Danzig. Er ist die große Konstante im deutschen Spiel. Er ist der Chef im Hinterzimmer. Sami Khedira hat sich in der Nationalelf zu einem echten Führungsspieler entwickelt. Gegen Griechenland erzielte er sogar ein Tor - das wichtige 2:1. Ohne Khedira wäre die deutsche Elf deutlich weniger.

Steinerne Säulen tragen den Vorbau des Stadions in Danzig, Scheinwerfer unter der Decke leuchten sie aus. Es geht auf Mitternacht zu. Der Dieselmotor des Mannschaftsbusses röchelt schon vor sich hin, als Sami Khedira (25) die Kabine verlässt: weißes Einheitspolohemd, das lange nachtschwarze Haar tropfnass und mittig gescheitelt. „Ich bin froh“, sagt er, „dass ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort war.“ Er spricht von seinem Tor gegen Griechenland im Viertelfinale der Europameisterschaft. Und so wie er darüber spricht, klingt es, als sei es die Folge einer glücklichen Fügung gewesen. Die Folge eines Zufalls.

Aber so ist er wohl, dieser junge Mann aus dem Dörfchen Oefflingen bei Stuttgart, Sohn eines Tunesiers und einer Schwäbin. Das Flutlicht ist sein Rampenlicht, weitere Scheinwerfer meidet er meistens. So ist sein Verständnis vom Fußball: Einer allein ist nicht wichtig, einer allein ist nichts ohne die anderen. Aber ohne diesen Sami Khedira, das ist sicher, wäre die deutsche Mannschaft bei diesem Turnier bedeutend weniger.

Nationalspieler Sami Khedira ist die große Konstante in der DFB-Elf

Sein Tor, sein 2:1 gegen die Griechen brachte Deutschland auf Halbfinalkurs und vertrieb die Zweifel am Erfolg, die sich nach dem Ausgleich hätten einschleichen können. Aus dem hinteren Zentrum des deutschen Spiels war er vorgedrungen, in den Strafraum gesprintet und hatte den Ball entschlossen in die Maschen gejagt. Es war nicht einmal ein Anflug von Zufall dabei. Es war die Konsequenz eines erneut beeindruckenden Auftritts.

Denn Khedira ist bislang die große Konstante im deutschen Spiel. Er ist überall zu finden, er rennt die Lücken zu, die andere hinterlassen, er holt Bälle zurück, die andere verlieren, und er schießt jetzt offenbar auch Tore, die andere trotz vieler absurd guter Möglichkeiten nicht erzielen. An ihm kann sich derzeit sogar der derzeit schwächelnde Chef Bastian Schweinsteiger aufrichten, der sich mit Schmerzen im Knöchel durch die Spiele quält und seinem Nebenmann im zentralen Mittelfeld die Offensivaktionen überlässt, überlassen muss.

„Khedira ist sehr dynamisch, sehr präsent, er ist wirklich eine Führungspersönlichkeit geworden“, schwärmt Bundestrainer Joachim Löw von dem Mann, den er vor zwei Jahren wie selbstverständlich als Ersatz für Michael Ballack in die WM-Startformation berief.

Auch in Madrid hat sich Sami Khedira großen Respekt erarbeitet

Groß war die Skepsis. Weil Ballack der Riese war und Khedira in der öffentlichen Wahrnehmung einer von denen, die zwar gerade da, aber morgen schon wieder weg sein konnten. Einer von vielen, austauschbar.

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Er spielte eine starke WM und wechselte zu Real Madrid, dem Verein, bei dem sich die millionenschweren Stars so zahlreich versammeln, wie nirgendwo sonst auf diesem Planeten. Künstler, Genies, Zauberer – und Khedira. Die Madrider Presse bezeichnete ihn als „deutschen Schäferhund“ und stellte damit unterschwellig die Frage: Was um Himmels Willen soll dieser grobschlächtige Deutsche in unserem schönen, weißen Ballett? Sich im zweiten Jahr dort den Respekt von Fans und Medien erarbeitet zu haben, gehört zu den erstaunlichen Leistungen dieses Sami Khedira.

Reals Trainer-Koryphäe Jose Mourinho wusste vom ersten Tag an, dass Khedira mal zu seinen wichtigsten Leuten zählen würde. Weil nämlich auch der orientalische Schwabe eine Kunst beherrscht, nämlich die, das eigene Spiel zu beschützen, zu organisieren, zu erden. Und da zu sein, wenn man ihn braucht: Als gerade 20-Jähriger köpfte Khedira den VfB Stuttgart 2007 am letzten Spieltag zum Meistertitel, als Kapitän führte er die U21 im Jahre 2009 zum Europameisterschaftstitel.

Sami Khedira ist der Fußball-Chef im Hinterzimmer

Mittlerweile hat sein Wort auch im elitärsten Zirkel der Fußball-Nation Gewicht. Er ist der Chef aus dem Hinterzimmer, der eine starke Saison hingelegt hat. Mit Real setzte er der Herrschaft Barcelonas ein Ende und holte den nationalen Titel. Im Spiel gegen den großen Rivalen, als Real die Meisterschaft klar machte, schoss Khedira eines von zwei Toren.

Khedira, dessen jüngster Bruder Rani (18) in der zweiten Mannschaft des VfB spielt und von dem es heißt, er habe mindestens das gleiche Talent wie Sami, war 16, als ihn eine schwere Knieverletzung ausbremste. Die Ärzte rieten ihm, mit Leistungssport aufzuhören. Mit Hilfe anderer Ärzte fand Khedira wieder in die Spur – und steht nun vor einer fabelhaften Saison. „Unsterblich wollen wir uns hier machen“, hat Khedira neulich in einem Interview gesagt. Es sieht gut aus. Auch dank Sami Khedira. Aber so würde er das nie sagen.