Dortmund. Muss der BVB wirklich jede Kuh melken, die sich auftreiben lässt? Jüngstes Beispiel ist die vor etwa zwei Wochen auf dem Stadiongelände errichtete „Wand der Liebe“. Dort können BVB-Fans — wie es bei vielen Brücken gemacht wird — Schlösser mit ihren Initialen anbringen und so ihre Liebe bezeugen. Garniert mit Werbung des Ausrüsters und eines Schlösser-Herstellers. Zu viel, meint unser Kolumnist.

Mit einer Niederlage gegen die Hertha aus Berlin endet für den BVB die Hinrunde. 32 Punkte aus 17 Spielen und ein vierter Platz stehen zu Buche. Als Fan mag man irgendwie nicht voll zufrieden sein mit der Hinrunde – zumindest wirkt die von der sportlichen Führung vor der Saison ausgegebene Maßgabe, mehr enge Spiele gegen schwächere Gegner zu gewinnen, nicht vollends gelungen.

Ein nüchterner Blick auf die Tabelle verrät jedoch, dass der BVB mit 32 Punkten im Vergleich zu 30 Punkten zur Halbserie in der Vorsaison deutlich besser dasteht. Problematisch für die Fananalyse der Halbserie ist wohl vielmehr der aktuelle Trend der vergangenen Spiele, der deutlich nach unten zeigt. Insofern wird man beim BVB, auch wenn man das nicht ganz so deutlich sagen will, froh über die Winterpause sein – nicht nur um die verletzten Spieler wieder fit zu machen, sondern auch um sich psychisch vor der Rückrunde regeneriert wieder neu auf- und einzustellen.

Gibt es sportlich zumindest ein wenig die Sorge, der BVB könne die Saisonziele verpassen, so geht es mit dem BVB derzeit finanziell weiter steil bergauf, wie die letzten Geschäftsberichte eindrucksvoll unterstrichen haben dürften. Nicht unerheblichen Anteil am Erfolg machen sicherlich die enorm gestiegenen Marketingeinnahmen für den Dortmunder Traditionsverein aus.

„Wand der Liebe“ als Musterbeispiel für sinnfreie Marketingkampagnen

Genau diese sind allerdings Stein des Anstoßes für Kritik, oder anders gesagt: Muss der BVB wirklich jede Kuh melken, die sich auftreiben lässt? Jüngstes Beispiel ist die vor etwas über zwei Wochen auf dem Stadiongelände errichtete „Wand der Liebe“. Ähnlich wie bei der Hohenzollernbrücke in Köln sollen BVB-Fans an dieser Wand mit einem Gitter Schlösser mit ihren Initialen anbringen und so ihre Liebe bezeugen. Selbstredend wird die Wand garniert von einem großen Werbeaufdruck des Ausrüsters und präsentiert vom passenden Schloss-Partner.

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Jürgen Klopp wurde traditionell vor den Karren gespannt und durfte, ob er nun wirklich wollte oder nicht, als erster sein Schloss für sich und seine Frau Ulla anbringen. Mittlerweile sind schon viele Schlösser an der Wand angebracht, zumeist schmierig mit Edding beschriftet und nicht graviert, und trotzdem stellt sich die Frage: Was soll das? Der BVB sieht es – ganz marketingtechnisch – als Möglichkeit für Fans „ein sichtbares Zeichen der Identifikation“ zu hinterlassen. Wenn Identifikation nun also heißt, dass ich mir ein Vorhängeschloss kaufe, es lieblos mit Edding bemale und an eine mir vorgesetzte wenig dekorative Wand hänge, dann kann ich gut darauf verzichten und auch damit leben, mich offenbar nicht so toll zu identifizieren wie all die Fans an der Wand.

Als die Kommerzialisierung immer mehr Einzug in die Bundesliga hielt, gab es immer eine Art Running Gag, wo Fans spöttisch sagten: „Irgendwann heißt es noch im Stadion: Dieses Foul wurde ihnen präsentiert von XY“. Damals sorgte dies für herzliches Gelächter, war es doch eine extrem spitze Übertreibung mit Entwicklungspotenzial. Mittlerweile bleibt das Lachen wohl aus, denn wenn ein Spieler sich verletzt am Boden krümmt, wird im Westfalenstadion mittlerweile passend dazu die Werbung einer Apothekenkette eingeblendet. Gerade wenn ein Spieler schwerer verletzt ist, ist dies doch ein mehr als fragwürdiger Sarkasmus.

Zwischen Senf und Salzstangen im Fanshop

Auch im Fan-Shop gibt es mittlerweile kaum etwas, das es nicht mehr gibt. Es scheint so, als ob man der Meinung ist, dass jedes erdenkliche Produkt sich mit einem BVB-Aufdruck gut verkaufen könnte. Sei es der BVB-Eierlikör-Senf, die BVB-Salzstangen, oder der BVB-Anschnallgurtschoner. Man darf, nein muss hier die Frage stellen: Berechtigt die Tatsache, dass irgendwer diese Produkte schon kaufen wird dazu, jeden „Nippes“ mit BVB-Emblem auszustatten und in den Shop zu stellen? Ich möchte hier stellvertretend für viele Fans ein klares „Nein“ aussprechen, denn irgendwo geht es auch um die Außendarstellung und mit vielen Produkten macht man sich auch eher lächerlich. Es gibt viele schöne fanspezifische oder praktische Artikel im Fanshop, aber insgesamt gibt es einfach viel zu viel Nonsens.

Selbstredend soll die Kommerzialisierung des Fußballes hier nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden, ohne die immer höher werdenden Einnahmen würde der BVB nicht den Fußball auf europäischem Topniveau spielen, den er derzeit spielt. Trotzdem würde dem Verein ein wenig Augenmaß in seinem Marketing nicht schaden. Es ist sicherlich keine neuerliche Pleite zu erwarten, wenn es plötzlich keinen Senf mehr im Fanshop gibt. Eine bessere Selbstkritik hinsichtlich der Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit einiger Marketingideen wäre jedenfalls mein persönlicher Wunsch für das neue Jahr an den BVB. In diesem Sinne: Frohe und besinnliche Weihnachten!

Julian Bräker – Gibmich-diekirsche.de