Basel. Um 1997 mit Borussia Dortmund die Champions League zu gewinnen, musste Ottmar Hitzfeld einen Helden opfern. 20 Jahre danach erinnert er sich.
- Um 1997 mit Borussia Dortmund die Champions League zu gewinnen, musste Ottmar Hitzfeld einen Helden opfern
- 20 Jahre danach erinnert er sich
- Es war Ottmar Hitzfelds größter Triumph
Start unser neuen Serie: Der Revier-Triumph - 20 Jahre danach. Vor 20 Jahren gewann der FC Schalke den Uefa-Cup und der BVB die Champions League. Fußball-Europa schaute auf das Ruhrgebiet. Und das Ruhrgebiet feierte die unerwarteten Erfolge. In Teil 1 spricht der BVB-Trainer Ottmar Hitzfeld über den großen Erfolg!
Den Moment mit Wolfgang Feiersinger im Hotelzimmer hat er niemals vergessen. Auch nach 20 Jahren nicht. Die stillen Sekunden unter vier Augen. Den leeren Blick gegenüber. „Das war die schwerste Entscheidung meines Lebens“, sagt Ottmar Hitzfeld heute noch.
Feiersinger saß vor ihm. Beide wussten: Klopft der Trainer am Morgen des Endspiels an die Tür, bedeutet das nichts Gutes. Hitzfeld zögerte nicht lange und sagte ihm: Du wirst im Finale gegen Juventus Turin nicht spielen. Du wirst nicht einmal im Kader sein.
Hitzfeld sagte ihm noch, dass er sich für Rene Tretschok entschieden hat. Dass Tretschok ein guter Joker ist und mehr taktische Möglichkeiten bietet, wenn der Spielverlauf Optionen verlangt. Feiersinger hörte da gar nicht mehr richtig hin.
Hitzfeld stand auf und ging.
In den Jahren danach hat er Feiersinger ein paar Mal getroffen. Eher zufällig als gezielt. Immer ging es herzlich zu. Ein Europacup-Sieg verbindet auf ewig. Gesprochen haben sie über jenen Augenblick im Arabella-Hotel in München nie. „Es bringt ja nichts“, so Hitzfeld.
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„Ich habe ihm den Höhepunkt seiner Karriere zerstört, den Traum seines Lebens“, weiß Hitzfeld. „In dem Moment erreichst du einen Spieler nicht. Er hört und sieht nichts mehr. Und hasst dich nur noch. Nach zwei Minuten habe ich das Zimmer verlassen.“
Rücksichtslos ehrlich vorm Triumph
Wie keine zweite Personalie verrät der Fall Feiersinger die Zielstrebigkeit, mit der Hitzfeld, von 1991 bis 1997 Trainer bei Borussia Dortmund, das 3:1 über Juventus Turin im Finale der Champions League in München geplant hat. Man kann behaupten: rücksichtslos ehrlich.
In der Rückschau hat der 68-jährige Hitzfeld, der Meister der Mannschaftsführung, hier den Grundstein für seine einzigartige Trainerkarriere gelegt. Dem Erfolg, auch seinem eigenen, hat er jedes Einzelschicksal untergeordnet. Er lächelt, wenn er darüber nachdenkt.
20 Jahre später Kaffeetermin in Basel. Ottmar Hitzfeld sieht entspannt aus. Die Haare sind grauer, die Falten markanter. Inzwischen ist er Großvater und genießt die Tage mit seinem Enkel. Trainer — will er nicht mehr werden. Sogar den Experten-Job bei TV-Sender Sky wird er zum Sommer beenden.
Beim Gespräch wird die Erinnerung an die alten Zeiten wach.
„Damals fing alles an“, sagt er. Der Champions-League-Sieg 1997 nach zwei Meisterschaften mit Dortmund. Das Theater um die Finanzen. Das eine Jahr als BVB-Sportdirektor. Der Wechsel zum FC Bayern. Lang, lang ist’s her.
