Rennes. Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg setzt auf einen hohen Spaßfaktor. Vor dem ersten WM-Spiel gegen China ist sie freundlich wie immer.

Nun ist es also offiziell: Martina Voss-Tecklenburg sitzt auf einem Podest und blickt in die Gesichter der Journalisten, die sich vor ihr versammelt haben. Sie lächelt, wie sie es häufig tut, wenn sie vor einem Spiel Fragen beantworten soll. Immer freundlich, mal sachlich, mal überschwänglich. So war es in den vergangenen Monaten auch, als die Presserunden im eher kleinen Kreise vor Testspielen und Trainingslagern abgehalten wurden. Doch der Rahmen ist nun ein anderer. Das Logo des Weltverbandes Fifa ziert Tische und Mikrofone, Fifa-Mitarbeiter laufen geschäftig in den Katakomben des Stadions in Rennes, umher, wo am Samstag Deutschland gegen China spielen wird (15 Uhr/ARD). Die WM in Frankreich hat begonnen. Und Martina Voss-Tecklenburg steht in ihrem ersten großen Turnier als Bundestrainerin der Frauen-Nationalmannschaft.

Vom DFB-Team wird automatisch der Titel erwartet

Ist sie nervös? Aufgeregt? „Zunächst bin ich stolz und demütig, Trainerin des Landes zu sein, in dem ich geboren bin. Wer weiß, wie ich mich kurz vor dem Spiel fühlen werde. Dann habe ich vielleicht feuchte Hände und Magengrummeln.“ Es ist ja nicht so, als hätte Martina Voss-Tecklenburg nicht schon so einige Turniere miterlebt. Als Spielerin, mit Meister-Trophäen dekoriert. Als Trainerin in der Frauen-Bundesliga und als Coach der Schweizerinnen, ebenfalls erfolgreich.

Gastgeber Frankreich gewinnt WM-Auftaktspiel mit 4:0

Nach einer kleinen Eröffnungsfeier sind Frankreichs Fußball-Frauen mit dem erhofften Sieg in die Fußball-Weltmeisterschaft im eigenen Land gestartet. Die Französinnen setzten sich am Freitagabend im Eröffnungsspiel klar und hochverdient mit 4:0 (3:0) gegen Südkorea durch. Vor rund 47 000 Zuschauern im ausverkauften Pariser Prinzenpark erzielte Eugenie Le Sommer (9. Spielminute) das erste Tor der WM. Wendie Renard (35./45.+3) erhöhte noch vor der Pause auf 3:0, so geriet der Auftaktsieg der Mannschaft von Trainerin Corinne Diacre in der Gruppe A nie in Gefahr. Amandine Henry (85.) sorgte für den Endstand. (dpa)

Aber das hier ist anders. Es ist die WM, die ganz große Bühne. Eine, auf der sich die gebürtige Duisburgerin mit der deutschen Nationalmannschaft beweisen muss. Einem Team, von dem nach vielen Erfolgsjahren mit zwei Weltmeister- und acht Europameisterschafts-Triumphen automatisch der Titel erwartet wird. Trotz all des Vorschuss-Lorbeers, trotz der erfolgreichen Testspielphase – für die 51-jährige Bundestrainerin gilt es nun den Beweis anzutreten, dass sie die Richtige ist.

Auch zum Männerfußball hat sie beste Kontakte

Martina Voss-Tecklenburg gehörte zu jenen Spielerinnen, die 1989 vom DFB das inzwischen legendäre Kaffeeservice als EM-Prämie erhielten. Seit 2009 ist sie mit dem Bauunternehmer Hermann Tecklenburg verheiratet, mit dem sie einst auch die Geschicke beim damaligen Männer-Oberligisten SV Straelen leitete. Sie sitzt aktuell im Aufsichtsrat des Männer-Bundesligisten Fortuna Düsseldorf. Der veröffentlichte gestern einen Offenen Brief. „Mit dieser Trainerin an der Seitenlinie ist in Frankreich alles möglich.“ (B. G.)

