Gelsenkirchen. . Tranquillo Barnetta kam von Bayer Leverkusen nach Schalke. Vor dem Duell seiner Ex-Klubs blickt der Schweizer im Interview zurück – und voraus.
Tranquillo Barnetta hat die hohen Erwartungen auf Schalke nicht erfüllen können, als er 2012 von Bayer 04 Leverkusen nach Schalke kam. Dennoch hat sich der Offensivspieler bei den Königsblauen sehr wohl gefühlt. Vor dem Duell seiner beiden Ex-Klubs verrät der 33-Jährige, wem er die Daumen drückt, was er an Schalke schätzt und warum er im Sommer seine Karriere beenden wird.
Tranquillo Barnetta, Ihr derzeitiger Arbeitgeber FC St. Gallen muss in der Schweizer „Super League“ erst am Sonntag ran, wo werden sie sich das Spiel zwischen Leverkusen und Schalke anschauen?
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Tranquillo Barnetta: Ehrlich gesagt, gar nicht. Bei mir ist zum Saisonende jede Menge los, es gibt viele Medienanfragen, auch weil ich angekündigt habe, im Sommer meine Laufbahn zu beenden. Die wenige freie Zeit, die bleibt, versuche ich mit meiner Familie zu verbringen. Ohne Fußball.
Wem gönnen Sie die drei Punkte mehr, Leverkusen oder Schalke?
Barnetta: Puh, schwierig.Wenn ich auf die Tabelle schaue, braucht Leverkusen die Zähler dringend für die Champions League. Deshalb geht meine Tendenz zu Bayer. Für Schalke könnte es befreiend wirken, dass der Abstieg kein Thema mehr ist, das kann Kräfte freisetzen. Aber sollte Leverkusen in Führung gehen, dürfte bei den Schalkern nach dieser aufreibenden Saison die letzte Konsequenz fehlen, um das Spiel noch umzubiegen.
Hat es Sie überrascht, dass zwischen Leverkusen und Schalke in dieser Saison Welten liegen?
Barnetta: Natürlich hätte ich gedacht, dass Schalke viel weiter vorne landet, wenn auch nicht auf Platz zwei wie in der Vorsaison. Dass es so schief laufen würde, hätte ich nie erwartet. Ich habe noch bis weit in die Saison hinein gedacht: Die kommen schon noch. Aber so kann es gehen, wenn du einmal unten drin stehst – plötzlich wird alles, was vorher leicht fiel, ganz schwer.
Sie spielten von 2005 bis 2012 bei Bayer, gingen dann ablösefrei nach Schalke. Eine gute Entscheidung?
Barnetta: Würde ich jederzeit wieder machen, auch wenn die Umstände damals schwierig waren. Ich kam aus einer langwierigen Verletzung, hatte in der Saison zuvor, glaube ich, nur fünf Spiele gemacht. Ich wusste, dass es hart werden würde. Aber die Aussicht, für diesen geilen Verein in dieser Arena und noch dazu erstmals in meiner Karriere Champions League zu spielen, war verlockend. So eine Chance kriegst du nicht oft.
Was unterscheidet Schalke von Leverkusen?
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Barnetta: Vor allem die Anhängerschaft! Wenn wir in Leverkusen Fanklub-Besuche machten, betrug die Fahrtzeit maximal 15 Minuten. (lacht) Als Schalke-Profi bist du teilweise bis nach Leipzig geflogen. Der Verein hat Fans in ganz Deutschland, wenn nicht in der ganzen Welt. Und die sind obendrein ziemlich fanatisch. Wenn du zwei, drei Mal verloren hattest, wusstest du: Jetzt wird’s ungemütlich beim Training, zumal dort oft ein paar hundert Zuschauer waren. Auch das Medieninteresse war auf Schalke viel größer. Mit Leverkusen kamen wir in den Zeitungen erst ab Seite vier vor, selbst wenn wir um die Meisterschaft spielten. Davor kamen immer drei Seiten über den 1. FC Köln – auch wenn der gerade gegen den Abstieg kämpfte.
Sie selbst tauchten auf Schalke eher selten in den Medien auf. Nur einmal gab es Wirbel: Als Sie 2014 bei einer 1:4-Pleite in Gladbach auf der Bank schmorten, erschien auf Ihrer Facebook-Seite noch während der Partie: „3 Wechsel, kein Quillo! Na dann: hopp Gladbach“ – ein eidgenössischer Anfeuerungsruf für den Gegner.
