Dortmund. Kurz vor dem Eröffnungsspiel der 50. Bundesliga-Saison zwischen Borussia Dortmund und Werder Bremen haben wir mit BVB-Trainer Jürgen Klopp über den Saisonauftakt, die Zufriedenheit nach zwei Meistertiteln in Folge und zu viel Applaus gesprochen.

Vor dem Interviewtermin gibt Jürgen Klopp richtig Gas. Der Trainer von Borussia Dortmund und sein Sportdirektor Michael Zorc spulen ihre Joggingeinheit mit so viel Schwung ab, als wollten die beiden Ex-Profis am Freitag im Eröffnungsspiel der 50. Bundesliga-Saison zwischen Borussia Dortmund und Werder Bremen (20.30 Uhr, live im DerWesten-Ticker) noch mal selbst auflaufen. Werden sie aber nicht: Klopp und Zorc haben aber einen Sitzplatz im Stadion. So wie der BVB-Trainer im Interview.

Herr Klopp, wir schauen auf das offizielle Mannschaftsbild des BVB. Sieht so ein zufriedener Trainer aus?

Jürgen Klopp: Nein. Ich war in dem Moment sauer. Ich habe gefragt: Wie stehen wir? Du vorne, deine Co-Trainer hinter dir, war die Antwort. Da hab ich gesagt: Hinter mir steht niemand, weil ich 1,94 Meter groß und relativ breit bin. Nicht muskulös. Aber breit. Das heißt: Hinter mir ist Schatten.

Gab es ansonsten Momente in der Vorbereitung, in denen Sie unzufrieden waren?

Klopp: Ja sicher. Aber das Gute ist, dass sie im Rückblick an Wichtigkeit verlieren. Es war eine normale Vorbereitung. Nur mit der Herausforderung, dass die Spieler unterschiedlich angefangen haben. Ich bin mit dem Stand zufrieden. Aber es wäre ja auch schlimm, wenn du sieben Wochen Vorbereitung hast und nach sechs Wochen und sechs Tagen feststellen würdest: Scheiße, ich hab‘ was vergessen. Ich erwarte nicht, dass wir gegen Bremen unser bestes Saisonspiel machen, allerdings das beste Spiel, zu dem wir am Freitag in der Lage sind.

Wie teilen Sie einem Spieler mit, dass er nicht dabei ist?

Klopp: Der Kader wird am Tag vor dem Spiel bekannt gegeben. Wer nicht dabei ist, der weiß, dass er dann nicht mit mir darüber reden sollte. Weil es darum geht, dass wir das Spiel gewinnen. Und nicht darum, dass einer nicht dabei ist. Darüber kann man zwei Tage später sprechen. Wer nur glücklich werden kann, wenn er 34 Bundesligaspiele, sechs DFB-Pokalspiele und zehn Champions-League-Spiele von der ersten bis zur letzten Minute bestreitet, der kann bei Borussia Dortmund nicht glücklich werden. Wenn du es richtig betrachtest, dann ist es ein Spiel von insgesamt vielleicht 475 in deiner Karriere. Das klingt dann nicht mehr so wahnsinnig dramatisch.

Vor einem Jahr, nach dem ersten Meistertitel, haben Sie gesagt: Niemand solle den Fehler begehen, die Erwartungen an die neue Saison an den Erfolg der vorangegangenen zu knüpfen. Das dürfte nach dem Double noch schwerer fallen.

Klopp: Natürlich haben wir das alle genossen: Bierduschen nach gefühlt jedem Spiel und ganz zum Schluss fahren wir dann mit einem Lastwagen durch die Stadt. Aber ich habe das Gefühl, dass die Menschen das Ganze als sehr schöne Erinnerung abspeichern. Die wissen, dass das außergewöhnlich war. Wenn man das Außergewöhnliche dadurch verdirbt, dass man es immer wieder haben will, ist es nicht mehr außergewöhnlich. Wir sind zweimaliger Meister, das fühlt sich gut an – es hilft uns am Freitag nur nicht gegen Bremen. Die Herausforderung ist, so gierig zu bleiben, als hättest du noch nichts gewonnen.

Wäre da Zufriedenheit nicht auch der größte Gegenspieler?

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Klopp: Das Wort Zufriedenheit kommt nicht von mir. Aber sicher ist Zufriedenheit nicht die beste Triebfeder für Erfolg. Unsere Zufriedenheit ist ein vergangenes Gefühl. Das hatten wir im Mai. Zufriedenheit gibt es – aber immer nur kurz. Ich mache mir auch nie Gedanken darüber, ob ich zufrieden bin. Denn wenn du mal das Gefühl hast, alles ist in Ordnung, dann kommt eine SMS von unserem Mannschaftsarzt. Und schon habe ich wieder das Gefühl, ein neues Problem zu haben.

Nehmen Sie Probleme und Unzufriedenheit mit nach Hause?

