Mönchengladbach. Matthias Ginter soll bei Borussia Mönchengladbach eine Stütze sein. Im Interview spricht er auch über die Extremsituation bei Ex-Klub BVB.
Ein Fußball-Weltmeister zum Bundesliga-Tabellenneunten? Für viele Beobachter war der Wechsel von Borussia Dortmunds Nationalspieler Matthias Ginter zu Borussia Mönchengladbach unerwartet. Nicht für Bundestrainer Joachim Löw. Der hatte den 23-jährigen Freiburger am Rande des Confed-Cups in Russland bestärkt, bei einem anderen Klub eine Führungsrolle anzustreben. Nicht nur beim Gastspiel in Leipzig am Samstag (18.30 Uhr/Sky) soll Ginter eine Stütze sein.
Herr Ginter, Mittwoch hat Ihr ehemaliges BVB-Team bei Tottenham Hotspur gespielt, das im Sommer an Ihnen interessiert war. Ging Ihnen nicht der Gedanke durch den Kopf: Mensch, in Wembley hätte ich eigentlich auch spielen sollen?
Matthias Ginter: Natürlich möchte ich in der Champions League spielen. Aber ich habe den Schritt zu Gladbach vor allem deshalb gewählt, um eine Führungsrolle in einer Mannschaft zu übernehmen. Deshalb gehen mir solche Gedanken nicht durch den Kopf.
Wer führt denn von hinten die Gladbacher: Sie oder Vestergaard?
Ginter: Wir führen sie gemeinsam. Die Mannschaft haben wir vor uns, sehen alles und können den Mitspielern helfen. Auf dem Platz bin ich ein Lautsprecher, außerhalb eher nicht so.
Haben Sie Ihr Ständchen bei der Mannschaft schon gegeben?
Ginter: Ja, „Hero“ von Enrique Iglesias. Man kann beim Einstand ruhig den Mut zum Schlechten mitbringen. Und glauben Sie mir, ich war richtig schlecht. Aber es war sehr lustig. Und der ganze Tag in Rom zuvor war ohnehin herausragend.
Sie sprechen Gladbachs Papstbesuch an.
Ginter: Das war ein Höhepunkt in meinem Leben, die für mich bedeutendste Persönlichkeit der Welt zu treffen. Er hat uns auf Latein gesegnet und uns mit auf den Weg gegeben, stets auch Demut außerhalb des Platzes zu zeigen. Fußballprofi mit all den Privilegien zu sein, das ist nicht selbstverständlich.
Wie viel spielt die Wertschätzung, die Ihnen vielleicht beim BVB nicht immer gezeigt wurde, für einen Profi eine Rolle für den Wechsel?
Ginter: Eine große. Vertrauen spüren, Wertschätzung bekommen – das braucht man einfach. Nicht nur im Fußball. Sportdirektor Max Eberl hat sich seit drei Jahren um mich bemüht, Trainer Dieter Hecking wollte mich im vergangenen Jahr nach Wolfsburg holen. Die Statistik in Dortmund mit vielen Spielen, Einsätzen in der Innenverteidigung, als Rechtsverteidiger oder als defensiver Mittelfeldspieler sprachen letztlich für mich. Trotzdem hatte ich lange keinen festen Platz. Variabel zu sein, war Fluch und Segen zugleich. In Gladbach werde ich meine Lieblingsposition Innenverteidiger bekleiden.
Knapp 20 Millionen Euro inklusive Boni bedeuten für Gladbach eine Rekordablöse. Macht Ihnen das nicht ein wenig Angst?
Ginter: Die Ablöse ist für mich eher Wertschätzung und Ansporn. Es würde einen verrückt machen, und es wäre auch kontraproduktiv, sich über die Summen ständig einen Kopf zu machen. Oder daraus Wunderdinge abzuleiten, die man vielleicht gar nicht liefern kann.
Der Start mit der neuen Borussia war erst gut, wird nun aber vom 0:1-Rückschlag gegen Frankfurt geprägt. Wo liegt noch Arbeit?
Ginter: Wir sind noch nicht kompakt genug im Defensivverhalten, lassen zu viele Schüsse zu, auch wenn drei Gegentreffer in drei Spielen keine schlechte Quote darstellen. Dass wir in Augsburg und gegen Frankfurt zweimal den Start verschlafen, ist auch ein Kritikpunkt. Das können und müssen wir besser machen.
Ihr ehemaliger BVB-Trainer Thomas Tuchel soll Sie mal in der Kabine geohrfeigt haben?
Ginter: Es war eher ein „Feigchen“. Und ich war nicht der Einzige. Ihm hatte bei einem Abendspiel in der Hinrunde im vergangenen Jahr das Aufwärmen nicht gefallen, er wollte uns wachrütteln.
Mit Thomas Tuchel haben Sie auch den Anschlag auf den Dortmunder Mannschaftsbus erlebt, der nun fünf Monate her ist. Haben Sie die Eindrücke vom 11. April mittlerweile verarbeiten können?
Ginter: In den Wochen danach gingen mir viele Gedanken durch den Kopf. Sogar für einen Moment, aufzuhören mit Profifußball. Die Zeit hilft sicher über die Geschehnisse hinweg, sie schützt aber nicht davor.
Sind Sie drüber weg?
Ginter: Ich war über Wochen sehr nachdenklich, schließlich war es eine Extremsituation. Das unruhige Gefühl, das man jetzt hat, wenn man Lkw in einer Fußgängerzone oder abgestellte Rucksäcke sieht, gehört offenbar mittlerweile zum Leben leider dazu. Dass wir am Tag nach dem Anschlag spielen mussten, empfinde ich nach wie vor als nicht richtig. Die Mannschaft wollte nicht spielen, konnte aber auch nicht viel mehr machen als aufzulaufen. Das Heimspiel gegen Monaco damals hat sich nicht wie Champions League angefühlt, sondern eher wie Trance.
Ihre Profikarriere hing in jungen Jahren wegen einer Verletzung in Freiburg mal am seidenen Faden.
Ginter: In der Tat. Der Haarriss in der Wirbelsäule, wegen dem ich sogar ein Korsett tragen musste, hat mich damals nachdenklich werden lassen. Lange war nicht klar, was ich hatte. Als 18-Jähriger hatte ich in Trainer Christian Streich eine starke Bezugsperson. Er hat gesagt: Keine Spritzen! Du nimmst Dir alle Zeit, das auszukurieren, und setze nicht Deine Karriere aufs Spiel!