Barnetta: Mir wäre es lieber, das wäre nie passiert. Aber nach so vielen Jahren kann ich darüber schmunzeln. Ein Bekannter betreute damals meine Facebook-Seite. Und der hatte sich offenbar ziemlich darüber geärgert, dass ich trotz Rückstands nicht eingewechselt wurde. Mit diesem Post hat er ganz klar übertrieben, trotzdem bin ich ihm heute nicht mehr böse, auch wenn das Ganze mehr als peinlich für mich war.
Ansonsten galten Sie als Musterprofi – obwohl Sie im Winterurlaub regelmäßig aufs Snowboard stiegen, was laut Lizenzspieler-Vertrag verboten war.
Barnetta: Sagen wir, es war eine Grauzone. Laut Vertrag waren „gefährliche Sportarten“ verboten, aber wenn man es kann, ist Snowboarden ja nicht gefährlich (lacht). Außerdem haben mich die Vereinsvertreter Jahr für Jahr vor der Winterpause gefragt: „Und, geht’s wieder zum Skifahren? Na dann, viel Spaß!“ Da dachte ich, das wird schon passen. Mit den Jahren bin ich allerdings vorsichtiger geworden und kaum noch aufs Board gestiegen.
Die Saison 2014/15 unter Jens Keller und Roberto Di Matteo, war mit drei Toren und fünf Assists in 22 Bundesliga-Einsätzen Ihre beste auf Schalke. Warum gingen Sie anschließend, mit 29 Jahren, zu Philadelphia Union in die MLS?
Barnetta: Auch wenn ich auf Schalke eine tolle Zeit hatte, gegen Ende war ich, ebenso wie Christian Fuchs, kaum noch gefragt. Warum? Das weiß ich bis heute nicht, aber mir war klar: Eine Verlängerung kommt nicht infrage. Ich wollte etwas ganz Neues erleben, was von der Welt sehen. Und die Aufgabe, in Philadelphia eine Führungsrolle einzunehmen, war sehr, sehr reizvoll.
Derweil entließ Schalke Di Matteo. Es kam Breitenreiter, dann Weinzierl, dann Tedesco. Derzeit baut man sogar die komplette sportliche Führungsetage um – ist die mangelnde Kontinuität ein Problem?
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Barnetta: Jeder Trainer- und Führungswechsel trägt eine gewisse Unruhe in die Mannschaft. Ich bin kein Freund davon, allzu schnell die Reißleine zu ziehen. Ich denke, auf Schalke arbeiten sie jetzt daran, den richtigen Trainer für die nächsten fünf Jahre zu finden. Deshalb ist es richtig, die Zusammenstellung des neuen Führungsteams in aller Ruhe vorzunehmen.
Sie selbst beenden im Sommer Ihre Profikarriere nach zwei abschließenden Jahren bei Ihrem Heimatklub St. Gallen – mit nur 33 Jahren. Warum so früh?
Barnetta: Ich habe vor jeder Karriere-Entscheidung eine Pro- und Contra-Liste gemacht. Ein wichtiger Punkt war diesmal, dass ich selbst entscheiden wollte, wann ich aufhöre – nicht mein Körper. Wenn ich heute mit meinem Kleinen auf allen Vieren herumkrabbele, merke ich schon, wie schwer mir das fällt. Ich will nicht irgendwann mit einem künstlichen Kniegelenk rumlaufen, wenn es nicht sein muss.
Haben Sie noch Kontakt zu S04?
Barnetta: Zu einigen früheren Mitspielern wie Roman Neustädter. Wir hören uns nicht mehr so regelmäßig, aber ich weiß: Wenn ich morgen mit ihm telefoniere, ist es so, als hätten wir uns gestern das letzte Mal gesehen.
Und wie beurteilen Sie die Entwicklung Ihres Schweizer Landsmanns Breel Embolo auf Schalke?
Barnetta: Breel hatte eine ziemliche Hypothek aufgrund der hohen Ablöse, hinzu kamen die schweren Verletzungen. Deshalb konnte er nicht gleich alles in Grund und Boden bomben. Aber: Er ist erst 22, hat unglaublich viel Potenzial und kann auf Schalke noch eine ganz, ganz wichtige Rolle spielen. Vielleicht wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, mit ihm zu verlängern. In ein, zwei Jahren könnte es zu spät sein.