Marseille. . Am Tag nach dem umjubelten Einzug ins Achtelfinale der Champions League bereitete sich Fußball-Bundesligist Borussia Dortmund schon wieder auf das nächste Spiel vor: Am Samstag geht es nach Hoffenheim. Dennoch blieb Zeit genug, um auf jenen denkwürdigen Abend von Marseille zurückzublicken, den Kevin Großkreutz mit seinem Treffer kurz vor Schluss zu einem unvergesslichen werden ließ.

Vollkommen schien die Orientierung beim glückstaumelnden Kevin Großkreutz noch nicht zurückgekehrt zu sein, als er am Morgen den Flieger von Marseille nach Dortmund bestieg. Der 25-Jährige musste erst von seinen Mannschaftskollegen darauf hingewiesen werden, dass er in der falschen Reihe Platz genommen hatte. Der Held des Vorabends trollte sich schließlich in Reihe 12, Sitz F. F wie Fußball-Gott.

In diesen Stand dürfte der Mann von Borussia Dortmund seit seinem Auftritt im entscheidenden Champions-League-Spiel in Frankreich von den Fans erhoben werden. Ohnehin verehrt als einer von ihnen, der sich aufopfert für die Mannschaft, trat er in Marseille in ungewohnter Rolle in Erscheinung: als Torschütze. Drei Minuten vor dem Ende, als Schwarz-Gelb eine dunkle Stunde zu erleben drohte, als das frühzeitige Aus in der europäischen Premium-Liga unmittelbar bevorstand, erzielte Großkreutz den erlösenden Treffer zum 2:1 und schrieb damit die umfangreiche Geschichte Dortmunder Dramen fort.

Abende, die Nerven kosten

Der Hollywood-Faktor ist zumindest hoch, wenn diese Mannschaft in der jüngeren Vergangenheit in Europa auftaucht. Sie liefert bizarre Fehlleistungen, unvorhersehbare Wendungen, aufopferungsvollen Einsatz, Spannung bis zur letzten Sekunde - und meistens sogar noch ein Happy End. So war es in der vergangenen Saison im Viertelfinale gegen Malaga und im Halbfinale gegen Madrid. Denkwürdige Abende, die allerdings Nerven kosten. Lange, sagte BVB-Boss Hans-Joachim Watzke in den Katakomben des Stadions entzückt, aber doch atemlos, mache er das nicht mehr mit.

Für das Verleben entspannter Abende hat er sich aber den falschen Klub ausgesucht. Dortmund produziert Adrenalin in Serie. „Das hatte von der Spannung her schon Malaga-Qualität“, schnaufte Trainer Jürgen Klopp, als es vollbracht war: „Das war nicht direkt vergnügungssteuerpflichtig, aber wir sind überglücklich noch dabei zu sein.“ Wohlgemerkt als Tabellenerster einer „brutalen Gruppe“, wie Sportdirektor Michael Zorc formulierte, als in der Kabine gesungen und Bier getrunken wurde.

Der Busfahrer hatte die Getränke auf spontane Anweisung hin besorgt, an der Hotelbar sollte es später am Abend weitergehen. Der Trainer selbst hatte die kleine Party ausgerufen. „Es wird eine Happy Hour geben. Aber keine Angst. Die Spieler werden sich nicht betrinken, sie müssen nur nichts zahlen“, sagte Klopp. Die letzten Aufrechten sollen die Party gegen 4 Uhr verlassen haben, Kevin Großkreutz sicher nicht sehr viel früher.

So eine kleine Feierlichkeit mit alkoholischen Getränken darf inmitten vieler wichtiger Termine durchaus als Ungewöhnlichkeit eingestuft werden, aber Klopp hielt sie für angemessen, weil ein entscheidendes Saisonziel erreicht ist. In der Liga ist der BVB auf Platz drei abgerutscht und wird dort wohl auch überwintern - bestenfalls. Das Aus in der Königsklasse hätte den gesamten Betrieb nachhaltig erschüttert. So aber könnte der süße Sieg eine Kraft entfalten, mit der sich die letzten beiden Aufgaben bei 1899 Hoffenheim sowie gegen Hertha BSC Berlin mit etwas mehr Verve als zuletzt absolvieren lassen. Das zumindest ist die vage Hoffnung. „Wir sind alle glückselig eingeschlafen, aber das allein wird gegen Hoffenheim nicht helfen“, mahnt allerdings Klopp.

Aber gerade der Trainer weiß, dass jede Saison Momente aufweist, in der sie sich zum Guten oder Schlechten entscheidet. Dieser Abend von Marseille könnte einer dieser Augenblicke gewesen sein. Kevin Großkreutz hat ihn mit seinem Tor möglich gemacht, was seinen Wert für diesen Klub nur unterstreicht.

Fan im Trikot

„Kevin ist ohne Wenn und Aber ein Führungsspieler, nicht nur auf dem Platz, sondern auch außerhalb“, lobt Jürgen Klopp und freut sich für den spielenden Fan im Profi-Trikot, der sich Fehlleistungen eigentlich nur im Flugzeug und nicht auf dem Platz leistet: „Das ist einfach eine ganz, ganz schöne Geschichte, dass er das gestern so erleben ­durfte.“