Essen. Traditionsverein aus dem Pott trifft Provinzklub vom Autobahnkreuz. Wenn die Rot-Weißen die Sportfreunde Lotte empfangen (19.30 Uhr, Hafenstraße), wähnt sich der Fußball-Fan im falschen Film, weil sportlich unerwartet klare Verhältnisse herrschen.

Traditionsverein aus dem Pott trifft Provinzklub vom Autobahnkreuz. Wenn die Rot-Weißen an diesem Freitag die Sportfreunde Lotte empfangen (19.30 Uhr, im Livestream und Live-Ticker), wähnt sich der Fußball-Fan im falschen Film. RWE ist als Tabellenelfter in der Regionalliga nur Mittelmaß, die Gäste als ungeschlagener Spitzenreiter wiederum das Maß aller Dinge. Wie scharf der Kontrast zwischen den beiden Kontrahenten ist, lässt sich an vielen Dingen ablesen. Lottes Medienbeauftragter Alfons Manikowski (53), einst in Diensten seines Heimatvereins SpVgg. Erkenschwick, hat ein wenig dabei geholfen, Licht ins Lotter Leben zu bringen.

ZU DEN ANFÄNGEN

Sportfreunde Lotte wurde 1929 gegründet. Die Mitgliederzahl beträgt heute rund 1500. „Fast 1000 davon sind Kinder und Jugendliche“, sagt Manikowski. Der Ortsteil Alt-Lotte, wo der Verein zu Hause ist und das Stadion steht, hat rund 4000 Einwohner. Zur Gemeinde Lotte zählen 13000 Einwohner.

Rot-Weiss Essen wurde 1907 aus der Taufe gehoben. Die Mitgliederzahl beläuft sich auf aktuell auf 4416 – also mehr als Alt-Lotte Einwohner hat. Mit rund 570 000 Bewohnern ist Essen neuntgrößte Stadt Deutschlands.

DIE GRÖSSTEN ERFOLGE

SF Lotte hat sich seit 1988 aus der Bezirksliga bis in die 4. Liga hochgearbeitet. 2008 ist der Klub in die Regionalliga aufgestiegen, wurde dort 2010 Vizemeister und 2013 ganz souverän Meister.

RWE war 1953 DFB-Pokalsieger, 1955 Deutscher Meister. 1994 erreichte man das DFB-Pokalfinale. Zwischen 1993 und 2007 spielte der Ex-Bundesligist viermal in der 2. Liga, stieg aber direkt wieder ab (1993 wegen Lizenzentzugs).

DAS LIEBE GELD

SF Lotte hat einen Pool von 250 Sponsoren, offiziell gibt’s zum Etat keine Angaben. Geschätzt wird er auf rund 1,5 Millionen. In jedem Fall haben die Sportfreunde eine clevere Finanzierung, denn nicht umsonst können sie sich einen Kader mit zweit- und drittliga-erfahrenen Spielern leisten. Auch die Insolvenz eines Hauptsponsors Anfang 2013 verkraftete der Spitzenreiter problemlos. „Wir sind breit aufgestellt und haben die vergangenen sechs Jahre jeweils mit einem Plus von 40000 € abgeschlossen.“

RWE hat das Budget für den kompletten Regionalliga-Kader einschließlich Funktionsteam bei rund 1,5 Mio. angegeben und die Sponsorenlandschaft seit der Insolvenz 2010 erheblich ausgebaut.

DAS STADION

Die ConnectM-Arena wurde im Sommer 1986 eröffnet. Sie wurde mitten auf einem Acker in Eigenregie der Mitglieder gebaut und gehört dem Klub. Fassungsvermögen: 7500. Sollten Lotte aufsteigen, erhält das Stadion die vierte Tribüne, so dass die vom DFB geforderten 10 000 Plätze gewährleisten sind. „Und das Stadion ist schon jetzt tauglich für HD TV-Übertragungen.“ Der Zuschauerschnitt beträgt 800 (Minimum in dieser Saison 540, Maximum 1140).

