Dortmund. BVB-Profi Julian Brandt hat riesiges Potential, seine Leistungen schwanken aber oft. Im Interview spricht er über seine Zukunft und Trainer Rose.

Julian Brandt erscheint mit dem typischen Julian-Brandt-Grinsen zum Interview. Der Offensivspieler von Borussia Dortmund hat derzeit auch allen Anlass, bestens gelaunt zu sein: In den zurückliegenden Bundesligaspielen zählte der 25-Jährige zu den besten Profis des BVB. Davor hatte er einige Male auf der Bank gesessen und deswegen fallen auch kritische Worte - über die eigene Situation und über die vielen Schwankungen des BVB. Ein Gespräch über seine Zukunft, die Arbeit von Trainer Marco Rose, Verbesserungspotenziale in der Mannschaft - und das anstehende Topspiel gegen den FC Bayern (Samstag, 18.30 Uhr/Sky).

Worum geht es überhaupt noch im Spiel gegen den FC Bayern?

Julian Brandt: Das ist mir als Fragestellung zu negativ. Für die Bayern geht es um die sichere Meisterschaft; für uns darum, da weiterzumachen, wo wir im Hinspiel aufgehört haben. Wir haben da ein sehr, sehr gutes Spiel gemacht und hätten den Sieg verdient gehabt. Jetzt wollen wir mit einer guten Leistung das Erfolgserlebnis holen, das wir in der Hinrunde äußerst unglücklich verpasst haben.

Bayern und Dortmund sind in den Pokalwettbewerben ausgeschieden, Platz eins und zwei in der Liga scheinen vergeben. Provokant formuliert: Es spielen zwei Mannschaften gegeneinander, für die es um nichts mehr geht.

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Eigentlich ist das Spiel zu einem geilen Zeitpunkt terminiert. Leider haben wir durch die Spiele in Köln und gegen Leipzig verpasst, dass es noch einmal um alles geht. Trotzdem werden viele Menschen das Spiel sehen wollen, in Deutschland und auch weltweit. Es ist immer etwas Besonderes, wenn die beiden besten deutschen Mannschaften aufeinandertreffen.

Wie sehen Sie denn die Ausgangslage in dem einen Spiel? Sie haben große Personalsorgen und die Bayern wirken längst nicht so unbezwingbar wie in vergangenen Zeiten.

Natürlich haben wir Personalsorgen. Aber die Jungs, die fit sind, haben genug Qualität, ein richtig gutes Spiel abzuliefern. Wichtig ist: Wir dürfen uns nicht hinten reindrücken lassen, wir müssen mit breiter Brust aufspielen. Vielleicht kann es für den einen oder anderen auch befreiend sein, dass es diesmal in erster Linie ums Prestige geht.

Nach der knappen Niederlage im Hinspiel hatte man das Gefühl, dass bei der Mannschaft die Luft raus sei.

Wenn man in einem Spiel so viel investiert und sich so drauf gefreut hat, und man das dann verliert, obwohl man mehr verdient hatte, ist man als Mannschaft am nächsten Tag erstmal gebrochen. Und dann ist es nicht so einfach, den Fokus sofort auf die folgenden Spiele zu bekommen. Aber wir hatten im Laufe der Saison immer wieder ganz klare Chancen, den Meisterschaftskampf offen zu gestalten, und haben sie nicht genutzt. Deswegen glaube ich nicht, dass das Hinspiel der eine entscheidende Knackpunkt war.

Diese Kunst, den Fokus immer voll aufs kommende Spiel zu legen – fehlt die der BVB-Mannschaft noch und ist das eine Erklärung für die inkonstante Saison?

Es ist auf jeden Fall eine von mehreren Ursachen. Wenn du im Champions-League-Rhythmus bist, musst du lernen, im Dreitagesrhythmus zu spielen und die Partie spätestens am nächsten Tag abhaken können – egal ob du gewinnst oder verlierst. Du musst schnell bereit sein für neue Aufgaben und neue Kräfte, die sich dir entgegenstellen. Da können wir uns sicher noch weiterentwickeln.

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BVB-Profi Julian Brandt: "Es ist nicht alles schlecht"

Im Januar haben sie beklagt, dass die Mannschaft sich zu leicht aus dem Konzept bringen lässt. Gilt die Diagnose noch?

