Gelsenkirchen. . Der legendäre TV-Reporter Werner Hansch kommentierte 1997 den Uefa-Cup-Sieg der Königsblauen in Mailand. Er erzählt, warum er sich ausgerechnet in der Stunde des Triumphes zurücknahm.

150 Meter entfernt von dem Ort, an dem vor wenigen Wochen in Dortmund der Bombenanschlag auf die Mannschaft des BVB verübt wurde, hat Werner Hansch ein Büro. Am Tag nach dem Attentat wurde ihm der Weg dorthin versperrt. Zwei junge Polizisten begleiteten ihn bis zur Tür, und plötzlich sagte einer der Beamten: „Haben Sie nicht Fifa ‘98 gesprochen?“ Er kannte die Stimme noch von diesem Computerspiel-Klassiker, Werner Hansch muss lachen. „So etwas passiert mir öfter“, erzählt er. „Die Stimme war immer mein Markenzeichen.“

Vom Uefa-Pokal-Sieg war Werner Hansch ergriffen

Am späten Abend des 21. Mai 1997 setzte er diese Stimme zuerst gewohnt kraftvoll und kernig ein, dann aber nur noch warm und wohlbetont. Bis er sogar schwieg. Der FC Schalke 04 hatte soeben im Finalrückspiel bei Inter Mailand als Außenseiter mit einem 4:2-Sieg nach Elfmeterschießen den Uefa-Pokal gewonnen, die Fans berauschten sich, und Werner Hansch, der für seine leidenschaftlichen Kommentierungen bekannte Live-Reporter des damals übertragenden Fernsehsenders Sat.1, war ergriffen.

Redakteur Peter Müller im Gespräch mit Werner Hansch.
Redakteur Peter Müller im Gespräch mit Werner Hansch. © Sebastian Konopka / FUNKE Foto Services

„Ich wurde besinnlich“, sagt er, „ich habe mich einfach mal zurückgenommen. Ich habe damals gemerkt, dass sich für mich ein Lebenskreis schloss – knapp 25 Jahre, nachdem ich zum ersten Mal ein Mikrofon in die Hand nehmen musste.“ Er sagt tatsächlich „musste“, denn zu seinem ersten öffentlichen Einsatz beim Fußball war er gezwungen worden.

Nie ein Bundesligaspiel gesehen – und dann direkt Stadionsprecher

78 ist er inzwischen, auch 20 Jahre nach jenem großen Abend von Mailand erinnert er beim Treffen in „Charlys Schalker“, der Gaststätte neben der Geschäftsstelle, zuerst an seinen kuriosen Einstieg in die Fußballbranche. Werner Hansch, geboren in Recklinghausen und aufgewachsen in einem Bergarbeiterviertel des Stadtteils Süd nahe der Grenze zu Herne, kommentierte zu Beginn der 70er-Jahre das Geschehen auf den westdeutschen Trabrennbahnen. Als der Gelsenkirchener Rennbahn-Geschäftsführer Hans Schneider, im Nebenjob Stadionsprecher in der Glückauf-Kampfbahn, im Februar 1973 verhindert war, musste Werner Hansch auf Schalke ran. Noch heute fasst er sich an den Kopf, wenn er erzählt: „Ich war über 30 Jahre alt und hatte noch nie ein Bundesligaspiel gesehen.“

Vom Stadionsprecher zum Fernsehkommentator

Ein Nichtschwimmer sprang also vom Zehnmeterturm. Wie der Debütant die Mannschaft vorlas, ist längst Kult („Mit der Startnummer 1: Norbert Nigbur!“), aber mit seiner Stimme wusste er vom ersten Tag an zu beeindrucken. Schalke behielt ihn.

Bis er als Fußball-Experte respektiert wurde, war es aber noch ein langer Weg. Wer nachts von Blumen träumt, wacht ja auch nicht morgens als Florist auf. Aus dem Stadionsprecher wurde zuerst ein WDR-Hörfunk-Reporter, dann ein ARD-Sportschau-Reporter, bevor er schließlich 1992 bei zu Sat.1 zur Legende aufstieg, weil er die übliche Fußballrhetorik durch ungewohnte Sprachbilder bereicherte. Sätze wie „Die Bergleute trugen früher ‘n Arschleder bei solchen Rutschpartien“ oder spontane Ausrufe wie „Ein geiles Tor!“ machten ihn unverwechselbar, man pries ihn als Stimme des Ruhrgebiets.

Werner Hansch spricht über das Uefa-Cup-Finale

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    Auf Schalkes Finale in Mailand aber hatte er sich zunächst nicht eingestellt, nach dem hauseigenen Rhythmus hätte Jörg Wontorra für Sat.1 nominiert werden müssen. Sender-Sportchef Reinhold Beckmann aber entschied sich für Hansch, Wontorra war schwer beleidigt, und Hansch spürte ungewohnten Druck: „Ich dachte: Wenn ich die Nummer in den Teich setze, schlagen sich einige Kollegen zu Hause auf die Schenkel.“

    In Mailand lief Hansch zur Hochform auf

    Vor dem Eingang zum Giuseppe-Meazza-Stadion saß ein Bettler, Werner Hansch hatte das Bedürfnis, ihm einen großen Lire-Schein in den Hut zu werfen. „Seltsam, aber das war für mich wie eine Erleichterung.“

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    Werner Hansch lief an jenem Abend zur Hochform auf. Inter Mailand glich Schalkes 1:0 aus dem Hinspiel aus, die Verlängerung blieb torlos – „und dann kam das Elfmeterschießen, das an Dramatik nicht zu überbieten war“. Dass Mailands Aron Winter verschoss, hatte Werner Hansch vorausgesagt („Der ist nicht gut drauf“), und als Marc Wilmots die Sensation perfekt machte, schallte die Begeisterung des Mannes am Mikro nur für ein paar Minuten in die Wohnzimmer. „Ich muss das jetzt erst mal verarbeiten, liebe Zuschauer“, sagte er dann – und ließ die Bilder sprechen.

    Zurück auf Schalke: Werner Hansch erinnert sich gerne an den Mai 1997.
    Zurück auf Schalke: Werner Hansch erinnert sich gerne an den Mai 1997. © Sebastian Konopka

    „Normalerweise jubelst du in so einer Situation mit voller Trompete los“, erzählt er heute. „Ich habe die Schalker den Moment genießen lassen.“ Noch im Stadion verneigte sich sein Chef Reinhold Beckmann. „Er sagte mir: Du hast heute Fußball-Geschichte geschrieben.“ 13,8 Millionen hatten zugeschaut, diese Quote war damals der Bestwert für Sat.1.

    Die Stimme verrät ihn

    Am Morgen danach saß Werner Hansch auf dem Rückflug nach Düsseldorf kurzzeitig neben Rudi Assauer, dem Manager, dem er freundschaftlich verbunden blieb. „Über den Wolken sagte er zu mir: Ab morgen gilt meine ganze Arbeitskraft dem Bau der neuen Arena. Und vier Jahre später wurde sie eröffnet.“

    Die Arena, dieser Glas- und Stahlpalast, symbolisiert die neue Zeit. In „Charlys Schalker“ sitzt an diesem Tag die Vergangenheit. Einige ältere Herren erkennen Werner Hansch sofort, höflich sprechen sie ihn an, höflich plaudert er mit ihnen. Er schätzt es sehr, wenn Umgangsformen eingehalten werden. Kürzlich hat ihn mal jemand angebrüllt: „Ey, bis’ du nich’ der Werner Hansch?“ Er antwortete: „Nee, ich bin Heribert Faßbender.“

    Die Stimme hat ihn dann doch verraten.