„Wenn mir der Druck mir Angst machen würde, dürfte ich so ein Amt nicht annehmen“, hatte Martina Voss-Tecklenburg bei ihrer Vorstellung im November gesagt. Es ist eine Haltung, mit der sie schon lange durchs Leben geht. Angst vor der Mutter, die ihr das Fußballspielen verbieten wollte? Hatte die junge Martina Voss nicht, sie ging trotzdem heimlich zum Training und gewann 1983 als 15-Jährige mit dem KBC Duisburg den DFB-Pokal und zwei Jahre später die Meisterschaft. „Fußball ist nichts für Prinzessinnen. Man muss sich durchsetzen können“, sagte die Außenstürmerin einmal als 17-Jährige. Angst vor zu hoher Belastung? Hatte sie später selbst als Nationalspielerin nicht. Hauptberuflich arbeitete sie als Bürokauffrau und zog noch Tochter Dina groß. Angst vor klarer Meinung? Schon als Spielerin hatte sie die nicht, am Ende beendete sie ihre Karriere als viermalige Europameisterin, Vize-Weltmeisterin, sechsmalige Deutsche Meisterin und viermalige Pokalsiegerin. Auch, wenn ihre klare Meinung nicht immer gut ankam: „Einiges, was ich damals zu Leuten gesagt habe, ist mir heute noch unangenehm. Ich war früher verbissener, wollte jedes Kartenspiel gewinnen und habe mein Umfeld manchmal überfordert.“

Voss-Tecklenburg hospitierte unter Jürgen Klopp in Dortmund

Was nicht bedeutet, dass sie es als Trainerin langsamer angehen ließ. Im Nachwuchsbereich des Fußballverbands Niederrhein betreute sie die jungen Alexandra Popp, Turid Knaak und Marina Hegering – Spielerinnen, auf die sie später während ihrer Zeit als Trainerin des Frauen-Bundesligisten FCR Duisburg bauen sollte. Und die nun auch in Frankreich dabei sind. „Martina war schon immer ein Charakter. Sie hat immer alles gegeben und sich stets weiterentwickelt“, sagt eine, die die heutige Bundestrainerin in ihrer Duisburger Zeit begleitete.

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Die 75-jährige Ursula Baak war viele Jahre lang Vorstandsmitglied des FCR Duisburg, der unter der Trainerin Martina Voss-Tecklenburg zweimal den DFB-Pokal und 2009 den Uefa-Women’s-Cup gewann, den Vorläufer der Champions League. Baak: „Ihre Kommunikationsstärke hat sie ausgezeichnet. Martina und ihre Mädels – das war immer eine Einheit.“ 2011 wurde die Trainerin jedoch überraschend entlassen, als der Verein in finanzielle Schieflage geriet. Auf einer der folgenden Pressekonferenzen stellte sich einige Spielerinnen - angeführt von der mehrfachen Bundesliga-Torschützenkönigin Inka Grings - demonstrativ auf die Seite der Ex-Trainerin. Die suchte derweil neue Herausforderungen, hospitierte unter Jürgen Klopp bei Borussia Dortmund und nach einem kurzen Trainer-Intermezzo beim FF USV Jena führte sie das Nationalteam der Schweiz überraschend zur WM 2015.

Nun also sitzt sie bei der aktuellen WM in der Pressekonferenz, 25 Stunden vor dem Spiel gegen China. Sie spricht über den Gegner, redet über das Torschusstraining. Mit Männer-Bundestrainer Jogi Löw und seinem Co-Trainer Marcus Sorg hat sie sich schon mehrfach über Taktik und Training ausgetauscht. Sie setzt auf schnellen Offensivfußball, hat aber auch verschiedene Defensivsysteme einstudieren lassen, um flexibel zu bleiben. Als die neben ihr auf dem Podest sitzende Stürmerin Svenja Huth ihre Trainerin lobt und noch einmal unterstreicht, wie viel Spaß es macht, unter ihr zu trainieren, lacht Martina Voss-Tecklenburg laut, offizieller Rahmen hin oder her: „Du spielst gegen China.“