Dortmund. . Hans-Joachim Watzke, Geschäftsführer des Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund, spricht im großen Jahresinterview über sein Herz für den Fußball, den Kampf gegen die ganz großen Klubs und seine Nerven auf der Tribüne.
Gemeinsam mit Präsident Reinhard Rauball hat er Borussia Dortmund vor der Insolvenz gerettet. Gemeinsam mit Rauball, Sportdirektor Michael Zorc und Trainer Jürgen Klopp hat er den Klub zu zwei nationalen Titeln und ins Königsklassen-Finale 2013 geführt, das an die Bayern verloren ging, aber die Reputation noch mehrte. Gemeinsam ist Hans-Joachim Watzke wichtig. Weil es für seinen Fußball wichtig ist.
Wann haben Sie sich in den Fußball verliebt, Herr Watzke?
Hans-Joachim Watzke: Das war so früh, ich weiß nur noch, dass mir meine Eltern gesagt haben, dass ich zwischen meinem ersten und zweiten Lebensjahr den ersten Ball bekommen habe. Und von dem Moment an gab es für mich nicht Fischer-Baukästen oder Lego, sondern nur Fußball, Fußball. Meine Eltern haben es dann auch irgendwann aufgegeben, andere Geschenke zu machen. Zu Weihnachten habe ich immer einen neuen Lederball bekommen. Und das war ja damals ein Schatz. Wenn du einen Lederball hattest, warst du der König.
Und wie hat sich die Liebe verändert nach der Eheschließung per Geschäftsführerkontrakt?
Watzke: Ich bin noch genauso fußballverrückt wie vorher. Aber diese Unbeschwertheit ist weg. Wenn du das hier zu verantworten hast, dann ist da natürlich Druck.
Was macht den Druck aus?
Watzke: Wir sind sehr ambitioniert, haben aber 80, 100 Millionen Euro weniger Gehaltsmöglichkeiten als andere große Klubs in Europa, Bayern München unter anderem. Trotzdem ist es die Sehnsucht der Menschen, dass wir Bayern schlagen. Oder, ein konkretes Beispiel: In Marseille auf der Tribüne zu sitzen und zu wissen, dass die ganze Bewertung der Saison davon abhängt, ob du nun in der Champions League ins Achtelfinale kommst oder nicht: Und dann machst du in der 87. Minute das entscheidende Tor. Aber in den zehn Minuten vorher ist es fast so, dass du wegstirbst. Und danach hast du sofort wieder die Angst, dass du noch einen rein kriegst. Das kann man mit nichts anderem vergleichen.
Das ist beim BVB der Druck, der der guten Tat folgt.
Watzke: Wir haben durch dieses Märchen, das wir geschrieben haben, eine gewisse Fallhöhe erreicht. Völlig klar. Und der eine oder andere Kollege bei einem anderen Klub wird sich in einer solchen Situation sagen: Ja, gut, wenn das hier zu Ende ist, dann gehe ich eben woanders hin. Da das für mich definitiv nicht in Frage kommt, weil ich diesem Verein jetzt 50 Jahre lang folge und auch die Jahre, die mir noch bleiben, folgen werde, ist es so: Wir wollen weiter an dieser Geschichte schreiben.
Was genießen Sie am Amt? Den Auftritt im Rampenlicht?
Watzke: Nein. Das Rampenlicht habe ich doch 41 Jahre lang nicht gehabt und war trotzdem immer dabei. Es ist das Spiel. Ich liebe dieses Spiel.
Nervt Sie am Fußball gar nichts?
Watzke: Mich nervt nur, und da muss man dran arbeiten, dass man den Menschen immer wieder erklären muss, dass Fußball ohne die wirtschaftlichen Möglichkeiten zu betrachten, auf der Ebene, auf der wir uns befinden, nicht mehr funktioniert.
Das war es schon?
Watzke: Das Andere, was mich manchmal nervt, ist, dass der Fußball so groß geworden ist und gerade die großen Vereine in Deutschland deshalb das Problem mit vielen Trittbrettfahrern haben, die auch ins Rampenlicht wollen. Vielen Klubs würde es deutlich besser gehen, wenn sie nicht so anfällig wären für Populismus.
Ein Beispiel?
Watzke: Wenn ich sehe, wie schwierig es ist, bei Versammlungen einen Klub auf Niveau zu halten. Da kommen irgendwelche Leute, die dreschen drei hohle Phrasen – und auf einmal klatscht die Hälfte der Leute im Saal. Darüber bin ich erschrocken.
Medien scheinen auch ein Nervthema zu sein. Ihr Trainer Jürgen Klopp drückt das auf seine Weise aus. Freiburgs Christian Streich kritisiert offensiv. Schalkes Jens Keller leidet eher still. Haben Sie auch eine negative Entwicklung ausgemacht?
Watzke: Ja. Absolut. Im gleichen Maße, in dem der Fußball sich immer mehr in der ganzen Gesellschaft ausgebreitet hat, ist die Boulevardisierung des Spiels fortgeschritten. Rein rational sagst du dir: Das ist der Preis dafür, dass wir immer mehr Geld einnehmen. Trotzdem: Wenn du es ein bisschen puristisch angehst, dann sagst du dir natürlich auch: Das ist bedauerlich. Und das ist das, was Jürgen Klopp oft in Pressekonferenzen etwas unwirsch erscheinen lässt. Dass es manchmal nicht mehr ansatzweise um das Spiel geht.
