Essen. 50 Jahre Frauenfußball im DFB: Das sind auch Tausende Geschichten. Hier die drei von Doris Kresimon, Silke Rottenberg und Nicole Anyomi.

Es ist der 31. Oktober 1970, an dem der Deutsche Fußball-Bund (DFB) sein 1955 erlassenes Verbot aufhebt und seine Satzung anpasst. Damit war es offiziell: Frauen dürfen Fußball spielen. 50 Jahre Frauenfußball im DFB – das sind 30 Jahre Bundesliga, zwei Welt-, acht Europameistertitel und vier olympische Medaillen. Aber auch Tausende Geschichten von Spielerinnen, deren Leben dieses Spiel verändert hat. Drei davon erzählen hier ihre Geschichte.

Doris Kresimon

Aufstellung zum ersten Länderspiel mit Doris Kresimon (oben, 2. v.r.)
Aufstellung zum ersten Länderspiel mit Doris Kresimon (oben, 2. v.r.) © dpa

„Wenn ich an das erste Spiel der Frauen-Nationalmannschaft zurückdenke, bekomme ich heute noch eine Gänsehaut. Wie damals am 10. November 1982 in Koblenz gegen die Schweiz. Ich habe vor Aufregung gezittert, als es losging. Ich trug dieses besondere Trikot, dann wurde die Hymne gespielt – das ging durch und durch. Endlich gab es einmal eine Frauen-Nationalmannschaft, wir spielten unser erstes Länderspiel. Heute ist das selbstverständlich, aber damals mussten wir lange dafür kämpfen. Und dann habe ich in der 25. Minute zum 1:0 getroffen. Ich war Mittelstürmerin, zum Toreschießen war ich da, Toreschießen war für mich normal, und so hatte ich mir über die sporthistorischen Dimensionen damals überhaupt keine Gedanken gemacht. Das erste Tor für Deutschland? Na und, dachte ich, ich mache doch immer meine Tore. Aber die Wahrnehmung der Besonderheit dieses Moments kam dann doch später, als ich immer wieder zu Jahrestagen darauf angesprochen wurde. Jetzt weiß ich diesen Treffer sehr zu schätzen: Wer schießt denn schon mal das erste Tor für Deutschland?

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Die Nationalmannschaft setzte sich damals überwiegend aus Spielerinnen des SSG 09 Bergisch-Gladbach zusammen. Deshalb waren wir auch schon richtig eingespielt. Sie müssen wissen: Die SSG 09 Bergisch-Gladbach war damals eine richtig große Nummer im Frauenfußball. Es war eine tolle Mannschaft mit vielen starken Spielerinnen. Wir haben riesige Erfolge gefeiert, wurden in meiner Zeit sechsmal Deutscher Meister, dreimal DFB-Pokalsieger und in Taiwan gewannen wir zweimal den inoffiziell ausgespielten Weltpokal. Es war eine tolle Zeit, wir hatten viel zu Feiern. Wir waren allerdings reine Amateure, haben alle nebenbei gearbeitet. Geld gab es fürs Fußballspielen keins. Wir haben unsere Ausrüstung bekommen, unsere Fußballschuhe - das war‘s. Oder doch: Einmal gab es für den Deutschen Meistertitel 250 D-Mark. Aber immerhin: Bergisch Gladbach hatte sich damals darum gekümmert, dass ich beim Wechsel eine Wohnung und einen Arbeitsplatz bekomme. Sonst wäre ich da 1977 ja nicht hingezogen, das ständige Pendeln wäre zu stressig gewesen.

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Zu Hause war ich damals nämlich in Essen. Dort habe ich auf dem Bolzplatz mit dem Fußballspielen angefangen. Schon als ich klein war, brauchte ich immer einen Ball, ich wollte keine Puppe. Wir lebten in der Nähe der Hafenstraße, mit meinem Vater ging ich immer ins Stadion zu den Spielen von Rot-Weiss. Als ich dann hörte, dass RWE eine Frauen-Mannschaft aufmacht, war ich die Erste, die sich angemeldet hat. Mein Vater war bei jedem meiner Spiele dabei, jeden Freitagabend hat er mir für das Wochenende die Schuhe geputzt und gesagt: ,Tochter, damit machst du deine zwei, drei Tore.‘ Hat auch fast immer geklappt.“

Doris Kresimon
(65) spielte siebenmal für die Nationalmannschaft, wurde 6x Deutsche Meisterin, 3x DFB-Pokalsiegerin und gewann 2x den inoffiziellen Weltmeistertitel