Das Stadion Essen wurde im August 2012 eingeweiht. Fassungsvermögen: ca. 21 000 Zuschauer. Eigentümer ist die Stadt Essen (GVE) – RWE und der Frauen-Bundesligist SGS sind die Mieter. Zuschauerschnitt: 8600 (7000/ 11 600).

Rot-Weiße Vergangenheit

Lottes Mittelfeldmann Tim Gorschlüter und der Youngster Jan Klauke haben früher das RWE-Trikot getragen. Der Rot-Weiße Benjamin Wingerter spielte in der Vorsaison noch bei Lotte. Doch mehr im Fokus stehen eher Lottes Trainer Ramazan Yildirim (38) und Neuzugang Ali Bilgin (32).

Yildirim hatte für Essen von 2003-05 insgesamt 59 Einsätze, knapp fünf Monate trainierte er 2011 RWE II in der Landesliga. „Ich habe dort meine schönste Zeit als Profi erlebt“, sagt Yildirim. Und, dass er an diesem Freitag viele Freunde wiedertreffen werde.

Das gilt auch für Bilgin. Der gebürtige Essener spielte von 2000 an sechs Jahr lang in der Ersten an der Hafenstraße, wechselte dann in die türkische Süper-Lig, wo er mit Fernerbahce Istanbul zweimal Vizemeister wurde und sogar Champions League spielte. Viele RWE-Fans hätten den ehemaligen Publikumsliebling gern wieder in Essen gesehen. „Wenn schon 4.Liga, dann gab es für mich nur zwei Optionen, RWE oder Lotte“, sagt Bilgin, der sich 2011 unter Yildirim bei RWE fit hielt und zuletzt vereinslos war.

RWE, so hatte Bilgin nach seiner Entscheidung für Lotte, gesagt, habe ihn nicht angerufen. RWE betont, dass man ständig Kontakt gehabt habe und wisse, welche Vorstellung Bilgin habe. Das Budget aber sei begrenzt. „Finanziell haben wir da keine Chance“, stellte RWE-Chef Michael Welling fest.

Zu diesem Thema will sich Ali Bilgin aber nicht mehr äußern. Nur so viel: „Ohne Ramazan Yildirim würde ich auch nicht in Lotte spielen.“ Bilgins Familie ist vor kurzem aus Essen nach Lotte gezogen. „Da lebt es sich nun einfacher.“

DIE BOSSE

Manfred Wilke (61) bezeichnet sich zwar als Fußball-Obmann, aber er ist der „Macher“ und bestimmt, wo’s lang geht. Der Unternehmer hat nicht nur ein beachtliches Netzwerk an Sponsoren geknüpft, sondern legt auch selbst Hand an. Es heißt, dass er Steine beim Stadionbau schleppte und den Stadionrasen notfalls wohl auch höchstpersönlich mähen würde. Ansonsten gibt es gewöhnliche Strukturen eines eingetragenen Vereins, mit einem dreiköpfigem Vorstand usw.. Alles Ehrenamtler, „die viel Herzblut in die Sache stecken und es sich beruflich auch erlauben können, unter der Woche nur für den Sport da zu sein. Bei uns ist alles recht klein gehalten, wenn entschieden wird, geht es auch sehr schnell“. Auf der Geschäftsstelle sitzen vier bis fünf Personen. „Aber sie ist durchgehend besetzt.“

Michael Welling (42), Wirtschaftswissenschaftler und Marketing-Experte, arbeitet seit 2010 hauptamtlich als 1. Geschäftsführender Vorsitzender bei Rot-Weiss. Ein zweiter hauptamtlicher Sport-Vorstand soll in den nächsten Monaten berufen werden. Im administrativen Bereich haben die Rot-Weißen ordentlich aufgestockt. Die Investition ins Personal lohne sich u.a. durch bessere Betreuung der Sponsoren, heißt es.