Tourrettes. . BVB-Star Ilkay Gündogan hat mit der Borussia das Double gewonnen und den Sprung in den erweiterten EM-Kader geschafft. Nun will er auch den letzten Schritt gehen und bei der EM auf dem Platz stehen.
Innen herrscht edel dekorierte Stille. Außen erfreut vom Landschaftsarchitekten gezähmte Natur das Auge. Die Herberge Terre Blanche, in der die Nationalmannschaft derzeit logiert, ist ein Traumreiseziel. Ilkay Gündogan kam aber nicht, um in Frankreichs Provence zu bleiben. Nach einer für ihn lange schwierigen und dann an Höhepunkten reichen ersten Saison für Borussia Dortmund wurde der 21-Jährige von Bundestrainer Joachim Löw überraschend in den erweiterten Kader für die EM in Polen und der Ukraine berufen.
Die Frage ist in Ihrem Fall wohl angebracht: Wie haben Sie das gemacht, Herr Gündogan?
Ilkay Gündogan: Eine sehr gute Frage. Ich glaube, indem ich mir selbst treu geblieben bin und gleichzeitig viel dazu gelernt habe. Für die ganze Mannschaft von Borussia Dortmund ist die Rückrunde der Bundesliga ja sehr, sehr gut gelaufen. Aber für mein Ego war das alles darüber hinaus auch noch besonders gut, weil ja darüber diskutiert wurde: bin ich der richtige Transfer oder nicht? Ich konnte zeigen, dass es kein Fehler war, mich zu holen.
Gab es ein Erweckungserlebnis?
Gündogan: Eigentlich hat es schon klick gemacht, als ich gegen Ende der Hinrunde mein erstes Tor für den BVB erzielt habe. Dann kam aber leider die Winterpause, und ich habe mich auch noch verletzt. Und dann hat es wieder zwei, drei Spiele gedauert, bis ich fit war.
Nach den BVB-Feierlichkeiten wurden Sie auch noch von Bundestrainer Joachim Löw berufen. Ein Anlass für weitere Feierlichkeiten?
Gündogan: Natürlich haben sich alle für mich gefreut, nicht nur meine Familie und meine Freunde, auch meine Mitspieler und mein Trainer. Aber ich weiß nicht, ob es schon etwas zu feiern gibt für mich. Ich bin glücklich, dass es in diesem zweiten halben Jahr beim BVB so gut lief und auch stolz, dass der Bundestrainer mich berufen hat. Aber es ist ja noch nichts erreicht.
Das klingt sehr selbstkritisch nach Titel und Pokalsieg mit der Borussia. Wie würden Sie denn reagieren, wenn der Bundestrainer Ihnen vor dem Testspiel am Samstag in der Schweiz sagen würde: Ilkay, du spielst in der offensiven Dreierkette, rechte Seite?
Gündogan: Hätte ich kein Problem mit. Ich würde in der ersten Elf stehen. Das wäre schön, weil ich wie jeder Spieler spielen möchte. Und ich glaube, dass ich auch ein Stückweit variabel einsetzbar bin und die Rolle deshalb ausfüllen könnte. Im Jugendbereich und auch noch in meinem ersten Profijahr in Nürnberg habe ich zum Beispiel auf der linken Außenbahn gespielt. Aber meine Lieblingsposition liegt zentral.
Können wir denn die Positionen einmal durchgehen, für die Sie behaupten können: auf denen habe ich eine ziemlich gute Qualität?
Gündogan: Also, ich glaube, dass ich ins Mittelfeld gehöre.
Von B(adstuber) bis Z(ieler)
Geeignet für alle fünf im etablierten System vorhandenen Positionen?
Gündogan: Ja. Und ehrlich gesagt, ich habe mit drei Jahren angefangen, Fußball zu spielen. Ich habe außer Torhüter wirklich schon alles gespielt. Erst im Sturm, dann in der Abwehr…
Sie sind schon Kandidat für alle Posten im Mittelfeld, wollen Sie auch noch die Verteidiger angreifen?
Gündogan: Nein, nein, keine Attacke auf die Verteidiger. Der Bundestrainer hat mir auch schon gesagt, dass ich variabel einsetzbar bin, aber eben im Mittelfeld.
Diese Vielseitigkeit ist mit Blick auf den EM-Zug aber sicher ein Plus. Und wie schätzen Sie den Wert des Selbstbewusstseins ein, das sich mit den Erfolgen des BVB aufgebaut hat? Ein weiteres Plus, wenn man zur Nationalmannschaft stößt?
Gündogan: Ich denke schon. Ich merke innerhalb der Mannschaft, auch auf dem Platz, dass dieser Doublegewinn mir sehr gut getan hat, dass er mir Selbstvertrauen gegeben hat, dass er sich auch auf mein Spiel auswirkt. Ich traue mir hier viel zu, vielleicht auch etwas, was man sonst am Anfang so nicht von mir erwarten könnte. Ich habe jetzt nur noch Spaß an der Sache. Und ich glaube auch, dass man uns Dortmundern insgesamt anmerkt, dass wir fantastische Tage hinter uns haben.
Müssen Sie sich schon selbst warnen: jetzt überdrehst du, bist zu selbstbewusst?
Gündogan: Nein. Ich glaube, so ist mein Charakter nicht gestrickt, dass ich übermütig werden oder die Schwelle zur Arroganz überschreiten könnte. Ich bin eher etwas selbstkritisch.
Sorgt es denn für emotionalen Halt, dass Sie gemeinsam mit einem starken BVB-Block bei der Nationalmannschaft sind?
Gündogan: Das tut auf jeden Fall gut. Das sind ja Spieler, die man tagtäglich beim Training sieht, mit denen man ständig in Kontakt ist. Aber das bedeutet nicht, dass ich nicht auf die anderen zugehen würde. Gerade dabei, auch einen Draht zu den anderen zu bekommen, helfen mir die Dortmunder sehr.
Der BVB pflegt eine etwas andere Spielphilosophie als das Nationalteam. Bereitet Ihnen das einige Probleme?
Gündogan: Beim BVB ist es so, dass wir sogar aus der Abwehr heraus versuchen, mit langen Bällen von Neven (Subotic) und Mats (Hummels) Chancen zu kreieren. Das hat ab und zu die Folge, dass der Ball ins Leere haut, das hat uns aber auch gefährlich gemacht. Bei der Nationalmannschaft wollen wir von hinten heraus kombinieren, mit flachen und vertikalen Pässen in die Spitze und möglichst über die Außen auf die Grundlinie kommen. Aber ich glaube, dass wir Dortmunder uns da nicht groß in unserem Spiel verändern müssen. Auch im Verein beherrschen wir das schnelle Kurzpassspiel nach vorn. Das haben wir in dieser Saison eindrucksvoll bewiesen.
Wie unterscheiden sich die Trainer in der Ansprache? Jürgen Klopp wirkt sehr extrovertiert, Joachim Löw zurückgenommener…
Gündogan: Beide sind absolute Fußballexperten. Und Jürgen Klopp wirkt zwar etwas emotionaler, aber auch Joachim Löw geht mit uns Spielern fantastisch um, gibt uns im Training immer wieder Ratschläge, erklärt genau, was wir verbessern können.
Letzte Frage: Verbringen Sie den Sommer eigentlich in Polen?
Gündogan: Ich wünsche es mir sehr.