Wolfsburg. . Borussia Dortmund überfährt den VfL Wolfsburg mit frischem Fußball und sammelt Punkte und Sympathiepunkte. Der BVB erfreut nicht nur den eigenen Anhang. Und hebt nicht ab.
Dortmund hat alles, was der Volkswagen-Konzern sich wünschen kann. Eine junge Mannschaft mit Charakter und hohem Identifikationsfaktor, mehr Fans, als in einen Polo passen, und darüber hinaus auch noch den industriellen Raum, der einen Standortwechsel erleichtern würde. Das Gerücht, Unternehmensführer Martin Winterkorn plane einen Umzug vom Niedersächsischen ins Westfälische, lässt sich dennoch nicht bestätigen. Wahrscheinlich bleibt man, wo man ist, und macht weiter, wie man es schon immer getan hat.
Beim VfL Wolfsburg, dem teuren VW-Ableger, geht Steve McClaren zumindest davon aus. Der Trainer-Import aus England hat nach der 0:3-Niederlage gegen die Dortmunder Borussia erläutert, wie er sich die Zeit bis zum Schließen des Transferfensters um 24 Uhr am Montag vorstellt. Als Zeit des Shoppens. „Wir brauchen Verstärkungen.“ BVB-Trainer Jürgen Klopp lauschte den Ausführungen des Kollegen und versuchte sich parallel dazu daran, sein Gesicht auf eine Bühnenrolle als steinerner Gast im „Don Juan“ vorzubereiten. In ihrer Philosophie sind der Großsponsorenklub und die gewandelte Borussia offenbar noch erheblich weiter voneinander entfernt als in der Tabelle. Im Fußballbetrieb VfL wird bei jedem Problem traditionsbewusst nach dem Geldsack gerufen. Beim Ballspielverein Borussia hat man nach leidvollen Erfahrungen in der Vergangenheit erkannt, dass Ausbildung sich lohnt, und sammelt jetzt mit jugendfrischem Fußball Punkte und Sympathiepunkte.
Locker hat Dortmund die Partie in der Wolfsburger Arena nicht gewonnen, aber am Ende überzeugend und verdient, mit klarer Struktur, mit schnellen Füßen und schnellen Gedanken. Für McClaren war das ein Anlass, den Gegner dahin zu heben, wo ihn der Rest der Republik schon länger anordnet. Über die Wolken. „Ich denke, heute haben wir den nächsten Meister gesehen“, erklärte der Coach in der Sprache seiner Heimat und konnte wieder kaum Applaus von Klopp erwarten. Meister, das ist schließlich für die kleine, schwarz-gelbe Enklave das Unwort der Saison.
Wie sich von der Vereinsführung über den Trainer bis zu den Spielern alle Beteiligten um das Ja-wir-wollen-Wort herumdrücken, das hat schon beachtliche sprachartistische Qualität. Nach dem Erfolg gegen die Vermögenden von der aschgrauen Ligaebene verkündete Nuri Sahin mit deutlichem Bezug zur Leistung der Mannschaft: „Das ist schon Weltklasse.“ Der wieder einmal überragende BVB-Stratege bewertete so euphorisch allerdings lediglich, dass mittlerweile zehn Auswärtssiege eingefahren wurden.
Widerspruch erntete er dafür natürlich nicht. Und hätte er nach der Demontage des VW-Prunkwagens durch Treffer von Lucas Barrios, Mario Götze und Mats Hummels (2., 40., 71. Minute) einen Titelanspruch durch die XXL-Posaune herausgeblasen: Der Widerspruch wäre höchstens hingehaucht worden. Mit elf Punkten Abstand zu Bayer Leverkusen führt die Borussia souverän die Tabelle an. Durchgerechnet kann sie sich auf dem Weg zur Feier auf dem Borsigplatz noch die eine oder andere Niederlage erlauben. Wenn am Freitagabend „die Mutter aller Fußballspiele in Deutschland“ (Klopp) angepfiffen wird, handelt es sich aber um einen neuen Wettbewerb. Klopp hat es den Fremden in der Fremde näher gebracht: „In unserer Region ist es möglich, mit einem Spiel vieles vergessen zu machen.“ Die Schalker könnten bei einem Revier-Derby-Auftritt in Dortmund mit abschließendem königsblauen Hurra also davon ablenken, dass Ambition und Performance bei ihnen nicht eine so innige Beziehung führen wie Barbie und Ken in der Puppenstube. Rational ist das nicht. Es ist nur: normal irrational und von irrsinniger Bedeutung.
Subotic fehlt im Revierderby
Dass Shinji Kagawa mit Mittelfußbruch vom Asien-Cup in Katar zurückkehrte, hat die Darbietung in Wolfsburg nicht beeinträchtigt. Götze hat dessen Position ähnlich inspiriert ausgefüllt wie der Japaner selbst. Dass Innenverteidiger Neven Subotic in Auto-Stadt die fünfte Gelbe Karte sah und gegen Schalke fehlen wird, kann aufgefangen werden. Der wahrscheinliche Ersatzmann Felipe Santana hat beim VfL schon Spielpraxis gesammelt. Dass Sven Bender mit von Fabian Johnsons Schuh gezeichneter Stirn in die Kabine kam, vor allem aber, dass Zweit-Innenverteidiger Hummels nach seinem Treffer zunächst benommen nach Orientierung suchte (Schlag auf den Solarplexus), beunruhigte Klopp: „Das wäre ein riesiges Problem gewesen.“
Was zeigt: Dortmund hat wirklich alles. Sogar die Möglichkeit zum Problem.