Klopp: Das hängt von der Größe des Problems ab. Das mit dem Mannschaftsfoto hatte ich fünf Minuten später vergessen. Du lernst ja im Laufe des Lebens, Dinge besser einzuschätzen, ruhiger und gelassener mit ihnen umzugehen. Ich fahre 20 Minuten nach Hause, da kann man eine Menge verarbeiten. Und zu Hause ist das eine völlig andere Welt. Da rennt niemand mit Stutzen und Stollenschuhen herum. Da kann ich gut abschalten. Ich nehme selten Probleme mit, wobei ich zugeben muss: Wenn, dann sind das die Abende, an denen ich wortkarg bin.

Das Zuhause ist für Sie auch ein Rückzugsraum. Sie haben in einem „Kicker“-Interview beklagt, dass Sie sich in der Öffentlichkeit kaum noch in Ruhe bewegen können. Und dass Fans applaudieren, wenn Sie im Training Hütchen aufstellen.

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Klopp: Es ist einfach alles so überzogen. Ich bin durchschnittlich intelligent und kann meinen Anteil an der Geschichte relativ gut einschätzen. Ich weiß, ein paar Dinge wären auch ohne mich passiert, andere vielleicht nicht. Ich verliere Spiele nicht alleine, und ich gewinne sie auch nicht. Ich feiere Siege super gerne. Ich hab’ nur nicht das Gefühl, dass ich dafür besonders gefeiert werden müsste. Trotzdem passiert ständig das Gegenteil. Der schlimmste Satz vor dem Mannschaftshotel ist: Da ist Klopp, das ist der wichtigste Mann, hol’ dir ein Autogramm. Der sagt das so laut, dass es meine Spieler hören. Wenn keine Kinder da wären, würde ich austicken.

Sie sind in der Öffentlichkeit auch durch Ihre Werbepartner sehr präsent. Wenn man durch Dortmund fährt, sieht man Sie von großen Plakatwänden lächeln.

Klopp: Das ist Borussia Dortmund. Und alles, was dem Verein dient, ist in Ordnung. Es geht mir nicht darum, dass mein Gesicht bekannt ist. Sollte einer glauben, ich sei hierhin gekommen, hätte die Hand aufgelegt und das Ding lief, und zwar von allein, dann ist das totaler Quatsch. Deshalb besteht auch nicht die geringste Gefahr abzuheben. Wissen Sie, was schön ist? Einfach mal nach Hause fahren und froh sein, dass dort keiner klatscht.

Der Applaus könnte sich generell in Grenzen halten, wenn der BVB am Saisonende, sagen wir, Vierter wäre. Könnten Sie trotzdem zufrieden sein?

Klopp: Das hängt von Dingen ab, die wir heute nicht einschätzen können. Aus heutiger Sicht würde ich sagen: Puh, komplett zufrieden sicher nicht. Durch die Champions-League-Qualifikation zu müssen, ist blöd. Das sieht man gerade bei Gladbach. Aber ich glaube auch nicht an den in der Öffentlichkeit gern angenommenen Zweikampf Dortmund gegen München. Wer sich die Mühe macht und sich den Kader von Schalke anguckt und sagt, die können da oben gar nicht mitmischen, den dürft ihr nach Hause schicken.

BVB-Trainer Klopp über die Champions League 

Gibt es eine Konstellation, bei der Sie nach einem erneuten Aus in der Gruppenphase der Champions Lea­gue noch zufrieden wären?

Klopp: Ich kenne keine. Solange du die Champions League nicht gewinnen kannst, ist der Tag des Ausscheidens allerdings ein rein finanzieller Aspekt. Es ist ja nicht so, dass einer in zehn Jahren sagt: Hoho, Viertelfinale, Champions League, war das geil. Das interessiert keine Sau. Wenn es optimal läuft, musst du dich so entwickeln, dass du irgendwann um den Pokal mitspielen kannst. Ob das gelingt und wie lange das dauert, sind völlig andere Fragen. Mich interessieren aber heute künftige Platzierungen überhaupt nicht. Ich habe auch keine Glaskugel. Im Moment geht es nur um Werder Bremen.

Das Spiel gegen Werder ist ein historisches Duell, es eröffnet die 50. Bundesliga-Saison. Ist es auch für Sie ein besonderes Spiel?

Klopp: Ich bin 45 Jahre alt. Und ich würde sagen, mindestens 42 Jahre meines Lebens hätte kein Mensch damit gerechnet, dass ich bei der Eröffnung zur 50. Bundesligasaison dabei bin. Das erste Spiel einer Saison ist kompletter Ausnahmezustand. Wir hatten seit drei Monaten keinen so richtigen Jubel mehr, so mit angespannten Muskeln. Es geht darum, sich das jetzt wieder abzuholen, dieses komplett Ekstatische. Wo gibt’s das? Am Freitag in Dortmund. Und wir haben das große Glück, dabei zu sein.