München. Joachim Löw sucht nach dem Aus im EM-Halbfinale gegen Italien erst einmal Abstand. Die Aufarbeitung, warum es mit dem ersehnten Titel nicht geklappt hat, muss noch einige Zeit warten.
Freiburg statt Kiew, Ruhe statt Turnierstress: Joachim Löw hat erst einmal genug vom Fußball. Der Bundestrainer zog sich in den beschaulichen Breisgau zurück, um die herbe EM-Enttäuschung zu verarbeiten. Auch Teammanager Oliver Bierhoff betonte nach dem 1:2 gegen Italien und dem Aus im Halbfinale, dass er „jetzt erst einmal Abstand“ brauche. „Das muss man erst einmal alles sacken lassen“, sagte er.
Am Freitag war die gescheiterte Titel-Mission in Frankfurt/Main zu Ende gegangen. Löw und Bierhoff fuhren ernüchtert nach Hause, viele der frustrierten DFB-Stars flüchteten sofort in den Urlaub. Die Analyse, warum es auch 16 Jahre nach dem letzten großen Titel wieder nicht geklappt hat, den Traum zu erfüllen, muss warten.
Nächster öffentlicher Auftritt unklar
Löw nimmt sich zunächst eine Auszeit - wann er das nächste Mal öffentlich auftreten wird, ist offen. Klar ist nur, dass der 52-Jährige auch beim ersten Länderspiel nach der EM am 15. August gegen Argentinien in Frankfurt auf der Bank sitzen wird. Fragen nach seiner Zukunft wies er energisch zurück. Diese seien „völlig unpassend“. Löw will nicht als Trainer in die deutsche Fußball-Historie eingehen, der zwar für ein schönes Spiel und eine tolle Philosophie stand, aber keinen großen Titel holte.
Der Bundestrainer ist zu ehrgeizig - und zu sehr wurmt ihn deshalb auch, sich ausgerechnet im Halbfinale verzockt zu haben. Auch wenn er erst einmal nicht über die WM 2014 in Brasilien sprechen wollte: Am Zuckerhut will Löw mit der Nationalmannschaft endlich das nachholen, was er in Polen und der Ukraine wieder verpasst hatte.
Projekt 2014 in den Startlöchern
Ein paar Wochen Ruhe also, dann geht's schon los mit dem Projekt 2014. Die Qualifikation für die WM beginnt bereits 7. September mit dem Spiel gegen die Färöer. Gegner auf dem Weg nach Brasilien sind zudem Österreich, Irland, Schweden und Kasachstan. Bis dahin, sagte Löw, müsse er sich seine „Gedanken machen, welche neuen Ansätze und Anreize man finden kann. Es gebe „neue Ziele, es beginnt ein neuer Abschnitt, eine neue Aufgabe“, auf die er sich dann wieder konzentrieren wolle.
Doch noch sitzt beim Bundestrainer „die Enttäuschung sehr tief“. Es sei alles „nicht so leicht abzuschütteln, das braucht Zeit, um das zu verarbeiten. Es ist gut, nun zur Ruhe zu kommen.“ Er wisse aber gar nicht, „ob das so schnell gelingt. Das braucht ein paar Tage, um Abstand zu gewinnen und die Dinge einzuordnen.“ Deshalb, sagte Löw, sei er sich auch nicht sicher, „wann die Aufarbeitung stattfindet“.
Die Mannschaft habe sich weiter nach vorn gearbeitet
Grundsätzliche Dinge will Löw aber „nicht infrage stellen. Die Mannschaft hat ein gutes Turnier gespielt, zum Teil Hervorragendes geleistet.“ Zumal sich die junge Mannschaft trotz der erneuten Pleite gegen die abgezockten Italiener in den vergangenen Jahren nach vorne gearbeitet habe. „Wir waren vor einigen Jahren nicht in der Lage, einigen Nationen fußballerisch Paroli zu bieten, inzwischen haben wir die eingeholt.“ Nun sei es das Ziel, „den einen oder anderen zu überholen“.
Das Personal, mit dem Löw diesen Versuch startet, wird sich nicht groß verändern. Selbst der 34 Jahre alte Miroslav Klose will noch zwei Jahre weiterspielen. Auf der Kippe steht aus dem 23-köpfigen EM-Kader, mit 24,4 Jahren der jüngste des Turniers, allenfalls Ersatztorwart Tim Wiese (30) - angesichts der jungen Konkurrenten Ron-Robert Zieler, Bernd Leno und Marc-Andre ter Stegen. Routiniers wie Lukas Podolski und Per Mertesacker, der schon bei der EM nur Zuschauer war, werden künftig noch stärker unter Druck geraten.
Kahn vermisst die deutschen Tugenden - Klinsmann optimistisch
Zwar vermisst der Ex-Kapitän Oliver Kahn die typisch deutschen Tugenden, „Grundeinstellungen wie Zweikampfhärte, Wille, Leidenschaft, Einsatz“ und auch Spieler, „die Verantwortung übernehmen“. Doch für einen früheren Bundestrainer ist „diese Mannschaft noch lange nicht am Ende“ ihrer Entwicklung. „Es drängen schon wieder noch jüngere Spieler ins Team. Das sichert auf Jahre hinaus den notwendigen Konkurrenzkampf, den man braucht, um eine Mannschaft weiterzuentwickeln“, sagte Jürgen Klinsmann den Stuttgarter Nachrichten.
Für ihn ist Löw genau der Mann, um diese Entwicklung voranzutreiben. Und selbst Ex-Kapitän Michael Ballack, mit dem Bundestrainer nicht gerade freundschaftlich verbunden, hält Joachim Löw „weiterhin für den richtigen Trainer'. Löw dürfe „jetzt nicht zurücktreten“, schrieb der 98-malige Nationalspieler in einer Express-Kolumne.
Dennoch dürfe man sich „die EM jetzt nicht schönreden. Das Aus ist gemessen am Können der Mannschaft eine Enttäuschung. Wenn du es nach 2008 und 2010 jetzt wieder nicht schaffst, einen Titel zu holen, fehlt irgendetwas“, sagte Ballack. Löw müsse jetzt den „richtigen Schlüssel finden“ und 2014 bei der WM in Brasilien „noch einmal angreifen“. Doch erst einmal ist Freiburg angesagt. (dapd)