Silke Rottenberg

Silke Rottenberg 2008 als Spielerin des 1. FFC Frankfurt.
Silke Rottenberg 2008 als Spielerin des 1. FFC Frankfurt. © Stephan Eickershoff / WAZ

„Ich war selbst beim ersten EM-Titelgewinn für Deutschland 1989 dabei – als einer von über 20.000 Fans im Stadion ,An der Bremer Brücke‘ in Osnabrück. Gänsehaut pur. Selbst hätte ich mir damals nie träumen lassen, einmal in der Nationalmannschaft zu spielen. Ich komme aus dem kleinen Voreifeldörfchen Dürscheven. Dort habe ich 1976 als Vierjährige mit dem Fußball angefangen - bei den Jungs. Was aber auch gut war, denn ich habe gelernt, mich durchzusetzen. Ich war zur damaligen Zeit nicht einmal das erste Mädchen in unserem Dorf, das mit den Jungs spielte, und überhaupt wurde ich gut aufgenommen, alle fanden es cool.

Mein Vater war selbst Fußballer, aber es war nicht so, dass meine Familie bei den Spielen als Zuschauer dabei war. Das erste Mal, dass sie live vor Ort waren, war tatsächlich erst 1991 in Berlin beim DFB-Pokalsieg mit Grün-Weiß Brauweiler. Aber meine Eltern waren immer begeistert und haben mich unterstützt, sonst hätte ich meinen Weg nie gehen können.

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1993 war ich schließlich Torhüterin der Nationalmannschaft. Dabei war ich erst als 17-Jährige von der Liberoposition ins Tor gewechselt. Das Ganze war dann auch eher Learning by Doing. Gezieltes Torwarttraining bekam ich erst mit 24. Es waren die Jahre, in denen ein EM-Titel mal eben mitgenommen wurde – drei Tage später war wieder Alltag für alle, und ich stand als Zahnarzthelferin wieder in der Praxis. Damals war es schon fast „normal“, dass die deutschen Frauen mindestens im Halbfinale eines großen Turniers stehen, da wurden die meisten Erfolge in der breiten Öffentlichkeit nicht wirklich groß gewürdigt. Das hat sich mittlerweile ja zum Glück geändert, die Ausrichtung der WM 2011 wurde in Deutschland gefeiert, der WM-Titel 2007 und Olympia-Gold 2016 hielten einen Boom aufrecht, der so wirklich mit dem WM-Titel 2003 begann.

Als wir 2003 in den USA waren, hatten wir gar nicht mitgekriegt, dass die Begeisterung auch in Deutschland so groß war. Dass die Einschaltquoten im Fernsehen trotz Zeitverschiebung hoch waren, als wir den haushohen Favoriten USA im Halbfinale 3:0 geschlagen hatten. Richtig mitgekriegt haben wir das erst, als wir zu Hause waren. Die begeisterte Begrüßung am Flughafen, danach der offizielle Empfang im Frankfurter Rathaus -dem Römer-, dann raus auf den Balkon, mit tausenden begeisterter Fans am Römer– das hatten wir und der deutsche Frauenfußball so noch nie erlebt. Es war überwältigend. Ich bekam sogar noch in den USA ein Glückwunsch-Fax von Männer-Nationaltorhüter Frank Rost ins Hotel. Ich hätte damals nie gedacht, dass sich ein männlicher Profi unsere Spiele überhaupt ansieht. Letztendlich hatten wir das alles auch jenen Pionierinnen zu verdanken, die damals nicht den Kopf in den Sand gesteckt, sondern einfach die Ärmel hochgekrempelt und weitergespielt hatten.

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Nach dem WM-Titel 2003 haben sich so viele Mädchen für den Frauenfußball begeistern können, die Zuschauer strömten ins Stadion, Vereine wuchsen wie Pilze aus dem Boden, die TV-Übertragung der Länderspiele wurde fast zur Normalität. Mit 2003 ist eine neue Ära geschaffen worden, die den Frauenfußball hier wirklich belebt hat.