Es ist nicht mehr so extrem wie in der Hinrunde, dass wir ein gutes Spiel machen und dann durch einen schlechten Moment alles auseinanderfällt. Ganz abstellen lässt sich das nicht von heute auf morgen, das ist ein Prozess, und wir sind auf einem guten Weg. Wir haben ja eine vernünftige Anzahl an Punkten, es ist also nicht alles schlecht – aber es geht um die letzten ein, zwei Prozent.

Julian Brandt erlebt bei Borussia Dortmund eine wechselhafte Saison.
Julian Brandt erlebt bei Borussia Dortmund eine wechselhafte Saison. © firo

Und genau die machen auf höchstem Niveau den Unterschied aus. Bleibt denn das Ziel, die Bayern herauszufordern?

Ich strebe immer, in jedem Spiel und jedem Wettbewerb, nach dem Optimum. Ich verstehe natürlich, warum der Klub öffentlich nicht das klare Saisonziel ausgegeben hat, die Bayern anzugreifen. Dazu fehlen platt gesagt ein paar Hundert Millionen Euro. Aber als Spieler muss es doch immer das Ziel sein, alle 34 Spiele zu gewinnen. Und dann gewinnst du wahrscheinlich auch die Meisterschaft (grinst). Jeder Spieler will Meister werden, den DFB-Pokal gewinnen und in der Champions League das wiederholen, was die Menschen hier 2013 erlebt haben. Wie realistisch das ist, ist eine andere Frage. Aber der Wille, die Gier darauf, ist bei jedem da.

Diese Gier ist auch Marco Rose wichtig, der seit Sommer Trainer ist. Wie sehr hat die Mannschaft seine Ideen schon verinnerlicht?

Da haben wir noch einen gewissen Weg vor uns, und zwar aus mehreren Gründen. Ich glaube nicht, dass die Mannschaft nicht zum Fußball des Trainers passt. Aber wenn man den Spielstil erarbeiten will, für den Marco Rose steht, das Pressing, das hohe Attackieren, die ständige Aktivität, den Vollgasfußball in beide Richtungen – dann muss man mindestens vom Verletzungspech verschont bleiben. Und das waren wir nun wirklich nicht. Dann ist es umgekehrt schwer, diesen Spielstil und die Automatismen innerhalb kürzester Zeit zu verinnerlichen. Aber der Trainer lässt nichts unversucht, und ich glaube auch, dass es auf Dauer klappen wird.

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Was macht Sie so optimistisch?

Ich habe zweieinhalb Jahre unter Roger Schmidt gespielt, der noch extremeres Pressing gefordert hat. Das braucht immer seine Zeit. Wenn die ganzen Störfaktoren irgendwann überwunden sind, kann hier etwas Großes entstehen.

Das heißt: Sie fühlen sich wohl mit dieser Art Fußball?

Ich habe schon lange so gespielt. Pressing ist an sich ganz einfach. Es ist vergleichbar mit einem Fischschwarm. Und wenn alle in diesem Schwarm dasselbe machen, kommt der Gegner da gar nicht raus; irgendwann knallt es. Wenn aber einer nicht richtig mitmacht oder man die Situation verpennt, sieht man im Kollektiv richtig schlecht aus. Das müssen wir verinnerlichen: Dass alle elf Spieler voll mitziehen! Ich bin sicher: Wenn der Trainer im Sommer eine vernünftige Vorbereitung mit vielen gesunden Spielern bekommt und mit ihnen im Detail arbeiten kann, werden wir nochmal einige Schritte nach vorne machen.

Brandt: "Ich bin kein Jude Bellingham"

Und dieser aggressive Stil liegt Ihnen?

Natürlich bin ich kein Jude Bellingham, der dazwischenhaut und dann mal eine Gelbe Karte sieht. Da ist nun einmal nicht meine Natur. Und ich weiß, dass das den einen oder anderen stört, weil man in dieser Region sehr gerne Arbeiterfußball sieht. Aber ich habe dieses Pressing gespielt, es steckt in mir drin und ich habe da auch großen Bock drauf.

In Ihrer Statistik stehen für diese Saison immerhin schon zwei Gelbe Karten – und damit doppelt so viele wie in der ganzen bisherigen Bundesliga-Karriere.

Sie sehen, ich versuche also, mich weiterzuentwickeln (grinst). Nächste Saison sind es dann vielleicht sogar schon drei (lacht).

