Krakau. Sein Team hat gegen Spanien für eine Überraschung gesorgt. Ein 1:1 hat Italien dem amtierenden Welt- und Europameister abgeknüpft. Italiens Trainer Cesare Prandelli bleibt jedoch entspannt. Das kann er sich leisten. Seine Geschichte ist es, die ihn sympathisch macht und ihm Respekt verschafft.

Cesare Prandelli hat ein Problem. Seine halbe Abwehr ist verletzt, aber die Lösung liegt für den Trainer der italienischen Fußball-Nationalmannschaft eigentlich vor der Tür: Er sollte ein paar polnische Polizisten vor dem Strafraum aufbauen. Die Männer in den schwarzen Uniformen bringen alles zum Stillstand.

Nach dem Training der Italiener in Krakau am Montagnachmittag zum Beispiel den Verkehr. Irgendwann nach dem Training muss der Mannschaftsbus ja auf die Krasinskiego einbiegen, und bis dahin bleibt die Verkehrsader von Krakau eben gesperrt. Die italienischen Fußballer brauchen jedoch länger als von der Polizei geplant vor dem Spiegel. Der Verkehr der Stadt bricht zusammen.

Zwischen den Hauptstraßen von Krakau haben die Italiener nicht ein Haus gemietet, sie haben gleich einen ganzen Häuserkomplex genommen und in ihr Casa Azzurri verwandelt. Unten am Eingang duftet es nach Espresso, aber man muss die Treppe hinauf zum Saal: Kein Fenster, es ist heiß, 200 Männer mit Kameras und Fragen an Trainer Prandelli. Mann schwitzt. Arrivederci, Aroma.

Prandelli - ein Mann mit Geschichte

Prandelli sitzt oben auf einem Podium, sein Lächeln ist mit charmant noch nicht ausreichend beschrieben. Ein 1:1 (0:0) hat er im EM-Auftaktspiel der Gruppe C mit seinem Team gegen Welt- und Europameister Spanien geholt. Italien hat dabei nicht gemauert, Italien hat mit schönem Fußball überzeugt.

Das ist ungewöhnlich für die Maurermeister des Welt-Fußballs, und so bohren die Journalisten aus Rom, Mailand und Turin nach. Auf Italienisch klingen ihre Fragen groß wie Ozeandampfer, doch Prandelli kriegt sie alle klein. Nach einer halben Stunde sagt jemand zu ihm: „Cesare, du siehst müde aus.“ Der 54-Jährige nickt. „Das liegt daran, dass ich müde bin, ich habe in der Nacht nach dem Spiel kaum geschlafen. Es gibt viel zu analysieren, wir müssen konzentriert bleiben.“

Unten vor dem Podium wandert das Mikrofon durch die Stuhlreihen. Die Hostessen, die sich darum kümmern, sind hübscher als bei den anderen Teams, die in Polen zu Gast sind. Doch Prandelli schaut nicht hin. Er kommt schließlich aus dem Land, das zur einen Hälfte von schönen Italienerinnen bewohnt wird, und zu anderen Hälfte von sehr schönen Italienerinnen.

Er kann sich diese Entspanntheit leisten. Er ist ein Trainer, der nicht für Geschichten sorgen muss. Er hat eine Geschichte, das ist der Unterschied. Beim kleinen AC Florenz hat er es geschafft, 2006 und 2008 zu Italiens Trainer des Jahres gewählt zu werden. Dabei spielte der Fußball in seinem Leben zu dieser Zeit nur die Nebenrolle.

"Das menschliche Ziel ist das Glück"

Seine Frau Manuela, die er als Jugendlicher bei einem Kakao in der Eisdiele seines Heimatstädtchens Orzinnovi kennen gelernt hatte, war 2007 an Krebs gestorben. Prandelli hatte damals sehr offen über dieses Thema geredet. Die tragische Geschichte war in der Öffentlichkeit, da er seinen Vertrag beim AS Rom nach nur zwei Monaten gekündigt hatte, um bei seiner Frau zu sein.

Nur ein einziges Mal hätten sie sich im ganzen kurzen Leben gestritten, sagte Prandelli damals. Es ging um ein Tischtennis-Spiel. Ein ergreifender Satz.

Darüber hinaus sagt er Sätze, die man umarmen möchte. Zum Beispiel diesen: „Das menschliche Ziel ist das Glück.“ Er redet nicht nur so, er handelt auch danach. Riccardo Montolvio, der Mann aus dem italienischen Mittelfeld, beschreibt seinen Coach so: „Er ist mehr als ein Trainer, er ist ein väterlicher Freund. Er ist ruhig, er ist witzig, und er ist nie arrogant.“

Jeder, der Prandelli im Saal des Casa Azzurri erlebt, muss zustimmen. Unten wird die Atmosphäre hitziger. Es gibt Streit darum, wer die letzten Fragen stellen darf. Die Männer aus Rom, Mailand und Turin kriegen sich in die Haare. Es fließt kein Blut, aber beinahe fließt Gel.

Doch Prandelli beruhigt alles mit einem Lächeln und einem Scherz. „Wartet doch erstmal unser nächstes Spiel am Donnerstag gegen Kroatien ab“, sagt er. „Wenn wir verlieren, könnt ihr sauer werden.“

Ruhe.

Der 54-Jährige nutzt den Moment der Stille, steht auf und geht. Er ist nicht nur ein König des Charmes, er ist auch ein Profi. Und um ihn nicht zu sehr zu idealisieren: Er hat mit dem Verband 2010 einen Vierjahres-Vertrag ausgehandelt, der ihm pro Jahr 1,2 Millionen Euro einbringt. Auch nicht schlecht.