Essen. Nach der leidenschaftlichen Vorstellung gegen Borussia Mönchengladbach hat RWE die Messlatte für den Ligaalltag ziemlich hoch gehängt.

  • RWE-Kapitän Benjamin Baier wurde zum „Man of the Match“ gewählt.
  • Ein genialer Moment des Gladbachers Lars Stindl drehte das Spiel zugunsten des Favoriten.
  • Bei RWE-Trainer Sven Demandt überwog hinterher der Stolz auf sein tapfer kämpfendes Team.

RWE-Kapitän Benjamin Baier stand hinterher abgekämpft in der Mixed Zone des Stadions Essen, hielt fast achtlos ein Stück Plexiglas in den Händen und hätte es liebend gerne gegen einen schmutzigen Sieg eingetauscht. „Man of the Match” stand auf dem kleinen Stück Trophäe, nicht mehr als ein Trostpreis nach diesem furiosen Pokalduell. Über die Berechtigung der Auszeichnung gab es keine zwei Meinungen.

Spektakuläres Führungstor

Es war nicht nur sein spektakuläres Kopfballtor zur Führung gegen den hochfavorisierten Bundesligisten Borussia Mönchengladbach (Baier: „Ich weiß nicht, ob mir so etwas schon mal gelungen ist”), das ihn hierfür prädestinierte, mehr noch die spektakuläre Rettungsaktion nach 70 Minuten gegen Christoph Kramer, als er die Kugel mit dem Körper irgendwie um den Pfosten lenkte. „Ich weiß auch nicht, wie ich den noch erwischt habe, eigentlich war der schon drin”, meinte der Essener. Es war die Zeit, in der sich die heimischen Fans unter den 18 500 Zuschauern so ganz allmählich mit dem Gedanken an eine Pokalsensation vertraut machten. Ganz nach dem alten Fußballgesetz: „Wenn so einer schon nicht reingeht….”

Es war ein Trugschluss: Ein genialer individueller Moment von Nationalspieler Lars Stindl brachte die Scheinsicherheit zum Einsturz: Seinen mit der Hacke direkt weitergeleiteten Pass in die Gasse verwandelte der eingewechselte Jonas Hofmann im zweiten Versuch. Und als nur drei Minuten später Ibrahima Traoré mit dem nach außen gelockten Abwehrchef Philipp Zeiger mitten im August Schlitten fuhr, war es in der Mitte nochmal geschehen. Die spielerisch leichte Art, mit der Raffael nur noch einzuschieben brauchte, gaukelte den Gästen eine Leichtigkeit vor, die sie über 75 Minuten gänzlich vermissen ließen. Eng war es – und sehr knapp.

Regionalligist mit besseren Zweikampfwerten

Statistisches Zahlenwerk ist immer mit Vorsicht zu genießen, aber diese beiden Werte verdeutlichten die Extraklasse dieser Partie aus Sicht von Rot-Weiss: Bei der Zweikampfquote lag der Viertligist tatsächlich mit 51 Prozent vorne, und die persönliche Zweikampfbilanz von Zeiger (75 Prozent) erreichte auch kein Gladbacher.

Zum Trost gereichten diese Zahlenspiele dem Verlierer nicht. Nachgefragt bei Marcel Platzek, der sich für die anerkennenden Worte seiner ehemaligen Vereinskollegen an der Tanke auch nichts kaufen kann: „Dreimal, seitdem ich hier bin, sind wir jetzt in der ersten Runde gewesen, dreimal ausgeschieden, das ist echt scheiße”, murrte der Stürmer. Aber die Erinnerungen an diesen aufwühlenden Pokalabend sollten zumindest bis Mittwoch gegen den FC Kray anhalten. „Das werden wir seriös angehen und wieder Gas geben, damit wir wieder so ein Spiel erreichen”, kehrte dann schon wieder Trotz in Platzeks Aussagen zurück.

Bot im Mittelfeld eine starke Vorstellung: Timo Brauer.
Bot im Mittelfeld eine starke Vorstellung: Timo Brauer. © Thorsten Tillmann

Auch der Kapitän weiß zu genau, welche Erwartungen dieses Spiel bei allen geweckt hat. „Das ist der Maßstab, den wir bringen müssen”, so Baier, und er meinte nicht nur den Pokal: „Das bringt uns nichts, wenn wir das nicht in die Liga mitnehmen.”

Direkt nach dem Spiel bildeten die Verlierer vor der Westkurve gleich einen Kreis, und während die Fans, die viel zu diesem bemerkenswert störungsfreien Pokalfight beigetragen hatten, noch ihr Team abfeierten, hielt RWE-Trainer Sven Demandt eine Ansprache im Pulk. Auch wenn das mit dem Lippenlesen über die große Entfernung nicht klappte, kann man sich nur zu gut vorstellen, was der Inhalt dieser Ansprache war. Hinterher sagte er: „Ich bin extrem stolz darauf, was wir heute unseren Fans geliefert haben, das müssen wir in die nächsten Wochen mitnehmen.” Es fühlte sich jedenfalls am Freitagabend so an, als würde die Saison erst jetzt beginnen. Es ist ja auch noch nicht viel passiert.