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Ganz so geradlinig lief es für Sie in Dortmund bislang nicht. Auch in dieser Saison war die Hinrunde stark, dann saßen Sie mehrfach nur auf der Bank.

Ja, der März war schwierig, da war ich auch mit meinen Scorerpunkten nicht zufrieden. Aber ich versuche immer, das Positive zu sehen und nicht allzu viel über negative Dinge nachzudenken. Nachdem die letzte Saison gar nicht lief wie gewünscht, habe ich mir vor allem vorgenommen, das Wechselhafte herauszubekommen aus meinem Spiel. Und ich finde, das ist schon besser geworden. Als ich auf der Bank saß, war mir klar: Ich muss sofort wieder da sein, wenn ich die Chance habe – und deswegen haben mir die Spiele gegen Stuttgart und Wolfsburg auch sehr gutgetan. Am Ende der Saison muss stehen, dass ich insgesamt nicht ein oder zwei Schritte zurück-, sondern zwei oder drei nach vorne gegangen bin.

BVB-Profi Julian Brandt
BVB-Profi Julian Brandt © firo Sportphoto

Vor drei Jahren haben Sie bei uns im Interview gesagt, dass die größere Aufmerksamkeit, der größere Druck beim BVB im Vergleich zu Leverkusen Sie menschlich und spielerisch prägen könne. Ist diese Prägung schon erfolgt?

Menschlich definitiv. Durch negative Phasen und Erlebnisse wie das frühe Aus in den Pokalwettbewerben habe ich einiges gelernt. Deswegen war dieser Schritt nach Dortmund auch richtig und wichtig für mich – und ich bin auch für die Zeiten, in denen es nicht lief, sehr dankbar. Aber es ist schon herausfordernd, dass gefühlt immer Aufregung herrscht. Wenn du mal 1:0 gewinnst und das Spiel Grütze war, hast du schon ein halbes Problem. Wenn du dann noch Unentschieden spielst oder verlierst, hast du ein richtiges Problem. Das zu wissen und zu beherrschen, macht dich im Kopf stärker, definitiv. Aber der Druck ist schon deutlich höher als bei fast allen anderen Teams.

Wenn man dann in den Medien als Streichkandidat gehandelt wird, ist das sicher auch nicht leicht.

Nehmen Sie das nicht persönlich, aber ich lese gar nicht so viel Zeitung.

Aber irgendwie bekommt man das doch immer mit.

Natürlich. Aber ich bin ja auch keine 17 mehr, mir ist nicht so wichtig, was die Leute über mich reden oder schreiben oder denken – abgesehen vom Trainer natürlich (grinst). In den Medien werden in jedem Sommer und in jedem Winter beim BVB 35 neue Spieler und 35 Abgänge gehandelt. Darüber mache ich mir keine großen Gedanken, sonst könnte ich nachts nicht mehr schlafen.

Julian Brandt: Eine WM ist ein geiles Erlebnis

Dann klären wir die Fakten doch mal: Wo sehen wir Sie in der kommenden Saison Fußball spielen?

Ich beschäftige mich momentan nicht mit Wechselgedanken, von daher ist die Antwort klar. Ich habe immer noch extreme Lust auf diesen Verein und denke nicht, dass meine Zeit hier zu Ende ist. Ich habe das Gefühl, dass sich hier etwas extrem Gutes entwickelt mit dem Trainer, seinem Team und den Jungs, die hier spielen. Natürlich kann im Leben vieles passieren und die Dinge können sich schlagartig ändern. Aber für mich gibt es keinen Grund zu wechseln. Ich fühle mich wohl in Dortmund und habe hier noch ein bisschen was vor.

Und sehen wir Sie im Winter bei der WM?

Ich versuche, die Chancen zu nutzen, die mir momentan gegeben werden. Beim letzten Nationalmannschafts-Lehrgang hatte ich Glück, dass ich noch nachreisen konnte, weil Serge Gnabry ausfiel. Mein Gefühl ist, dass ich die Trainingseinheiten da gut genutzt habe, auch die Gespräche mit dem Bundestrainer waren positiv. Ich habe schon an einer WM teilgenommen. Die war zwar nicht besonders erfolgreich, aber das war trotzdem ein geiles Erlebnis. Wenn man schon nah dran ist und die Chance hat, muss man auch versuchen, sie beim Schopfe zu packen. Aber davor kommen ja noch viele wichtige Spiele mit dem BVB.