Dortmund. Der Titelgewinn von Borussia Dortmund, so stand es hier vor knapp einem Jahr, exakt an dieser Stelle, sei „ein modernes Märchen“. Und, so stand dort weiter geschrieben: „Das Schönste daran: Das Märchen ist noch nicht zu Ende.“ Heute, 34 Bundesliga-Spieltage später, können wir festhalten: Das BVB-Märchen hat ein zweites Kapitel. Mindestens.
Es mag sein, dass diese schwarzgelbe Meisterschaft nicht die emotionale, ekstatische Wucht des Titels 2011 besitzt, als ganz Fußball-Deutschland staunte und schwärmte über den und von dem BVB-Kindergarten, der da die Liga rockte. Eine derart jungfräulich wirkende Meisterschaft ist nicht wiederholbar, das erste Mal ist stets unvergleichlich unschuldig. Nun wusste schließlich jeder, wozu diese Mannschaft, dieser Trainer, dieser Klub im Ausnahmefall in der Lage ist. Was niemand wusste, kaum einer ahnte, war: Dass sie es direkt würden wiederholen können.
Borussia Dortmund ist kein Zufallschampion
Genau dies macht den sportlichen Stellenwert dieses Titels aus. Der BVB hat nachgewiesen, kein Zufallschampion zu sein, kein Eintags-Sieger, womöglich mit dem Makel behaftet, vom schwächelnden FC Bayern profitiert zu haben. Es lag nicht an den Münchnern, es lag ausnahmslos an den Borussen, dass sie nun, am 5. Mai, am letzten Bundesliga-Spieltag die Schale erneut emporrecken dürfen. Die Titelverteidigung der Dortmunder ist der nicht vorhandene Superlativ von verdient. Wer bis dato 26 Bundesliga-Spiele in Serie nicht verliert, wer die Bayern in beiden Duellen niederringt, wer den Dritten, den FC Schalke, in beiden Derbys besiegt und gegen kein Team von den Plätzen zwei bis sechs verliert, ist über jeden Zweifel erhaben.
Der erneute Dortmunder Titelgewinn ist Ausdruck eines vollendeten Aufbaus, Krönung eines Weges, den die BVB-Macher mit der Verpflichtung von Jürgen Klopp im Jahr 2008 begannen und der sie nach den Plätzen sechs und fünf nun zum zweiten Mal auf den Gipfel führte. Der im Jahr 2005 überstandene finanzielle Kollaps hat diesen Weg des soliden, nachhaltigen Ansatzes begünstigt, ja ermöglicht; die pure Not, die reine Existenzangst haben den Klub, das Umfeld Demut gelehrt, ohne die dieser rasante Aufstieg nicht zu erklären ist. Auf diese Art aber ist dieser zweite Titel auch das Ende eines Weges. Es ist das Ende der Geschichte des kleinen Aufsteigers, des bestaunten Phoenix-Phänomens, des Davids im heroischen Kampf mit den Großen der Liga. Der BVB ist jetzt selbst ein Goliath.
Der BVB ist die klare Nummer zwei in Deutschland
Die Dortmunder haben die Bayern durch ihre Erfolge herausgefordert, sie werden sich diesem Duell nicht mehr entziehen können. Das ist schon national eine riesige Herausforderung (die man nicht jedes Jahr bestehen kann), dazu kommt ein gewachsener internationaler Anspruch. Ein derart blamables Aus in der Champions League – in dieser Spielzeit als Betriebsunfall deklariert und ob der Lausbubenhaftigkeit der Mannschaft umgehend verziehen – würde nicht mehr ohne jedes Murren hingenommen.
Ein solch’ millionenschwerer Transfer wie jener von Marco Reus erweitert zudem die schwarzgelbe Schnäppchenjäger-Legende um die Komponente der spürbar gewachsenen Finanzkraft. Der BVB ist fortan nicht mehr einer der zahllosen Bayern-Jäger, die Dortmunder sind die klare Nummer zwei in Deutschland. Das Ende des Branchenprimus’ Bayern, in jüngster Vergangenheit herbeigeschrieben, bedeutet dies mitnichten.
Stolperfallen für BVB werden größer
Am Rekordmeister, weiterhin finanziell in anderer Preislage unterwegs, wird sich auch zukünftig alles orientieren. Aber der BVB hat seinen eigenen, unfassbar erfolgreichen Weg gefunden. Er wird versuchen, ihn weiterzugehen. Die Hindernisse, die Stolperfallen auf dieser Strecke aber werden immer größer. Ist das undankbar? Vielleicht. Aber es ist vor allem Ausdruck der gewachsenen Bedeutung, die auch eine gestiegene Verpflichtung bedeutet. Diesen Rollenwechsel hat sich der BVB durch zwei sensationelle Jahre mehr als verdient.