Rom. . Italiens Öffentlichkeit wendet sich vor derEM von Fußball-Nationalmannschaft ab. Verwicklungen in Wettskandale, Verletzungen, Krankheiten und Eskapaden einzelner Spieler haben das Vertrauen in die „Squadra Azzurra“ in jeder Hinsicht erschüttert.
Am Ende auch noch das. Und wer weiß, ob es schon das Ende ist: Andrea Barzagli hat sich die Wade gezerrt. Der Juventus- und frühere Wolfsburg-Verteidiger hat sich zwar am Dienstag Nachmittag mit den Kollegen der italienischen Fußball-Nationalelf ins Flugzeug nach Krakau gesetzt, aber die Aussagen der Ärzte sind eindeutig: frühestens in drei Wochen kann Barzagli spielen. Ob er bei der Euro für die „Squadra Azzurra“ auflaufen kann, ist demzufolge höchst fraglich.
Bonucci und Buffon im Visier der Staatsanwälte
Dabei wankte der Hinterbau von Cesare Prandellis Mannschaft schon vor Barzaglis Malheur erheblich. Den einen Verteidigerkollegen, Domenico Criscito, zogen die Staatsanwälte wegen Verstrickung in den Wettskandal aus dem Verkehr; der zweite, Leonardo Bonucci, durfte nur zur EM, weil der Ermittlungsbescheid gegen ihn aus formalen Gründen ungültig war. Und Gianluigi Buffon, der Kapitän, den sie als „besten Torhüter der Welt“ feiern, sieht sich – natürlich auch während der EM – im Visier der Finanzpolizei: Er soll 1,5 Millionen Euro in verbotene Fußballwetten gesteckt haben.
Im Team grassiert die Angst vor Zwangsabstiegen
Gerade Verteidiger und Torwart der „Azzurri“ – sie waren einmal ein starkes Team. Während der Qualifikation blieb Italien ungeschlagen und kassierte ganze zwei Tore. Dann aber, vergangenen Freitag, der große Einbruch: 0:3 im Testspiel gegen Russland; und hätte die Erde nicht gebebt in Oberitalien, hätte man auch noch gegen Luxemburg antreten wollen. Prandelli hatte Glück in wenigstens diesem Unglück: Italiens Presse breitete ausnahmsweise den Mantel der Schonung über die Russland-Schmach.
Die nächste halb positive Nachricht: Von den Kickern diverser Profiligen, die wegen Verwicklung in den Wettskandal inhaftiert waren, muss nur mehr einer die EM im Knast verfolgen. Alle anderen – unter ihnen der Kapitän von SS Lazio Rom, Stefano Mauri – sind zu Hausarrest begnadigt. Aber die Sportjustiz arbeitet weiter. Sie begnügt sich nicht mit dem Deal, den sieben Klubs und 16 Spieler vorsorglich bereits abgeschlossen haben; das Gericht des Italienischen Fußballbundes will gleich nach Beginn der Europameisterschaft seine Urteile sprechen. Da könnten auch Zwangsabstiege dabei sein; in der Spitzenliga könnte es Lazio und Genua treffen.
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Sorge um Cassano, Sorgen vor Balotelli
Nach dem WM-Desaster von Südafrika – Italien schied 2010 schon in der Vorrunde aus – hat Cesare Prandelli die „Azzurri“ neu aufgebaut. Zur Europameisterschaft nimmt er auch zwei Spieler mit, die ihn bei der Vorbereitung auf ganz verschiedene Weise haben zittern lassen. Der Stürmer Antonio Cassano vom AC Mailand brach im Herbst vorigen Jahres mit lebensbedrohlichen Herzproblemen zusammen. Nach einer Notoperation und einer sechsmonatigen Erholungspause gilt er erst seit Anfang April wieder als einsetzbar.
Der zweite, allerdings chronische Unsicherheitskandidat ist der am Ball geniale Stürmer Mario Balotelli (Manchester City), der sich aber persönlich nicht in der Gewalt hat und von Prandelli zwischendurch wegen ungehörigen Benehmens aus der Nationalelf ausgeschlossen wurde. Rück- und Ausfälle während der EM gelten als möglich.
Aber was kümmert’s die Italiener? Das Volk, das ohne Fußball nicht denkbar schien, es wendet sich nach den wiederholten Skandalen vom Calcio ab. Sechzig Prozent, so besagt eine neue Studie des renommierten Forschungsinstituts von Renato Mannheimer, halten den Wettskandal nicht für ein isoliertes Ereignis, sondern für den Ausdruck eines zutiefst kranken Systems. Und nur mehr 40 Prozent verfolgen den Fußball regelmäßig. Von Begeisterung werden Cesare Prandelli und seine Azzurri nun wirklich nicht getragen, wenn sie am Sonntag (18 Uhr, Danzig) – gleich in ihrer ersten Partie – auf Weltmeister Spanien treffen.