Aus Dankbarkeit spielte keiner
Mit Manager Michael Meier telefoniert er heute noch regelmäßig; sie blieben Freunde. Dem damaligen Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Freundlieb schickt er jedes Jahr Glückwünsche zum Geburtstag. Mit dem ehemaligen Präsidenten Gerd Niebaum pflegt er keinen Kontakt. Wohl aus gutem Grund.
Nicht jeder Weggefährte hat damals verstanden, warum er Lars Ricken, den späteren Schützen des Jahrhunderttors zum 3:1, zunächst auf die Ersatzbank gesetzt hat. Und warum er, als alle Eventualitäten des Spiels durchdacht waren, Feiersinger aussortierte. Feiersinger war bis zu jenem Morgen des 28. Mai 1997 ein Fußballheld in Dortmund. Wochenlang hatte er den verletzten Abwehrchef Matthias Sammer ersetzt. Mit ihm blieb die Abwehr ohne Gegentor im legendären Halbfinal-Rückspiel in Manchester, als Jürgen Kohler den Cantona-Schuss von der Torlinie kratzte. Und jetzt sollte der Höhepunkt in München folgen.
Sammer meldete sich gesund zurück. Von außen betrachtet stand Hitzfeld vor der Wahl: Lässt er aus Dankbarkeit Feiersinger spielen, den braven wie zuverlässigen Libero aus Österreich, der den Laden zusammengehalten hat — oder doch Sammer, den Feuerkopf und Quertreiber aus Sachsen?
Ja, richtig gelesen: den Quertreiber. Sammer war der Oppositionsführer in der Mannschaft. Immer bemängelte er was am Trainer. Die Taktik. Die Aufstellung. Die Mannschaftsführung. Längst hatte er seinen Spitznamen weg: Motzki. Und doch hatte Sammer etwas Geniales.
In jenen Jahren gab es im deutschen Fußball in der Abwehrmitte noch die Libero-Position, die Franz Beckenbauer perfektioniert hatte. Ohne Gegenspieler stopfte ein Libero Löcher in der Verteidigung und nutzte, wie der Name andeutet, seine Freiheiten zum Spielaufbau.
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Hitzfeld interpretierte die Libero-Aufgabe in Dortmund völlig neu. Im Training hatte er das immer wieder einstudiert: Er ließ Sammer den Gegner schon vor der Abwehr attackieren und Überzahl im Mittelfeld schaffen— bei vollem Risiko, dass er überlaufen wird. Sammer aber beherrschte die Balance. Für Hitzfeld bestand kein Zweifel: Auch gegen Juventus Turin, gegen die Übermannschaft aus Italien, musst du in die Offensive gehen. Lässt man Superstar Zinedine Zidane, den Messi seiner Zeit, ungestört agieren, verliert man die Kontrolle über das Spiel. Also sollte Sammer spielen.
1997 Gegenwind beim BVB
Auf die Ersatzbank kamen: Ricken, Zorc, Herrlich, Tretschok, de Beer. Für Feiersinger blieb kein Platz. „Solche Entscheidungen habe ich als Trainer immer alleine getroffen“, sagt Hitzfeld, „Ich musste ja auch die Verantwortung übernehmen und den Kopf dafür hinhalten.“
An Gegenwind mangelte es 1997 nicht. Die Mannschaft war gespalten. Es gab die, die schon immer da waren. Und die Neuen. Urgestein Zorc verlor seine Position an den Schotten Lambert. Stratege Sousa bekam Sonderwünsche erfüllt. Immer mehr Spieler waren verletzt.
Das Resultat: Nach zwei Meistertiteln in Folge rutschte der BVB auf Platz 3 ab und geriet in Schieflage. Der BVB brauchte das Geld aus der Champions League. Damals kam nur der Meister direkt in die Königsklasse. Und der Titelverteidiger.
Der Druck auf Hitzfeld wuchs. „Natürlich habe ich die Strömungen gespürt“, erinnert er sich. Der Schatzmeister gab ihm zu verstehen, dass es finanziell schlecht aussieht. So wurde der Sieg in der Champions League zur Pflicht. „Der Verein kämpfte damals ums Überleben.“ Das 3:1 gegen Juventus Turin zögerte den Kollaps hinaus.