Gelsenkirchen. . Das 2:0 im letzten EM-Test gegen Ungarn zeigt: Joachim Löw hat noch keine Stammformation gefunden. Wo soll Kapitän Bastian Schweinsteiger spielen?

Es war einer der letzten Sätze, die Joachim Löw noch sagte, bevor er Gelsenkirchen verließ. Einer eigentlich schon abgeschlossenen Thematik schloss er nach beträchtlicher Pause noch eine Passage an. „Turnier wird schwer“, leitete er diese ein und verschluckte den passenden Artikel.

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Ein bisschen klang das, als setze der Bundestrainer in Seenot geraten einen auf das Wichtigste beschränkten Funkspruch an die Nation ab. „Turnier wird schwer.“ Der Mann hat keine Zeit für Reporter, er muss eine Mannschaft aufbauen, die den EM-Titel gewinnen kann. Freitag geht die Europameisterschaft los.

Wie diese Mannschaft aussehen wird, darüber gibt es auch nach dem bemühten 2:0-Sieg durch einen Treffer des Münchners Thomas Müller und ein Eigentor im letzten Testspiel gegen Ungarn in der Schalker Arena nicht finalen Aufschluss.

Rüdiger und Hector wohl gesetzt

Ein paar Erkenntnisse hatte es gegeben: Antonio Rüdiger scheint erster Ersatzmann für den noch immer angeschlagenen Mats Hummels in der Innenverteidigung zu sein, Jonas Hector hat auf der linken Seite überraschend sein Plätzchen sicher.

Und Bastian Schweinsteiger ist zurück. Der Kapitän lief nach seiner erneuten Knieverletzung im März erstmals seit mehr als zwei Monaten wieder auf. 20 Minuten immerhin spielte der Profi von Manchester United, was die Hoffnung nährt, dass er wenigstens im Laufe des Turniers zu ansprechender Form finden könnte.

„Basti hat lange nicht gespielt, daher war es ein wichtiger erster Schritt“, urteilte der Bundestrainer. „Er muss schon noch etwas tun.“ Aber wohin steckt er den Kapitän? Löw umgibt sich sechs Tage vor seinem ersten EM-Spiel gegen die Ukraine mit Nebel aus Fragezeichen.

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Und wenn es nach ihm geht, verschwinden die auch während des Turniers nicht. „Manches möchte ich offen lassen. Ich will mich nicht auf eine Wunschelf festnageln lassen“, sagt Löw, weil er meint, dass es die eine Wunschelf für ein Turnier nicht geben wird, sondern für jedes Spiel eine neue. „Es wird kräftezehrend. Gerade in der Vorrunde wird es Abnutzungskämpfe geben wie noch nie bei einer EM“, prophezeit er, „wichtig ist daher, dass man Spieler hat, die frisch sind, die läuferisch und kämpferisch dagegen halten. Über die spielerische Klasse verfügen wir ohnehin. Wir müssen jeden einzelnen Spieler in die Lage versetzen, bestimmte Positionen so zu auszufüllen, wie wir sie brauchen.“

Löw, das sagt er, braucht nicht elf Künstler, sondern wild entschlossene 23. Seit Wochen und Monaten bereitet er die große Freiheit vor. Mal testet er in der Defensive die Dreierkette, mal lässt er mit zwei Stürmern spielen, mal mit nur einem. Manchmal handelt es sich dabei um den abrissbirnenartigen Mario Gomez, manchmal um den deutlich filigraneren Mario Götze.

Özil spielte plötzlich defensiv

Als Schweinsteiger gegen die Ungarn noch nicht auf dem Platz war und der behäbig wirkende Sami Khedira wegen eines Schlages auf den Fuß ausgewechselt werden musste, da tauchte Mesut Özil plötzlich in der defensiven Mittelfeldzentrale neben Toni Kroos auf. Das Duo sei überragend in der Spieleinleitung und wertvoll wegen seiner Pässe in die Zwischenräume.

„Auch das ist eine Variante“, sagt der Bundestrainer. Löw will bei dem nahenden Turnier offenbar alles sein, nur nicht berechenbar. „Ich denke, dass wir die Flexibilität haben, verschiedene Systeme und Formationen zu spielen – und dass wir das auch tun werden.“

Eine Hintertür lässt er sich indes noch offen. Denn Löw weiß, dass permanente Rochaden auch ein Wagnis sein können. In seinem bislang letzten EM-Spiel 2012 bekam er schmerzlich zu spüren, dass Veränderung allein nicht hilft. Sie muss auch funktionieren.

Löw hatte seine taktischen Winkelzüge übertrieben, indem er den Reservisten Toni Kroos ins deutsche Spiel hievte, um das Wirken von Andrea Pirlo einzudämmen. Der Plan schlug fehl: Im Halbfinale von Warschau verlor die deutsche Mannschaft gegen Italien sang- und klanglos mit 0:2.

Und diesmal?