sehr intensiv.

Trainer Huub Stevens, den Sie bereits aus gemeinsamer Zeit beim VfB Stuttgart kannten, sprang als Retter ein und nahm in diesen zwei Monaten über fünf Kilogramm ab. Was hat der Abstiegskampf mit Ihnen gemacht?

"So ein Koloss wie Schalke darf einfach nicht absteigen"

Jochen Schneider: Ich habe in den ersten Wochen auf Schalke sechs Kilogramm abgenommen, aber jetzt sind drei Kilo wieder drauf (lacht). Ich konnte in der Phase, als wir ganz unten drin steckten, einfach nichts essen. Im Abstiegskampf wache ich mit Magendrücken auf. Du denkst: So ein Koloss wie Schalke darf einfach nicht absteigen.

Huub Stevens hat gesagt, dass er definitiv nicht mehr als Trainer einspringen will.

Jochen Schneider: Nach dem letzten Saisonspiel gegen Stuttgart den VfB haben wir noch lange zusammengesessen. Ich habe mit Huub gescherzt: Jetzt ist aber endgültig Schluss. Wir dürfen es nicht übertreiben. Aber mal ganz im Ernst: Was er geleistet hat, war unglaublich. Zusammen mit seinem Trainerteam Mike Büskens und Matthias Kreutzer hat er Toparbeit abgeliefert. Wir können uns nur bei ihnen bedanken.

Bleiben Matthias Kreutzer und Mike Büskens als Trainer erhalten?

Jochen Schneider: Ich habe mit Mike Büskens ein Gespräch geführt. Ob er bleibt, ist final noch nicht entschieden. Gleiches gilt für Matthias Kreutzer.

Warum haben Sie sich für David Wagner als neuen Schalker Cheftrainer entschieden?

Jochen Schneider: Dafür gibt es mehrere Gründe. David strahlt eine große Persönlichkeit aus, er hat eine positive, offene Art, seine Motivation und sein Hunger sind groß. Die Art, wie er mit Leuten umgeht, ist ebenfalls hervorzuheben. Ich habe gute Kontakte nach England und habe mich bei seinem letzten Verein Huddersfield auch im Trainingszentrum umgehört.

Welche Erkenntnisse haben Sie gewonnen?

Jochen Schneider: Ausschließlich gute. Es ist ihm dort gelungen, den Laden sinnbildlich anzuzünden. Da stand immer eine verschworene Einheit auf dem Platz. Unter David Wagner hat Huddersfield energisch gepresst und zügig nach vorne gespielt. Das war genau das, was in unserem Anforderungsprofil stand. Es ist empirisch belegt, dass in den ersten zehn Sekunden nach Ballgewinn die Wahrscheinlichkeit am höchsten ist, einen Treffer zu erzielen. Nach diesen zehn Sekunden sinkt die Wahrscheinlichkeit rapide. Wir haben intensiv die Daten von Davids Mannschaft analysiert. In den Kategorien Sprints sowie intensive Läufe war Huddersfield im oberen Drittel der Premier League. David hatte eines der fittesten Teams in der Liga.

War viel Überzeugungsarbeit erforderlich, um David Wagner für Schalke zu begeistern?

Jochen Schneider: Ich musste ihn überhaupt nicht überzeugen. Oder anders gesagt: Es war keine Meisterleistung von mir, dass David bei uns unterschrieben hat. Das hat direkt gepasst im ersten Gespräch. Schalke ist für David etwas Besonderes. Aufsichtsrats-Chef Clemens Tönnies musste mich auch nicht lange überzeugen.

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Michael Reschke wurde als neuer Kaderplaner verpflichtet. Er ist nach seiner Zeit als Sportvorstand beim VfB Stuttgart in Teilen der Öffentlichkeit umstritten. Warum also er?

