Donezk. Spaniens Abwehrspieler Sergio Ramos verwandelte im Halbfinale der Europameisterschaft gegen Portugal einen wichtigen Elfmeter. Er löffelte den Ball ins Tor wie vier Tage zuvor der Italiener Andrea Pirlo. „Unser Trainer weiß, dass ich ein bisschen verrückt bin“, sagte Ramos.
Sie nennen ihn bei der „Selección“ seit jeher den „Zigeuner“. Soll aber nett gemeint sein. Sergio Ramos hat sich immer zu seiner Heimat bekannt, die in Camas, einer Gemeinde von Sevilla liegt. Dort lieben sie Flamenco. Und Stierkämpfe. Was schon viel erklärt. Die Andalusier mögen Spielchen, die zwischen Held oder Versager trennen. Oder auf Leben oder Tod gehen. „Sergio, wie bist du dazu gekommen, diesen Elfmeter so zu schießen?“ Es ist gleich die erste Journalisten-Frage in den Katakomben der Donbass-Arena.
Ramos hat Portugals Torwart Rui Patricio beobachtet
Ramos hatte selig lächelnd auf dem Podium Platz genommen, frisch geduscht und bestens frisiert. Wo andere danach kaum einen geraden Satz rausbringen, hat sich der 26-Jährige hingesetzt und geplaudert. Und erzählt, wie er den portugiesischen Torhüter Rui Patricio beobachtet habe („er hat sich immer in eine Ecke bewegt“), dass er sich alles so ausgemalt habe („ich hatte den Plan schon, als ich zum Punkt gegangen bin“), ja und dann habe er eben auch den Ball so lässig gelöffelt wie vier Tage zuvor erst der Italiener Andrea Pirlo.
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„Dieser Elfmeter war entscheidend“, sagte Ramos. Für Spanien. Aber vor allem für ihn. Denn bevor er anlief, sind unweigerlich andere Erinnerungen aufgekommen. An den 25. April, Madrid, Santiago Bernabeu. Genau dieser Real-Haudrauf, der im EM-Halbfinale gegen Portugal kühl wie Hundeschnauze verwandelte, verballerte im Champions-League-Halbfinale gegen den FC Bayern den entscheidenden Strafstoß, weil er ihn heißblütig über die Latte bolzte. Wie kann das sein? „Ein Fehler, daraus muss man lernen“, sagte Ramos. Er habe sich, sagte er wörtlich, „nunmehr den Stachel aus dem Leib gezogen.“ Provokant, doch gekonnt.
Die spanische Nummer 15 wusste auch, dass Nationaltrainer Vicente del Bosque diese hochriskante Ausführung entgegen der offiziellen Beteuerung zuwider war. „Unser Trainer weiß, dass ich ein bisschen verrückt bin“, beschied Ramos. Um mit Pathos auch noch dies mitzuteilen: „Es ist schön, dass meine Kinder in Jahren noch etwas über mich zu erzählen haben.“
Seine Metamorphose zum selbstsicheren Schützen sollte allen zeigen: Seht her, trotz aller Schwierigkeiten, wir stolzen Spanier sind wandlungsfähig. Und bereit zu Historischem. „Wir wollen das Finale gewinnen und Geschichte schreiben“, hat Ramos noch ausgerufen und so grimmig geschaut, als könne er damit einen wilden Stier bändigen. Solche unerschrockenen Krieger braucht seine verspielte Nationalelf gerade.
Tattoo-Liebhaber
Es ist nicht allzu lange her, da trug Ramos lange Haare, die auch zu jedem Indianerkostüm gepasst hätten. Die Mähne hatte er mit einem Bändchen gebändigt, das er sich mehrfach im Laufe eines Spiels zurechtrückte – das sah mitunter filigraner aus als manche fiese Abwehraktion. Doch der Welt- und Europameister hat sein Spiel verfeinern müssen. Er agiert für den verletzten Carles Puyol zentral in der Viererkette – und da kann jeder tumbe Stellungsfehler, jedes törichte Foul verhängnisvoll sein. Zur Weiterentwicklung passt auch der brave Kurzhaarschnitt besser; wenn er dazu sein Lächeln aufsetzt, könnte er sich als Liebling der Schwiegermutter bewerben. Das will einer wie der Tattoo-Liebhaber aber gar nicht. Er sieht sich als führende Kraft eines Teams, dem im Finale noch ein Kraft- und Balanceakt bevorsteht.
Denn Señor del Bosque befehligt gerade ein schwergängiges Ensemble, dem irgendwie die Leichtigkeit verlustig gegangen ist. Abhanden gekommen vielleicht in den Vereinen aus den zahllosen Abnutzungskämpfen mit dem FC Barcelona und Real Madrid. Und dann bei diesem Turnier auf unzähligen Flugkilometern zwischen der polnischen Ostseeküste und dem Osten der Ukraine. Immerhin waren die Sieger des iberischen Bruderduells so klug, nach dem Happyend von Donezk gleich im Trainingscamp des ukrainischen Meisters Schachtjor Donezk zu nächtigen, ehe die Weiterreise nach Kiew anstand. Was dort am Sonntag gefordert ist, hätte keiner besser ausdrücken können als Matchwinner Ramos. „Wenn wir am Sonntag nicht gewinnen, erinnern sich die Leute nicht an uns.“ Da hat der Zigeuner in ihm gesprochen.
Spanien erreicht EM-Finale