Danzig. . Wenn Manuel Neuer an das EM-Viertelfinale gegen Griechenland denkt, ist der gebürtige Gelsenkirchener tiefenentspannt. Die Taktik der Griechen sei legitim, so Bayern Münchens Nummer eins, und “gehört zum Spiel dazu“. Im Interview spricht Neuer über seine Spielweise und Titelfavorit Spanien.
Es regnet. Wieder einmal. Nach draußen, in den Garten des Hotels Dwor Oliwski, in dem die Nationalmannschaft im polnischen Danzig logiert, kann man sich nicht setzen. Und drinnen herrscht Getümmel auf engstem Raum und die Sessel sind winzig klein. Deutschlands unumstrittene Torhüter-Eins Manuel Neuer aber ist tiefenentspannt vor der EM-Viertelfinal-Auseinandersetzung mit den Griechen am Freitag. Der Schalker, der zum FC Bayern ging, lässt seinen 193-Zentimeter-Athleten-Körper ins Puppenstubenmobiliar fallen und lächelt. Erste Frage, bitte.
Aus welchem Teil der Heimat erhalten Sie denn die meisten Reaktionen hier in Danzig, Herr Neuer? Aus dem südlichen, oder doch noch aus dem Revier?
Neuer: Aus dem Westen. Größtenteils.
Sie sind ja auch noch nicht lange weg vom FC Schalke. Der Wechsel zu den Bayern wurde ziemlich genau vor einem Jahr als fix verkündet. Können Sie kurz umreißen: Was hat sich für Sie verändert?
Neuer: Ich denke nicht anders als früher. Ich glaube aber, dass ich noch stärker auf eigenen Beinen stehe. Ich wohne ja jetzt in einer anderen Stadt…
…die Eltern sind weit entfernt…
Neuer: Genau. Aber natürlich ist das Verhältnis zu ihnen immer noch top. Ich muss für mich selbst nur einfach mehr Verantwortung übernehmen und bin vielleicht dadurch auch als Mensch ein bisschen reifer geworden.
Gehen wir zurück. Als kleiner Junge: Welche EM haben Sie als erste bewusst wahrgenommen? 1996? Da waren Sie zehn Jahre alt…
Neuer: 1996 auf jeden Fall. Ich weiß aber auch, dass ich schon 1990 bei der Weltmeisterschaft zu Hause auf dem Teppich lag. Und den Titelgewinn für Deutschland, den habe ich schon bewusst wahrgenommen. Mit der Europameisterschaft 1992 konnte ich dann wieder irgendwie gar nichts anfangen. Erst 1996 war ich voll dabei.
Deutschlands letzter Turniererfolg. Der EM-Titel 1996. Bei der aktuellen EM sind die Fans euphorisch, aber die Experten mäkeln, es fehle am schönen Spiel bei der Nationalelf. Wie sehen Sie es?
Neuer: Wir wissen, dass wir eine schwere Vorrundengruppe hatten, in der wir Erster mit drei Siegen und neun Punkten geworden sind. Aber wir wissen auch, dass wir noch Luft nach oben haben, was das Spielerische und die Qualität insgesamt angeht.
Die Griechen werden allein für ihr Defensivspiel gelobt. Was können sie denn noch -- außer stramm verteidigen?
Neuer: Klar ist, dass sie sehr tief stehen in der eigenen Hälfte und versuchen, mit langen Bällen die Spieler vorne in Szene zu setzen. Was noch auffällt, ist, dass sie bei Standardsituationen gefährlich sein können. Da müssen wir hellwach sein.
Vor acht Jahren ist Griechenland mit einer ähnlichen Spielweise unter Trainer Otto Rehhagel Europameister geworden. Pragmatiker fanden das okay, Fußballromantiker schrecklich. Wie fanden Sie es?
Neuer: Ich war zunächst einmal sehr enttäuscht, dass Deutschland ausgeschieden ist, und habe dann auch nicht mehr alles bis zum Ende verfolgt. Aber es war eben eine gute Taktik der Griechen, weil sie erfolgreich war. Und so etwas gehört eben einfach auch zum Spiel dazu.
