Dortmund. . Jürgen Kohler hat für den BVB und den FC Bayern gespielt. Vor dem Spitzentreffen spricht der 55-Jährige im Interview über die Unterschiede.

Natürlich würde Jürgen Kohler (55) das Topspiel zwischen dem FC Bayern und Borussia Dortmund am Samstag (18.30 Uhr/Sky) gerne im Stadion anschauen, doch die Corona-Pandemie verhindert dies. Dafür nimmt sich der Champions-League-Sieger von 1997 aber die Zeit, mit uns über seine beiden ehemaligen Klubs zu sprechen. Er sagt, was dem BVB fehlt, um mit den Bayern mitzuhalten, und fordert mehr Mut. Zudem erkärt er, warum er den ehemaligen Bayern-Manager Uli Hoeneß besonders schätzt – und warum Mats Hummels nicht mit zur EM fahren sollte.

Herr Kohler, im Jahr 2000 assistierte Matthias Sammer beim BVB erst Udo Lattek, wurde dann Cheftrainer. Lässt sich dies mit der Beförderung von Edin Terzic vergleichen?

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Jürgen Kohler: Bei Matthias war es eine andere Ausgangsposition, es ging zunächst nur um den Klassenerhalt. Außerdem war klar, dass er anschließend Cheftrainer wird. Bei Edin Terzic ist es ja hingegen so, dass er wieder in die zweite Reihe gehen wird. Wobei ich das schwierig finde.

Warum?

Kohler: Na ja, wenn der BVB diese Saison noch erfolgreich abschließt, vielleicht sogar den Pokal gewinnt. Dann wird es Terzic sicher schwerfallen, sich wieder zurückzunehmen. Aber bei den Dortmunder kann es ja noch in beide Richtungen laufen.

Wer gewinnt denn am Samstag?

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Kohler: Nüchtern betrachtet, gewinnen Bayern. Die Dortmunder haben den Platz jetzt zwar viermal in Serie als Sieger verlassen, aber spielerisch hat mich das nicht überzeugt, nur kämpferisch. Aber gut, sie mussten auch durch eine schwierige Phase, da mussten sie irgendwie raus, denn nur durch Siege gewinnt man Selbstvertrauen.

Wo liegen die Probleme der Dortmunder?

Kohler: Mir fehlt da die absolute Gier, diese Galligkeit, einen Titel gewinnen zu wollen. Denn das muss der Anspruch sein, sie haben einen großen Etat, einen starken Kader. Doch der Anspruch, unbedingt an die Spitze zu wollen, der fehlt mir.

Kann das mit dem neuen Trainer Marco Rose im Sommer besser werden?

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Kohler: Er wird sich in jedem Fall diesem Druck stellen müssen. Wenn ein Spieler oder ein Trainer zum BVB wechselt, dann muss ihm klar sein, dass es um Titel geht. Das wollen die Fans. Selbstverständlich ist es nicht einfach, an den Bayern vorbeizuziehen, aber die Ehrfurcht vor den Münchenern muss man ablegen. Mir hat es deswegen gefallen, als die Dortmunder Verantwortlichen vor zwei Jahren vom Ziel „Titelgewinn“ gesprochen haben.

Sie kennen beide Vereine. Wo liegen die Unterschiede?

Kohler: Der BVB befindet sich im Ruhrpott, das ist ein Arbeiterverein. Der FC Bayern ist ein Visionärsverein. Die Dortmunder haben zu Beginn dieses Jahrtausends eine schwere Zeit durchlaufen, das hat sie zurückgeworfen, erst durch Trainer Jürgen Klopp haben sie sich wieder nach oben gearbeitet. Bei den Bayern ist es eine große Stärke, ehemalige Profis im Verein einzubinden. Außerdem ist Uli Hoeneß für mich der beste Manager der Welt gewesen.

Warum?

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Kohler: Er war ein Visionär. Ich werde nie vergessen, wie er mir schon 1989 sagte, als ich gerade zu den Bayern kam, dass das Pay-TV im Fußball einsteigen wird, dass dadurch die Einnahmen explodieren werden. Da kannten wir das alle noch gar nicht. Hoeneß wollte den FC Bayern immer unter die ersten drei in Europa schieben – und das hat er geschafft.

Außerdem kaufen sie ihren nationalen Konkurrenten regelmäßig die besten Spieler weg. Oder?

Kohler: Weil sie nun mal das meiste Geld einnehmen, können sie das machen. Gleichzeitig schaffen sie es ihren Profis aber auch, den Willen zum Erfolg einzuimpfen. Und sie halten ihre Spitzenspieler. Ohne Manuel Neuer und Robert Lewandowski wären die Münchener meiner Meinung nach nur halb so stark.

Sie müssen es wissen. Wie gewinnt man Titel?

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Kohler: Dafür gibt es kein Geheimrezept. Letztlich ist es ganz wichtig, als Mannschaft gemeinsam Siege zu feiern, die brennen sich auf die Festplatte, so übersteht man auch mal schwierige Situationen. Uli Hoeneß hat mich etwa bei meinem Wechsel gefragt, was meine Ziele seien. Ich habe geantwortet, dass ich Meister werden wolle. Da hat er gesagt, dass dies gut sei, weil der zweite Platz in München nichts wert sei. Dieses Selbstverständnis lebt der Klub.

Welche Trainer waren dabei Ihre besten?

Kohler: Ich habe unter so vielen guten Trainern gearbeitet. Schlappner, Daum, Heynckes, Lippi, Hitzfeld. Aber auch Bernd Kraus war ein Super-Trainer, auch wenn wir mit ihm in Dortmund keinen Erfolg hatten. Das lag aber mehr an individuellen Fehlern, ich habe damals ebenfalls gepatzt.

An welche Partie zwischen Dortmund und den Bayern erinnern Sie sich besonders?

Kohler: Vor allem erinnere ich mich daran, wie wir 1984 mit Waldhof Mannheim 2:1 bei den Bayern gewonnen haben, damit konnte nämlich niemand rechnen. Das war mit Abstand das beste Ereignis. Aber die 90 Minuten zwischen dem BVB und dem FC Bayern waren natürlich immer Top-Spiele, sie waren immer eng, immer etwas Besonderes.

Schläft man vor so einem Kracher unruhiger?

Kohler: Ich war da kälter als eine Hundeschnauze. Ich habe mich da davon nicht beeindrucken lassen. Ich habe auch nie wirklich Druck gespürt, Fußball war mein Leben, meine Passion. Es ist wohl das, was ich am besten kann.

Mittlerweile verteidigt Mats Hummels beim BVB. Sollte er mit zur EM?

Kohler: Ich bin ein Typ, für den Entscheidungen unumstößlich sind. Das kann man vielleicht als engstirnig bezeichnen. Aber ich fände es besser, wenn Bundestrainer Joachim Löw nicht zurückschwenkt. Denn Mats Hummels, Thomas Müller oder auch Jerome Boateng werden sich ganz sicher nicht geräuschlos auf die Bank setzen, wenn sie mitkommen, wollen sie auch spielen.

Wird es der BVB schaffen, sich bald wieder vor die Bayern zu schieben?

Kohler: Das ist ein Muss. Sie können den Leuten nicht immer sagen, dass sie mit dem zweiten Platz zufrieden sind. Der Anspruch, nach oben zu wollen, muss automatisiert werden. Das muss immer wieder eingefordert werden. Ansonsten kriegt man nicht die Mia-San-Mia-Mentalität der Bayern.