Dortmund. Beim BVB soll Sebastian Kehl auf Michael Zorc als Sportdirektor folgen. Die Entscheidung ist logisch, birgt aber Risiken - für beide Seiten.

Der Gegensatz könnte kaum größer sein in diesen Tagen: Beim FC Schalke 04 wurde soeben wieder das leitende Personal ausgetauscht und man kann inzwischen schon nicht mehr an einer Hand abzählen, wer in der laufenden Saison schon alles sportliche Verantwortung trug. Und bei Borussia Dortmund schickt man sich an, einen gewaltigen Umbruch in der sportlichen Führung erstaunlich geräuscharm über die Bühne zu bringen.

Denn der Abgang von Sportdirektor Michael Zorc im Jahr 2022 wird eine gewaltige Zäsur bedeuten, der 58-Jährige trägt seit über 20 Jahren die sportliche Verantwortung beim BVB. Die Entscheidung über seine Nachfolge ist deswegen eine der wichtigsten seit langem. Diese Personalie muss sitzen.

Dass die Wahl auf Sebastian Kehl fiel, ist nur logisch. Der 41-Jährige ist ein Gesicht des Vereins, das erhöht die Identifikation und verschafft im Umfeld Kredit. Aber das allein würde natürlich nicht reichen. Kehl hat sich als Lizenzspielerchef profiliert, er hat gezeigt, dass er strategisch denken, dass er Prozesse strukturieren, dass er organisieren und Menschen führen kann. Und er hat dabei den Klub und die Mannschaft sehr gut kennengelernt, wichtige Erfahrungen gesammelt.

BVB: Die Entscheidung für Kehl ist mutig - von beiden Seiten

Dennoch ist die Entscheidung für Kehl eine mutige, dennoch birgt sie Risiken - für beide Seiten: Sebastian Kehl tritt in gewaltige Fußstapfen. Er folgt auf einen Mann, der den BVB in der deutschen und in der erweiterten europäischen Spitze etabliert hat, der durch kluge Transfers mit dafür gesorgt hat, dass aus dem Fast-Pleite-Klub ein finanziell und sportlich schlagkräftiger Klub wurde, dass Titel nicht nur wieder eine theoretische Möglichkeit, sondern auch praktisch geholt wurden.

Wird den BVB 2022 verlassen: Michael Zorc
Wird den BVB 2022 verlassen: Michael Zorc © Getty

Kehl hat als Nachfolger erst einmal mehr zu verlieren als zu gewinnen. Er muss die Arbeit seines Vorgängers bestätigen und wird dabei erfahren müssen, dass die Trauben für den BVB inzwischen verdammt hoch hängen. Für Vizemeisterschaften bekommt man in Dortmund kein Denkmal gebaut, die werden schlicht erwartet, obwohl die Konkurrenz schlagkräftiger wird - siehe RB Leipzig.

BVB: Zorcs Netzwerk wird schwer zu ersetzen

Und der BVB setzt auf einen Mann mit unbestreitbar großen Fähigkeiten, der sich außerdem als intelligenter, schneller Lerner gezeigt hat - dem aber die praktische Erfahrung als sportlich Verantwortlicher noch fehlt. Michael Zorc hat sich ein gewaltiges Netzwerk und einen großen Erfahrungsschatz aufgebaut, beides kann Kehl natürlich noch nicht haben.

Beides erleichtert es aber erheblich. Transfers in einem immer umkämpfteren Markt einzufädeln. Die Nische mit jungen, entwicklungsfähigen Spielern, die der BVB einst für sich entdeckte, wird ja längst auch von anderen Klubs beackert. Wer im Rennen um die Talente vorne sein will, der braucht viel Gespür - der braucht aber auch das Vertrauen der Menschen, mit denen er verhandelt. Das kann man nicht theoretisch lernen, das muss man praktisch aufbauen. Diese Erfahrung musste ja auch Zorc einst machen, auch sein Start beim BVB verlief alles andere als reibungslos.

Wer wird Sebastian Kehl beim BVB zuarbeiten?

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Das alles kann sich Kehl ohne Zweifel aneignen, das braucht aber Zeit. Es wird deswegen nicht damit getan sein, dass Zorc sein Telefonbuch weiterreicht an seinen Nachfolger. Er wird Kehl in den kommenden Monaten mehr und mehr einbinden, ihm mehr und mehr Verantwortung übertragen müssen, damit 2022 ein einigermaßen fließender, reibungsloser Übergang gelingen kann.

Und dann wird es da noch eine zweite wichtige Frage geben: Wer arbeitet Kehl zu? Ein versierter Kaderplaner, der genau dort Erfahrung hat, wo sie Kehl noch abgeht, wäre die Ideallösung. Der Name Sven Mislintat fiel zuletzt ja immer wieder. Er brächte genau dieses Profil mit - er hat zuletzt aber immer mal wieder durchblicken lassen, dass er auch in Zukunft Verantwortung tragen und Entscheidungen treffen will und nicht ins zweite Glied zurücktreten möchte. Die Dortmunder werden wohl nach einer anderen Lösung fahnden müssen.