Sie sind kein Romantiker?
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Neuer: Es ist ja so, dass ich Spieler bin. Ich bin kein Zuschauer, der auf der Tribüne sitzt und sich auf eine gute Partie freut, auf hohe Spielqualität. Natürlich freut es uns auch, wenn wir gut spielen und siegen --, aber am Ende des Tages zählt für uns immer der Sieg. Egal, wie wir gespielt haben, die drei Punkte am Ende oder das Weiterkommen sind entscheidend.
Haben Sie sich die beiden Gegentore, die Sie in den drei Vorrundenbegegnungen hinnehmen mussten, noch einmal angeschaut?
Neuer: Klar, habe ich mir schon angeschaut. Das ist oft sehr frustrierend. Aber es gehört auch dazu, das weiß jeder Torwart. Man muss über die Situationen sprechen, es schnell abhaken und dann versuchen, es in den nächsten Spielen besser zu machen.
Aber Sie hatten bei beiden Toren keine Chance. Das macht es doch erträglicher...
Neuer: Weiß nicht. Gegentore sind immer ärgerlich.
Neuer: "Fußball wird hier nicht neu erfunden"
Großturniere wie die EM werden wie Messen des Weltfußballs gehandelt. Neue Entwicklungen sind aber bisher nicht auszumachen, oder?
Neuer: Fußball wird hier nicht neu erfunden. Ich glaube aber, dass sich die Mannschaften schon weiterentwickelt haben. Was man merkt, ist, glaube ich, dass jeder Fehler eiskalt bestraft wird, dass es nach einem Fehler schwer ist, ein Spiel noch umzubiegen.
Der Stil der deutschen Mannschaft hat sich aber schon verändert gegenüber der Überfallfußball-WM 2010. Der Dortmunder Mats Hummels hat das große Wort des Schalker Trainers Huub Stevens zitiert: Die Null muss stehen…
Neuer: Ja, doch die stand bei uns bisher nur einmal…
Aber das erste Ziel war die Null schon…
Neuer: Das Ziel ist sie doch bei jedem Spiel. Ich hätte sie mir für alle drei Spiele gewünscht. Es gibt ja auch das Sprichwort: Die Defensive gewinnt die Titel.
Von Ihnen sah man trotzdem spektakulär weit entfernt von ihrem Tor eine atemberaubende Aktion im Dänemark-Spiel. Gegen Nicklas Bendtner, auf der linken Seite. War das nur Mut? Oder war das schon Tollkühnheit? Gab es auf dem Weg zu Bendtner bei Ihnen denn wenigstens den Gedanken: Wenn ich diesen Zweikampf verliere, dann…
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Neuer: Nein. So ist ja mein Spiel. Ich pflege schon ein offensives Torwartspiel. Mitunter. Und ich wusste, dass ich aushelfen muss, weil Bendtner wohl am Holger (Badstuber, Anm. d. Red.) vorbei gewesen und auf mich zugekommen wäre, im Eins-gegen-eins. Da hätte Schlimmeres passieren können.
Die Aktion wirkte sehr selbstbewusst…
Neuer: Ja, und das muss man auch dem Gegner zeigen. Man baut sich damit ein Schutzschild auf demonstriert: Ich bin da.
Was sagt der Bundestrainer nach solchen Ausflügen?
Neuer: Er hat mich nicht darauf angesprochen. Das ist ein gutes Zeichen. Aber unser ehemaliger DFB-Präsident Theo Zwanziger hat oft gesagt: Manuel, ich kriege immer fast einen Herzinfarkt, wenn du da so aus dem Tor rausrennst…
Gesagt hat Joachim Löw aber: Für mich ist Spanien noch immer der große Turnierfavorit. Sieht die Mannschaft das auch so? Sehen Sie das so?
Neuer: Die Spanier sind der Favorit, sie haben die letzten Titel gewonnen. Wenn wir auf sie treffen, wollen diesmal wir gewinnen.