Gelsenkirchen. . Klare Hackordnung, innere Kraft: Der Kapitän erklärt Stärken des Schalker Siegerteams im Uefa-Cup. Und er verrät, warum er von den Bayern zu den Königsblauen zurückkehrte – trotz eines tollen Angebots.

Olaf Thon weiß noch ganz genau, wie es damals war – die Erinnerung an dieses Gespräch zwischen Kapitän und Trainer ist nicht zu löschen. Es läuft die Pause vor der Verlängerung in Mailand, das gigantische Giuseppe-Meazza-Stadion brodelt hoch bis unters Dach, auch auf dem Rasen ist die Anspannung kaum noch auszuhalten, als Huub Stevens auf ihn zukommt und nur ganz wenige Worte spricht.

„Olaf, was meinst du?“, fragt Stevens seinen Kapitän. „Sollen wir Ingo für ein Elfmeterschießen einwechseln?“

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Vor Schalke liegt noch eine halbe Stunde Spielzeit bis zum größten Triumph der Vereinsgeschichte, aber Stevens schmiedet in diesem Moment den Plan, wie Inter Mailand im Elfmeterschießen zu besiegen ist. Ingo Anderbrügge ist eigentlich Schalkes bester Schütze, aber weil er in der Bundesliga zuvor zwei Elfmeter vergeben hat, zieht Stevens bei dieser wichtigen Entscheidung seinen Kapitän zu Rate.

Thon stimmt dem Plan zu

Olaf Thon stimmt dem Plan zu, und etwas mehr als 30 Minuten später donnert Ingo Anderbrügge den ersten Schalker Elfmeter so wuchtig in die Maschen von Mailand, dass das Netz den Ball zuerst gar nicht wieder hergeben will.

„Diese Klebe von Ingo”, sagt Olaf Thon 20 Jahre später, „hat uns allen so viel Kraft gegeben, dass wir die Sicherheit für die weiteren Elfmeter bekommen haben.” Und weil Jens Lehmann im Schalker Tor sich den Mailänder Schützen „wie eine Wand” entgegenstellt, ist der FC Schalke 04 an diesem Abend des 21. Mai 1997 durch einen 4:2-Sieg nach Elfmeterschießen im Final-Rückspiel bei Inter Mailand Uefa-Pokal-Sieger.

Manager Assauer hatte sein Wort

Szenenwechsel. Wir sitzen auf der Terrasse im „Schalker” an der Geschäftsstelle, Olaf Thon genießt einen Kaffee, die Sonne und die Erinnerung an jene Zeit. Doch eigentlich hat das, was in Mailand seinen Höhepunkt fand, schon drei Jahre vorher begonnen. Und es wäre nie dazu gekommen, wenn Rudi Assauer im Frühjahr des Jahres 1994 nicht so hartnäckig gewesen wäre.

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Olaf Thon spielt damals bei den Bayern und ist seit acht Monaten verletzt, Assauer will ihn zurück nach Schalke holen. Als Schalke im Mai unter Trainer Jörg Berger den Klassenerhalt in der Bundesliga schafft, sagt Thon zu, doch nur zwei Tage später meldet sich Stuttgarts Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder bei ihm und macht ihm ein Angebot, das er nicht einfach vom Tisch wischen kann: „Es gab mehr Geld als auf Schalke, und der VfB spielte damals international.” Thon aber ist die Sache nach seiner langen Verletzungspause zu unsicher. „Ich wusste ja nicht, ob ich wieder kicken kann.” Und außerdem hatte ihm Assauer versprochen: „Egal, was passiert – wir glauben daran, dass du wieder gesund wirst.”

Assauer ist damals einer seiner engsten Vertrauten. Der Manager hat bei den klammen Schalkern über Monate die drei Millionen Mark Ablöse für den nach dem Abstieg 1988 an den FC Bayern verlorenen Sohn zusammengekratzt. Eine Absage, das weiß Thon, hätte auch Assauer beschädigt – das wollte er vermeiden: „Ich hatte ihm den Handschlag gegeben, dann kann man nicht einfach umschwenken.”

Mit der Rückkehr von Olaf Thon legt Assauer damals den Grundstein für das Wunder von Mailand. Was bisher kaum bekannt ist: Schalkes damaliger Trainer Jörg Berger hatte den Nationalspieler gar nicht als Libero eingeplant, er wollte ihn im offensiven Mittelfeld spielen lassen. Dass Thon seine spätere Paraderolle bekam, entschied allein Manager Assauer. Thon verrät: „Ich habe gespürt, dass Berger mich als Libero nicht auf dem Schirm hatte, aber Assauer hat gesagt: Olaf spielt da.”

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    Eine Entscheidung für die Zukunft, denn auf dem Weg nach Mailand war die Abwehr mit Thon als Libero und den beiden Manndeckern Thomas Linke und Johan de Kock das Schalker Herzstück: Alle sechs Heimspiele gegen Kerkrade, Trabzonspor, Brügge, Valencia, Teneriffa und Inter Mailand wurden ohne Gegentor gewonnen.

    Stevens machte ihn zum Chef

    Als Huub Stevens nach der ersten Runde Jörg Berger ablöst, verfestigt sich die Position von Thon: Nicht nur als Libero, sondern auch als Chef der Mannschaft. Wie die Macht auf Schalke damals verteilt war, erklärt Olaf Thon nach 20 Jahren. Rudi Assauer stand als Manager über allen, Huub Stevens führte als Trainer eine neue Hackordnung ein, Charly Neumann war als Betreuer das wichtige ausgleichende Element, und Thon war der Kapitän. „Wir vier”, sagt Thon, „waren so stark, dass wir alle Probleme regeln konnten.” Gerade auch in kritischen Situationen, und die wohl kniffligste dieser triumphalen Saison entstand nach dem Hinspiel im Halbfinale auf Teneriffa. „Da gab es Riesentheater”, erzählt Thon.

    Schalke verlor mit 0:1, Johan de Kock hatte einen Elfmeter verschossen. Dabei war der Abwehrspieler gar nicht als Schütze vorgesehen – „er hat sich einfach den Ball geschnappt”, berichtet Thon. Im Nachhinein wertet der Kapitän das als Zeichen von Stärke: „Johan wollte mit dem Elfmeter Verantwortung übernehmen und mit seinem unbändigen Willen die Macht an sich reißen.” Aber nach dem Spiel hatte es in der Kabine zwischen Ingo Anderbrügge und Johan de Kock „gerumst“, wie Thon es ausdrückt: „Johan und Ingo waren beide keine einfachen Typen. Ingo hat kein Blatt vor den Mund genommen.” Doch auf dem Rückflug war der Streit schon wieder ausgeräumt – Schalkes damalige Mannschaft hatte die innere Kraft dazu.

    Ein guter Rat in Mailand

    Huub Stevens, erzählt Thon, hat ihn oft aufgefordert, als Chef dieser Mannschaft Farbe zu bekennen – „ich sollte nicht nur Jedermanns Liebling sein”. Als ihn Stevens in Mailand in der Pause vor der Verlängerung fragt, ob Ingo Anderbrügge fürs Elfmeterschießen eingewechselt werden soll, stimmt er zu.

    Der fünfte Elfmeter-Schütze an diesem Abend wäre Johan de Kock gewesen. Doch er musste nicht mehr antreten.