Gibt es bei Ihren Spielern deshalb Tendenzen zur Abschottung?
Watzke: Das ist teilweise gar nicht mehr anders möglich. Wir beim BVB diskutieren sehr oft darüber. Und wir versuchen auch, auf alle einzuwirken, möglichst nah an den Menschen zu sein. Aber wenn aus einer Million Menschen zehn Millionen werden, und wir haben heute rund zehn Millionen Fans und Sympathisanten, dann sind wir, was unsere persönliche Belastbarkeit angeht, an der Grenze. Und wenn wir die Spieler ein bisschen mehr abschotten als früher, dann hat das nichts damit zu tun, dass wir die Fans weniger respektieren, sondern nur damit, dass es so dramatisch viel geworden ist.
Watzke: Die BVB-Erfolgsstory kann man nicht kopieren
Ist Charakter entscheidend bei einer Spielerverpflichtung?
Watzke: Auf jeden Fall. Weil wir von der Gesamtart des Vereins und aber auch von der Art, wie wir Fußball spielen, vielleicht mehr als andere über das Kollektiv kommen.
Die Führungsriege erscheint beim BVB auch manchmal wie ein Kumpel-Gegenmodell im Vergleich mit anderen Großklubs. . .
Watzke: Das ist so.
Was ist der Vorteil?
Watzke: Naja, Kumpel ist vielleicht doch nicht ganz der richtige Ausdruck, weil er bedeuten würde, dass wir abends ständig gemeinsam rausgehen und unsere Freizeit miteinander verbringen. So ist es ja nicht. Wir haben aber einfach totales Vertrauen zueinander. Was jedoch nicht ausschließt, dass wir sehr kontrovers diskutieren. Das Besondere am BVB ist, dass von diesen Diskussionen nie etwas verlautet.
Wenn Sie zu anderen Vereinen hinüberschauen: Worin erkennen Sie die Nachteile für einen Klub ohne ähnliches Vertrauensmodell?
Watzke: Kontinuität hilft immer. Wenn du dein Führungspersonal alle zwei, drei Jahre auswechselst, kriegst du nämlich immer wieder Brüche. Und das andere ist das Vertrauen. Du kannst dir alles sagen. Du kannst dich dabei komplett fallen lassen. Du kannst noch so absurde Ideen ausdiskutieren, ohne die Angst haben zu müssen, dass das öffentlich werden könnte. Darin haben wir eine extrem hohe Kultur. Und das hilft sogar dramatisch. Wenn du genau das nicht hast, kannst du nicht mit einem Personaletat, der die Hälfte von dem von Bayern beträgt, zweimal hintereinander Deutscher Meister werden. Das ist für mich eine ganz klare Bedingung dafür.
Ist dieses Modell nach einer rationalen Fehleranalyse vorangegangener Jahre entstanden?
Watzke: Nein, das hat sich einfach entwickelt. Rational war die Entscheidung für Jürgen Klopp und einen neuen Fußballstil. Aber dass damit diese Art der Zusammenarbeit einher gehen würde, wussten wir alle nicht. Das kann man auch nicht kopieren. Irgendwann wird es sich also verändern. Das muss dann natürlich nicht schlechter sein. Wobei: Wir sind altersmäßig nicht soweit auseinander. Vielleicht hören wir ja alle irgendwann zusammen auf.
Schauen Sie denn am Jahresende zurück und fragen sich: Wie war’s denn so für uns?
Watzke: Ich habe über eine Woche gebraucht, um mit dem Champions-League-Finale klarzukommen. Weil man ja weiß, dass man das als Borussia Dortmund nicht so häufig hat. Aber nach einer Woche hat sich bei mir dann doch das Gefühl eingestellt: Vielleicht wäre das auch des Guten etwas zu viel gewesen. Vielleicht ist es sogar wichtig für uns gewesen, so ein sympathischer Verlierer auf Topniveau gewesen zu sein. 2012, 2013 waren ja unfassbare Jahre. Auch 2011. Ansonsten neige ich nicht groß dazu, zurückzuschauen. Nur Silvester vielleicht.
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An Silvester wünscht man sich traditionell auch etwas für das kommende Jahr. . .
Watzke: Ich wünsche mir, dass wir so eine Verletzungssituation nie mehr erleben. Wenn die Mannschaft ganz überwiegend fit ist, werden wir eine gute Rückrunde spielen, da bin ich sehr sicher, dann werden wir versuchen, uns ein bisschen weiter nach vorne zu arbeiten. Und natürlich wünsche ich mir, dass wir die beiden Pokalrunden überstehen. Damit wäre ich dann schon sehr zufrieden.
Und was wünschen Sie sich für den Fußball insgesamt?
Watzke: Ich hoffe, dass der Fußball sich nicht zu sehr populistischen Einflüssen aussetzt. Das Spiel muss im Vordergrund stehen. Und dieses Spiel sollte man nicht verändern! Wenn ich höre, dass Schiedsrichter demnächst mit Sprühflasche Neun-Meter-Distanzen für Freistoßmauern malen soll, da frage ich mich: Wie krank muss eigentlich jemand sein, um auf so etwas zu kommen?