Dortmund. . Beginnt bei Borussia Dortmund das große Zittern? Wir haben mit dem Diplom-Psychologen Dr. Ulrich Kuhl über den BVB und Trainer Jürgen Klopp gesprochen.

Der Diplom-Psychologe und Managementberater Dr. Ulrich Kuhl ist seit 1993 geschäftsführender Gesellschafter der kkp-managementberatung (Essen) und zudem seit langen Jahren am Olympiastützpunkt Rhein-Ruhr mit Profisportlern, Mannschaften und Trainern sportpsychologisch tätig. DerWesten sprach mit ihm über Bundesliga-Tabellenführer Borussia Dortmund.

Herr Dr. Kuhl, der Meisterfavorit Borussia Dortmund hat am letzten Wochenende nur 1:1 gegen den abstiegsbedrohten VfB Stuttgart gespielt. Beginnt jetzt das große Zittern?

Kuhl: Nein. Was ist denn passiert? Der BVB hat gut gespielt, immer noch einen beeindruckenden Vorsprung auf die Konkurrenz und ist damit weiter in einer super Situation. Es kann passieren, dass man den Lohn für seine Arbeit nicht bekommt. Wir sprechen von einer jungen Mannschaft mit Top-Talenten. Die können noch nicht in jeder Situation die totale Stabilität haben. Eine Kurve verläuft ja auch nicht immer gerade, sondern hat Ausschläge. Wichtig ist, dass man die Fehler bespricht, zur Tagesordnung übergeht und sich auf den nächsten Gegner fokussiert. So wird es Jürgen Klopp es auch machen.

Könnten jetzt trotzdem Zweifel an der eigenen Stärke aufkommen?

Kuhl: Natürlich wird es bei den Spielern eigene Bewertungsprozesse geben, in denen auch negative Konsequenzen und Szenarien eine Rolle spielen. Das ist normal. Aber davon muss man sich schnell lösen. Es ist doch so: Wenn ich 5:0 führe und der Gegner kommt auf 5:2 heran, sollte ich nicht an das Unentschieden denken, sondern mir bewusst machen, dass ich immer noch in der weitaus besseren Position bin. Ich habe zwei Punkte abgegeben, aber immer noch einen sehr komfortablen Vorsprung.

Ist Trainer Jürgen Klopp in dieser Woche verstärkt als Aufbau-Kraft gefragt?

Kuhl: Ich denke, Jürgen Klopp macht es mit seiner straff-lockeren Führung genau richtig. Straff-locker klingt nach einem Widerspruch, ist aber genau, was er beherzigt. Klopp kann Dinge laufen lassen, weiß aber genau, wann er eingreifen und wieder anziehen muss. Ich verfolge seinen Weg schon länger, habe ihn beobachtet, als er mit Mainz die Aufstiege aus der 2. Bundesliga knapp verpasst hat. Es hat mir schon damals gefallen, wie er mit kritischen Situationen umgegangen ist.

Wie gelingt es einem Trainer generell, die Spannung von Spiel zu Spiel hochzuhalten und sich nicht abzunutzen?

Kuhl: Da geht es um Glaubwürdigkeit. Wenn ich die habe, kann ich gewisse Sachen und Ansprachen auch wiederholen. Und was Jürgen Klopp bislang gesagt hat, ist beim BVB fast immer eingetreten. Ein weiterer Vorteil für Dortmund: Die vielen jungen Spieler haben in ihrer Karriere kaum negative Erfahrungen gemacht. Also verdreht niemand die Augen und denkt sich, was der Trainer sagt, kriegen wir eh nicht hin. Zudem haben die Borussen offensichtlich besonderen Teamgeist, den positive Schmierstoff jeder Mannschaft. Es geht darum, Fehler zu verzeihen, den anderen zu unterstützen, aufzubauen, zu pushen. Da bietet sich jetzt eine gute Gelegenheit.

Beim BVB denken ja alle offiziell immer nur an das nächste Spiel und nie an die Meisterschaft. Glauben Sie, dass sich intern jeder an diese Vorgabe hält?

Kuhl: Nein. Nach den Spielen darf jeder träumen. Und das wird beim BVB sicher auch gemacht. Ich darf doch tolle Gefühle genießen. Aber die Vorgehensweise, diese Strategie, ist meiner Meinung nach richtig. Wichtig ist, dass ich beim nächsten Spiel wieder ganz in der Realität bin und konzentriert und aufgabenbezogen denke: Was kann ich erreichen? Was muss ich dafür tun? Und schließlich: Wie kann ich mir meinen Traum erfüllen?

Wird es Ihrer Meinung nach den Zeitpunkt geben, an dem sich der BVB zum greifbaren Meistertitel bekennt?

Kuhl: Ja. Sonst entsteht auch der Eindruck, sie glauben selbst nicht daran. Wenn sie auf die Zielgerade einbiegen und immer noch einen guten Vorsprung haben, dann schauen sie nach vorne und wollen es durchziehen. Es wäre blöd, wenn sie dann nur nach hinten schauen und sich Gedanken über die Konkurrenz machen. Als Felix Magath mit dem VfL Wolfsburg Meister wurde, hat er sich irgendwann auch dazu bekannt und gesagt, dass er die Schale haben will. Und das wird in Dortmund auch passieren. Da bin ich sicher.