Jochen Schneider: Ich kenne Michael seit 18, 19 Jahren. In der Vergangenheit habe ich mit ihm den einen oder anderen Transfer durchgeführt. Dabei hat er immer sehr geschickt agiert – sei es bei Bernd Leno oder bei Joshua Kimmich. Michael Reschke ist der beste Kaderplaner in Deutschland. Ein großer Gewinn für Schalke 04.

Was genau spricht für ihn?

Jochen Schneider: Er hat ein unglaubliches Auge für Talente, dazu ein überragendes Netzwerk. Die nackten Ergebnisse, die er bei Bayer Leverkusen und Bayern München durch seine Arbeit erzielt hat, gaben den Ausschlag. Ich würde seine VfB-Zeit auch nicht so kritisch bewerten.

Wie viel Eigenkompetenz kann der Kaderplaner auf Schalke entwickeln?

Jochen Schneider: Er hat die Hauptarbeit auf diesem Gebiet zu leisten. Wir tauschen uns dabei selbstverständlich tagtäglich aus. Bei einem Transfer müssen verschiedene Aspekte, wie auch die Finanzen, zusammenkommen. Unser Trainer sitzt dabei natürlich auch mit im Boot. Diese Aufgaben sind nur im Team zu bewältigen.

Vor einem Foto von Schalke-Legende Rolf Rüssmann: Jochen Schneider (Mitte) im Interview mit Thomas Tartemann (links) und Peter Müller.
Vor einem Foto von Schalke-Legende Rolf Rüssmann: Jochen Schneider (Mitte) im Interview mit Thomas Tartemann (links) und Peter Müller. © Kai Kitschenberg

Noch offen ist die Position des Sportdirektors. Wie war noch gleich sein Name?

Jochen Schneider: (lacht) Mist – den habe ich gerade vergessen.

Soll es eher ein jüngerer Kandidat werden?

Jochen Schneider: Jung ist relativ. Für meine Kinder bin ich mit 48 Jahren zum Beispiel steinalt. Für meine Mutter bin ich dagegen noch relativ jung.

Wie soll das Aufgabengebiet des neuen Sportdirektors aussehen?

Jochen Schneider: Es wird nicht der klassische Sportdirektor sein. Wir wollen jemanden dazuholen, der ganz eng an der Mannschaft dran ist. Er soll erster Ansprechpartner für David Wagner sein. Ganz wesentlich wird sein, dass der Sportdirektor alle leistungsrelevanten Bereiche rund um unsere Lizenzmannschaft auf Topniveau bringt und dabei stets offen ist für neueste Entwicklungen.

Muss Schalke erst Spieler verkaufen, um neue holen zu können?

Jochen Schneider: Nein, wir sind wirtschaftlich so gut aufgestellt, dass wir handlungsfähig sind. Wir können agieren, wir müssen nicht erst warten, bis etwas auf der Seite der Abgänge passiert. Mit dem einen oder anderen Spieler aus unserem aktuellen Kader haben wir schon gesprochen.

Wie schwer wiegt trotzdem der Zeitverlust, den Sie durch das lange Bangen um den Klassenerhalt bei der Spielersuche erlitten haben?

Jochen Schneider: Natürlich ist uns die Zeit davongelaufen. Andere Vereine haben schon mehrere Neuzugänge fix gemacht. Wir noch nicht. Aber deswegen jammern wir keineswegs, sondern versuchen, das Beste aus der Situation zu machen. Ich bin froh, dass Michael Reschke schon mit an Bord ist und mit anpackt.

Einige Spieler, wie etwa Hamza Mendyl, hatten erhebliche Anlaufschwierigkeiten. Amine Harit steckt seit Monaten in einem Tief. Was muss Schalke da als Verein ändern?

Jochen Schneider: Wir müssen uns grundsätzlich mehr um unsere Spieler kümmern. Damit meine ich alle. Wir müssen unsere Neuzugänge besser integrieren, ihnen Hilfestellungen geben, aber auch ganz konkret verdeutlichen, was es bedeutet, für Schalke 04 zu spielen und welches Privileg dies ist.