Essen. . In der kommenden Regionalliga-Saison, die nächsten Freitag startet, gehören die Fußballer von Rot-Weiss Essen zu den Aufstiegsfavoriten. RWE-Vorsitzender Michael Welling spricht im Interview über den Mythos Hafenstraße, Bier, Bratwurst und Bundesliga-Träume.

Deutscher Fußball-Meister war Rot-Weiss Essen in den 1950er-Jahren, Pokalsieger ebenso und Deutschlands erster Teilnehmer am Europapokal der Landesmeister. Doch die großen Zeiten sind lange vorbei. Nach Insolvenz und Zwangsabstieg fand sich RWE im Jahr 2010 in der NRW-Liga wieder. Aufwärts geht es erst wieder, seit Michael Welling (42) den Vorsitz an der Hafenstraße übernommen hat. In der kommenden Regionalliga-Saison, die nächsten Freitag startet, gehören die Essener zu den Aufstiegsfavoriten.

Herr Welling, mit welcher Zielsetzung geht Rot-Weiss Essen in die neue Spielzeit?

Michael Welling: Wir wollen uns tabellarisch auf jeden Fall verbessern. Das heißt, dass wir unter die ersten Drei kommen wollen. Ob es tatsächlich zu Platz eins reicht, das wird man sehen. Schließlich gibt es Vereine, die ganz andere finanzielle Mittel haben als wir.

Sie meinen vor allem Viktoria Köln?

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Welling: Natürlich. Die Viktoria hat mit Pele Wollitz einen sehr prominenten Trainer und einen Kader voller ehemaliger Zweitligaspieler, die das Fünf- oder Sechsfache von unseren Spielern verdienen. Alles andere als die Meisterschaft für Köln wäre eine riesige Überraschung. Wenn alles normal läuft, werden die vorne weg marschieren, wie Red Bull Leipzig in der letzten Saison in der Regionalliga Nordost.

Wen erwarten Sie noch in der Spitzengruppe?

Welling: Hinter Viktoria Köln kommen sicherlich Fortuna Köln und die Sportfreunde Lotte. Dazu vielleicht noch die beiden Wundertüten Alemannia Aachen und Uerdingen. Und natürlich wir. Wobei für uns das alte Swingermotto gilt: Alles kann - nichts muss.

Können Sie das auch Ihren Anhängern vermitteln, die so sehr auf die Rückkehr zu altem Glanz hoffen?

Welling: Ich glaube, dass auch unsere Fans in den letzten Jahren realistischer geworden sind. Natürlich träumen alle davon, dass RWE irgendwann wieder in die Bundesliga aufsteigt – aber davon träumen auch die Fans von Lippstadt. Leider spielen wir aber nicht Wünsch-dir-was, sondern müssen uns alles hart erarbeiten. Unser Ziel ist es, mit Leidenschaft und Geilheit die Geldtüten der anderen Klubs zu schlagen.

Welling: Man braucht kein großes Geld, um aufzusteigen 

Einig sind sich aber wohl alle, dass Rot-Weiss Essen eine Bereicherung für den Profifußball in Deutschland wäre. Das Potenzial dafür ist schließlich vorhanden.

Welling: Von dem riesigen Potenzial haben die Leute hier schon vor 50 Jahren geschwärmt. Aber mein Doktorvater hat immer gesagt: Wer immer von Potenzial redet, der hat auch was falsch gemacht. Wir machen weiter kleine Schritte und arbeiten hart. Natürlich aber immer in der Hoffnung, dass diese Arbeit irgendwann mit Aufstiegen belohnt wird. Es gibt ja genügend Vorbilder, die zeigen, dass es theoretisch für alle Vereine möglich ist, auch ohne das große Geld in die Bundesliga aufzusteigen. Freiburg, Mainz oder Braunschweig zum Beispiel.

Andererseits stehen aber auch immer mehr Traditionsteams vor dem totalen Absturz. Haben Sie eigentlich Mitleid mit Alemannia Aachen oder dem MSV Duisburg?

Welling: Mitleid kann doch niemand gebrauchen. Ich fühle aber auf jeden Fall mit. Was die Fans von Duisburg, Wuppertal oder Aachen derzeit durchmachen, das wünscht man niemandem, der eine Fußball-Seele hat.

RWE eilt der Ruf voraus, besonders leidenschaftliche Anhänger zu haben. Stimmen Sie zu?

Welling: Natürlich, ohne seine Fans wäre Rot-Weiss Essen gar nichts. Ohne zu übertreiben kann man sagen, dass die Fans für 50 Prozent unserer Punkte sorgen. Zu welchem Viertligisten kommen schon im Schnitt 8000 Menschen pro Spiel?

Woran liegt das? Was macht den Mythos und den Charme von Rot-Weiss Essen aus?

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Welling: Das versteht jeder, der schon einmal an der Hafenstraße war. Es gibt einfach nur wenige Vereine, die so speziell, so besonders, so aufregend sind wie RWE. Wer in Hamburg zu St. Pauli geht und in Berlin zu Union, der geht im Ruhrpott zu uns. Auch weil es hier rauer und dreckiger zugeht als bei anderen Klubs. Natürlich darf man im Fan-Block schon mal sein Bier verschütten. Hafenstraße, das heißt noch Fußball, Bier und Bratwurst. Das heißt Fußball und Fankultur ohne Schnickschnack.

Am 6. August steht ein richtiger Höhepunkt an. Dann wird mit einem Spiel gegen Werder Bremen die Fertigstellung des neuen Stadions gefeiert. Wo wird Ihr Klub in fünf Jahren stehen?

Welling: Ich hoffe einfach nur, dass alles das, was Rot-Weiss Essen so besonders macht, auch in drei oder fünf Jahren Bestand hat. Dass die Leute nämlich nach den Spielen nach Hause gehen und sagen: An der Hafenstraße, bei RWE, war es wieder geil. Wenn die Fans das sagen, dann bin ich zufrieden. Ob in der zweiten Liga oder in der Kreisliga.