Danzig. Vor dem Anpfiff ringt Fußballdeutschland darum, aus den wenigen Hinweisen, die Bundestrainer Joachim Löw und seine gesamte Crew inklusive der Akteure liefern, zu erschließen: Wer könnten diejenigen sein, die den Auftrag erhalten werden, den Weg ins EM-Finale nach Kiew frei zu machen?

Seit fast zwei Monaten schon auf Achse, und dann auch noch ständig grübeln, grübeln, grübeln: So etwas schlaucht natürlich sogar den Bundestrainer. Vor dem Halbfinale der EM, vor diesem so bedeutungsträchtigen Schlagabtausch der Nationalmannschaft mit den Italienern im Ring von Warschau, kann sich Joachim Löw aber endlich einmal gemütlich zurücklehnen. Er muss nur sein Laptop aufklappen und sich an die Dienstleister wenden, die im weltweiten elektronischen Netz ihre Informationen zur Verfügung stellen. Welchen Namen werde ich denn am Donnerstag so gegen 19 Uhr für die Besetzung meiner linken Offensivflanke auf dem Aufstellungsbogen notieren? Ach, Lukas Podolski, ahnte ich es doch.

Ob der Neu-Arsenal-Mann tatsächlich von Beginn an Rasenluft atmen wird, darüber befindet am Ende natürlich allein der Bundestrainer. Und weil die seit Tagen global verbreitete Behauptung, es sei sicher, dass der Poldi spielt, nicht einmal mit einem Verweis auf einen Maulwurf mit Zugang zum Teamhotel versehen wurde, muss sie nicht ernst genommen werden. Vor dem Anpfiff ist eben Spekulationszeit. Vor dem Anpfiff ringt Fußballdeutschland darum, aus den wenigen Hinweisen, die Löw und seine gesamte Crew inklusive der Akteure liefern, zu erschließen: Wer könnten diejenigen sein, die den Auftrag erhalten werden, den Weg nach Kiew frei zu machen?

Italien „ist eine ganz andere Hausnummer“

Beim 4:2-Sieg im Viertelfinale gegen die Griechen hatte der Bundestrainer seine Offensivformation spektakulär umgebaut. Podolski, der 100-Spiele-Spieler, musste auf der Bank Platz nehmen. Thomas Müller, der Torschützenkönig der WM 2010, musste genauso zuschauen wie Mario Gomez, der in der EM-Vorrunde drei Treffer erzielt hatte. Dass Löw den alt gedienten Miroslav Klose und die jungen Marco Reus und Andre Schürrle aufbot, bedeutet allerdings nicht, dass eine Wiederholungstat zu erwarten ist. Den Griechen attestierte der Personalchef, „nicht die Qualität der anderen Mannschaften im Viertelfinale“ zu haben. Italien dagegen „ist eine ganz andere Hausnummer.“

Die Hausnummer 4514. Viermal hat eine deutsche Auswahl nämlich in der Geschichte erst gegen eine Italiens gewonnen, fünfmal gab es ein Remis, 14 Mal wurde verloren. Das azurblaue Trikot ist ein rotes Tuch für die Nationalmannschaft. Und gegen ein Ensemble mit so hoher Hausnummer jugendliche Dränger zum Einsatz zu bringen, wäre entweder mutig oder übermütig. Podolski weiß das. Deshalb hat er in seiner erlaubten Werbebotschaft in eigener Sache eine Zeile untergebracht, die Löw noch einmal daran erinnern soll, dass mit ihm Erfahrungswerte aus ebenso bedeutungsträchtigen Kämpfen in die erste Elf zurückkehren würden: „Ich habe so viel erlebt, so viele Spiele gemacht, so viele Turniere.“

Auch einem Thomas Müller ist bekannt, dass er im Gegensatz zum Konkurrenten Reus ein Superschwergewicht an internationaler Erfahrung in die Waagschale werfen kann. An einer Eiche des deutschen Fußballs wie Klose kommt Gomez in ähnlicher Weise nicht vorbei. Dass er gegen Griechenland pausieren musste, hatte der Bundestrainer ihm gegenüber jedoch mit der Notwendigkeit zur Erholungspause begründet: „Er wollte Spieler mit vollem Akku einsetzen.“ Und nach zehn Tagen Regeneration dürfte der Ladestand bei Gomez nichts zu wünschen übrig lassen. Während Löw aber bei der Viertelfinalpartie gegen England „offensiv denkende“ Italiener entdeckte, Kontrahenten also, die sich wahrscheinlich vornehmen würden, Deutschland in die Defensive zu zwingen, hat Klose verkündet: „Wenn der Gegner sich zurückzieht, dann kann man ja offensiv spielen.“

Klose lässt sich besser in offensiv orientiertes Aufbauspiel einbinden

Auch dabei handelte es sich um eine gut versteckte Werbebotschaft. Italien hatte 63 Prozent Ballbesitzzeit? Aber doch nur, weil der Engländer so ein Zurückzieher ist! Kloses Konkurrent Gomez hat eben seine Stärken, wenn der Gegner drückt und die Adlertrikotträger darauf spekulieren können, dass sich Situationen für Konter aus der Tiefe des eigenen Raumes ergeben. Klose lässt sich besser in ein offensiv orientiertes, Dominanz anstrebendes Aufbauspiel einbinden. Entscheiden über Rasen oder Nicht-Rasen dürfte damit schlicht der Plan, den der Bundestrainer austüftelt. Der Match-Plan.

Womit also könnten Spekulanten, Maulwürfe und Kaffeesatzinterpretern am Donnerstag noch überraschen? An diesem Tag, dessen Abend zwei große Fußballnationen so sehr entgegen fiebern? Diesem Abend, an dem die neue deutsche Nationalmannschaft die Voraussetzungen dafür schaffen will, am Sonntag im Finale von Kiew auf Titelkurs gehen zu können? Vielleicht damit, dass sie warten, bis Joachim Löw elf Namen auf den Aufstellungsbogen geschrieben hat. Und dann gilt, was Gomez so festgehalten hat: „Wichtig ist das anstehende Spiel.“