Heutzutage kann man über die verbalen Entgleisungen im Zusammenhang mit dem Frauenfußball, die es in den 70er-Jahren ja sogar im Fernsehen gab, nur schmunzeln. Es war ja teilweise einfach nur peinlich. Ich glaube, dass die Fußballerinnen damals sehr viel aushalten mussten. Aber, wie Frauen nun mal sind, lassen sie sich auch nicht von ihrem Weg abbringen. Als Power-Frauen wurde den Vorurteilen und Beleidigungen dann einfach getrotzt. Insgesamt kann man sagen: Wir haben den Kritikern in den vergangenen Jahrzehnten gezeigt, dass Frauenfußball mehr wert ist als ein Porzellangeschirr, das es für die Europameisterinnen 1989 als Titelpräsent vom DFB gab. Selbst ich hätte es mir nie träumen lassen, eines Tages als Teil der Gründungself der Hall of Fame für den deutschen Frauenfußball im Deutschen Fußballmuseum dabei zu sein. Geschweige denn, dass es eine Hall of Fame für den Frauenfußball jemals geben würde. Wenn man das den Leuten prophezeit hätte, die damals im Fernsehen Unsinn geredet haben zum Frühschoppen zum Frauenfußball kamen, um sich dort zu amüsieren, hätten die sich kaputt gelacht. Deshalb ist dieses Jubiläum, sind diese 50 Jahre Frauenfußball im DFB, ein Grund, stolz zu sein.“

Silke Rottenberg
(48) war Welttorhüterin 2003, Fußballerin des Jahres 1998, 2x Weltmeisterin, 3x Europameisterin, 4x Deutsche Meisterin, 4x DFB-Pokalsiegerin und gewann einmal den Uefa-Pokal.

Nicole Anyomi

Nicole Anyomi
Nicole Anyomi © Michael Gohl / Funke Foto Services

„Klar gab es immer wieder mal blöde Sprüche auf dem Schulhof: ,Was will die denn hier?‘ ,Warum will das Mädchen mitspielen?‘ Typische Jungs-Sprüche eben. Aber wenn wir dann Fußball gespielt haben und die Jungs sahen, was ich was drauf habe, dann waren sie ruhig. Gelernt hatte ich einiges durch meine beiden Brüder, die mit ihren Freunden gespielt haben. Ich habe dann einfach mitgemacht. Aus dem Garten ging es auf den Bolzplatz und schließlich in den Verein. Irgendwann kam dann der Punkt, an dem ich realisiert habe, dass es mehr als ein Hobby ist. Da habe ich Fußball als Leistungssport angesehen. Was soll ich sagen: Dieser Sport bedeutet mir alles, Fußball ist mein Leben. Ich spiele fast jeden Tag und gucke auch in meiner Freizeit Fußball. Es mag sich jetzt etwas übertrieben anhören, aber wenn man mir den Fußball nehmen würde, könnte ich nicht mehr leben. In manchen Ländern ist Frauenfußball ja immer noch verpönt. Wer weiß, welche möglichen Talente dort nie einen Ball sehen dürfen.

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Umso schöner ist es, dass hier jeder Fußballspielen darf und dass ich ein Teil davon bin. Außerdem ist Fußball mehr als nur Sport. Er kann auch eine symbolische Kraft besitzen. Es war Anfang Juni, ich spielte mit meinem Klub SGS Essen im Viertelfinale des DFB-Pokals gegen Potsdam. Ich schoss ein Tor - und ging danach in die Knie. Es war eine Geste zur Unterstützung der Black-Lives-Matter-Bewegung, denn der gewaltsame Tod von George Floyd in den USA wenige Tage zuvor hatte mich sehr berührt. Auch ich wollte ein Zeichen setzen, und die Gelegenheit war passend. Selbst wenn die USA nicht um die Ecke sind, sind rassistische Taten wie diese nicht hinnehmbar. Und das sage ich nicht nur, weil meine Mutter aus Ghana und mein Vater aus Togo stammt.

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Überhaupt war es ein verrücktes Jahr. Die Corona-Unterbrechung, das Abitur mit all den verschobenen Prüfungen... Und dann das: Vor knapp drei Wochen war ich auf dem Weg nach Hause von einem Arzttermin, als eine Mitspielerin mich anrief und mir zur Nominierung gratulierte. Ich dachte an die deutsche U20-Nationalmannschaft, aber dann stellte sich heraus: Ich war für das Spiel der Frauen-Nationalmannschaft gegen England nominiert, das am vergangenen Dienstag hätte stattfinden sollen und leider wegen eines Coronafalls im englischen Team abgesagt wurde. Trotzdem konnte ich es nicht glauben, ich war sprachlos und musste erst mal realisieren, ob es wahr ist oder ob ich träume. Erst im Juli hatte ich mich im Pokalfinale gegen den VfL Wolfsburg böse verletzt. Erst hieß es, das Steißbein sei gebrochen, später stellte es sich als starke Prellung heraus. Nichtsdestotrotz musste ich länger pausieren, es war meine erste schwerere Verletzung meiner Karriere. Umso mehr weiß ich jetzt zu schätzen, wie großartig es ist, Fußball spielen zu können.“

Nicole Anyomi
(20), ist Bundesligaspielerin der SGS Essen, sie durchlief ab der U15 alle deutschen U-Nationalmannschaften