Ottawa. Deutschlands Fußballerinnen wollen den WM-Sieg, den sie in der Heimat verpasst haben, in Kanada nachholen. Diesmal mit weniger Druck als 2011.
Selbst gebastelte Plakate und Deutschland-Fähnchen: Es gab einen netten Empfang durch 150 zumeist jugendliche Fans, als die deutsche Frauen-Nationalmannschaft nach ihrem achtstündigen Flug zur bevorstehenden Weltmeisterschaft (6. Juni bis 5. Juli) in Ottawa eintraf. Dann ging es in die vom Weltverband zugeteilte Herberge, das prachtvolle Fairmont Chateau Laurier, ein historisches Vier-Sterne-Schlosshotel im Zentrum der kanadischen Hauptstadt, das für die kommenden zehn Tage und die ersten beiden Gruppenspiele gegen die Elfenbeinküste (7. Juni/22 Uhr MESZ) und Norwegen (11. Juni/22 Uhr MESZ) als Wahlheimat dient.
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Direkt am Rideau Canal absolvierte das Team die erste Lauf-Einheit, aber fußläufig erreichbar sind auch das Parlamentsgebäude, der Major’s Hill Park und – für die Spielerinnen vielleicht am wichtigsten – die Einkaufsmöglichkeiten in der Rideau Centre Mall.
Kontrastprogramm zu 2011
Wer sich hier die nächsten Tage zwischen den Trainingseinheiten auf Kunstrasen die Beine vertritt, wird das weitgehend unerkannt tun können, was schon mal ein Kontrastprogramm zum Turnier vor vier Jahren ist. Kapitänin Nadine Angerer erinnert sich noch gut, wie das bei der Heim-WM war: „Wenn wir in den Supermarkt gegangen sind, war am nächsten Tag ein Foto in der Bild-Zeitung, dass wir Kaugummi gekauft haben.“ Der Umgang damit war ungewohnt, die Konsequenzen waren fatal. „Das Drumherum hat uns erschlagen“, räumt die 139-malige Nationalspielerin ein. Die räumliche und zeitliche Distanz zur Heimat (sechs Stunden Zeitverschiebung) soll für den zweimaligen Weltmeister nun ein Vorteil sein.
„Wir haben den Traum, den dritten Stern zu holen“, sagt Silvia Neid. Genau wie die Ausnahmetorhüterin gibt die Bundestrainerin ihre Abschiedsvorstellung von der WM-Bühne und hat ganz nebenbei noch etwas gutzumachen: das Viertelfinal-Aus bei der WM 2011.
"Wir hatten einen Rucksack mit 20 Kilo drin"
Nadine Angerer denkt an vieles mit einem Schaudern zurück. „Wenn man das im Nachgang beurteilt, waren wir zum Scheitern verurteilt. Wir waren mental gar nicht frei. Wir haben vom ersten Tag an nur funktioniert, aber so kannst du kein Turnier gewinnen.“ Den damals von ARD und ZDF verbreiteten Slogan („Dritte Plätze sind was für Männer“) verfluchten die Protagonisten, von denen zehn Spielerinnen jetzt wieder nominiert sind, nicht nur einmal, doch mit der öffentlichen Aufarbeitung taten sie sich lange schwer. Klartext wurde erst später geredet. „Wir hatten Riesendruck“, erzählt die 36-jährige Meinungsmacherin, „wir hatten einen Rucksack mit 20 Kilo drin.“
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Im Mannschaftshotel verkrochen sich die Spielerinnen auf ihren Zimmern, um sich mit großen Augen im Fernsehen zu betrachten, womit sie unbewusst in eine Parallelwelt abglitten, aus der „individuelle Schwierigkeiten“ (Nadine Angerer) entstanden. „Dann kann sich keine Mannschaft finden. Jetzt sind die Türen auf, jeder hängt mit jedem ab, egal, ob alt oder jung, egal, ob 100 oder drei Länderspiele.“ Ähnlich beschreibt auch Silvia Neid das Miteinander. Die 51-Jährige hat Konsequenzen gezogen: Der bei der WM 2011 überforderte Teampsychologe Arno Schimpf verlor seinen Job, dafür reiste zur EM 2013 der Mentaltrainer Markus Hornig mit.
Als vor zwei Jahren im südschwedischen Växjö nach einer holprigen Vorrunde das Gemeinschaftsgefühl verloren zu gehen drohte, verdonnerte die Trainerin die Verliererinnen eines Torschusswettspiels zu Kurzpräsentationen der Begriffe Teamgeist, Mut, Leidenschaft, Ehre, Traum und Motivation. Ein Erweckungserlebnis für Tugenden, die das Team bis zum Titel trugen. Hornig hat zwar wieder mit dem aktuellen Kader Sitzungen abgehalten, ist aber nicht mit nach Kanada gereist. Silvia Neid hält das nicht für nötig. Vielleicht, weil sie sich selbst verändert hat.
Die Leichtigkeit des Gastes
Vor vier Jahren wurde ihr in einem der vielen Trainingslager zum Geburtstag von Torwarttrainer Michael Fuchs ein Trikot mit der Aufschrift Gelassenheit geschenkt, doch gelebt wird diese Eigenschaft erst jetzt mit Überzeugung. Mit all den Fehlern von damals, davon ist auch Nadine Angerer überzeugt, würde eine Heim-WM „heute komplett anders laufen“. Leichter aber ist es als Gast in einem Land, das in erster Linie vom eigenen Team Großes erwartet. Wie sagt Deutschlands Torfrau: „Die Kanadierinnen wissen noch gar nicht, was auf sie zukommt.“