Essen. Über italienische Fußballer wird in Deutschland gerne gewitzelt. Andererseits bewundern viele EM-Zuschauer den lässigen Elfmeterschützen Andrea Pirlo. Kommen Deutschland und Italien sich näher, ausgerechnet vor dem brisanten Halbfinal-Duell? Ein Deutsch-Italiener erklärt, was uns verbindet.

Nach dem Viertelfinale Italien-England geschah in Deutschland etwas Ungewöhnliches - die Fußballreporter schwärmten unisono in höchsten Tönen von einem italienischen Spieler: Andrea Pirlo. Die Kaltblütigkeit, mit der Pirlo im Elfmeterschießen den Torwart mit seinem lässigen Lupfer austrickste, brachte ihm wahre Lobeshymnen und, was noch seltener ist, ehrlichen Respekt ein.

Ungewöhnlich ist das deshalb, weil hierzulande ansonsten gern abfällig über italienische Kicker gelästert wird – oft ist dann über Schwalbenkönige oder Schauspieler zu lesen.

Sollte sich da ein Mentalitätswechsel andeuten? Kommen Deutsche und Italiener sich näher, ausgerechnet vor dem brisanten Halbfinal-Duell? Die Wahrheit ist: Deutsche und Italiener mögen und schätzen sich gegenseitig viel mehr, als beide Seiten zugeben. Hier die Beweise.

Deutsche urlauben in Italien - und umgekehrt 

Dass die Deutschen die italienische Sonne und den blauen Himmel lieben, weiß inzwischen jeder. Selbst deutsche Kanzler urlauben in Italien. Schröder zog es ans Meer nach Positano, Merkel bevorzugt die Dolomiten. Viele Deutsche lieben vor allem Südtirol: Man genießt italienisches Urlaubs-Feeling und kann doch reden wie zuhause auf Balkonien.

Doch auch die Italiener zieht es immer öfter nach Deutschland. In Berlin hört man an jeder Straßenecke italienische Töne. Und wer einmal auf das Münchner Oktoberfest geht, der kann beobachten, wie begeistert die zahllosen Gäste aus dem Süden von der teutonisch-bayrischen Bier-Stimmung sind. Schade nur, dass man das Oktoberfest nicht gleich verbinden kann mit dem Besuch auf einem Weihnachtsmarkt – denn Glühwein und Lebkuchen schmecken auch Italienern immer besser.

Andererseits haben die Deutschen die italienische Tischkultur längst adoptiert. In Dortmund und Essen, Berlin und Frankfurt findet man mehr Pizzerien als deutsche Restaurants. Nach Pizza oder Pasta genießt man einen Espresso, in den Cafés hat der latte macchiato den cappuccino an Beliebtheit überholt, stracciatella ist die beliebteste Eissorte in Deutschland.

Wir mögen Italo-Mode, ihr unsere Autobahnen 

Gegensätze ziehen sich an. Während die Italiener die eiserne Disziplin (was einmal angefangen wurde, wird auch zu Ende geführt, auch wenn es keinen Sinn ergibt) sowie die Robustheit der Deutschen bewundern (italienische Medien greifen da gern zum Bild des deutschen „Panzers“), lieben die ach so robusten Deutschen an den Italienern gerade deren Unbefangenheit und mediterrane Leichtlebigkeit.

Gleiches gilt für die „typisch italienische“ Eleganz. Nicht umsonst ist Italo-Mode aus Mailand und Rom, etwa von Armani oder Dolce & Gabbana, heiß begehrt. Kanzler Schröder posierte einmal stolz für ein Mode-Magazin - in edlen Brioni-Anzügen. Übrigens: Welch geniale Verbindung Eleganz und Effizienz eingehen können, zeigte sich nie so eindrucksvoll wie in der Zeit, als der kühle Schumi mit seinem rassigen Ferrari die Formel 1 nach Belieben dominierte.

Vielleicht fühlen sich viele Italiener deshalb auch auf deutschen Autobahnen so wohl: dort bremst kein Tempolimit die Fahrt,

Eros Ramazotti und Inspektor Derrick als Exportartikel 

Oder nehmen wir die Musik. Die blonden Kessler-Zwillinge waren und sind in Italien mindestens so berühmt wie in ihrer deutschen Heimat. Die Deutschen ihrerseits stehen auf Eros Ramazzotti – selbst wenn der in die Jahre gekommene Italo-Rocker gelegentlich immer noch mit einem Kräuterschnaps verwechselt wird.

Die italienische Oper, von Verdi bis Rossini, verzückt die Deutschen ebenso wie die Italiener von der Musik Richard Wagners angetan sind (der ja immerhin in Venedig starb). Und nehmen Sie nur das Fernsehen. Deutsche Krimis sind bei den Italienern Renner – gerade der urtypische Deutsche Inspektor Derrick wurde in Italien zum Liebling im TV. Er trat dort sogar in einem Werbespot auf – für eine Versicherung.

Italien verdankt Deutschland den Papst 

Und wenn das dann alles noch nicht ausreicht als Beleg für die beiderseitige Wertschätzung, hier der ultimative Beweis: Was könnte beide Länder mehr aneinander binden als ein deutscher Papst im Petersdom von Rom!

Die Italiener haben Benedikt, den nüchternen Asketen aus der bayrischen Provinz, inzwischen fest in ihr Herz geschlossen. Doch heute Abend werden sie trotzdem beten: Habemus Pirlo.

Der Autor, Sohn einer deutschen Mutter und eines italienischen Vaters, ist Leiter der Politikredaktion am Content Desk bei der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung.