Dortmund. Mit 32 Jahren zieht sich der Dortmunder Junge Kevin Großkreutz als Profi zurück. Er zählte zum Weltmeister-Aufgebot - und stürzte danach ab.

Die Jacke war schon ausgezogen, Kevin Großkreutz stand am Spielfeldrand bereit. Da rappelte sich Bastian Schweinsteiger noch einmal auf und warf sich mit frisch getackerter Platzwunde im Gesicht in die letzten Minuten dieser Fußballschlacht gegen Argentinien. Und Großkreutz blieb der Profi, der wohl so knapp wie kein anderer vorbeigeschrammt ist an einem Einsatz im Weltmeisterschafts-Finale. Bei der Feier nach dem Titelgewinn zählte er trotzdem zu den absoluten Leistungsträgern. Feiern konnte er schon immer gut. Und seine Karriere, die er nun mit 32 Jahren beendet hat, bot ihm einige Anlässe dazu.

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Oft war Roman Weidenfeller dabei, bei Borussia Dortmund und auch bei der WM 2014. „Das war natürlich ein sensationelles Erlebnis und mit dem Titelgewinn war es die Krönung einer ganz tollen Karriere“, sagt der ehemalige Torwart im Gespräch mit dieser Zeitung.

WM teilt die Karriere von Kevin Großkreutz

Krönung, das klingt nach Abschluss, dabei war Großkreutz damals erst 25. Aber so falsch ist der Ausdruck nicht. Denn diese WM teilt die Karriere des Jungen aus dem Dortmunder Arbeiter-Stadtteil Eving in zwei Teile: einen, in dem er viel mehr erreichte, als ihm die meisten zugetraut hatten. Und einen, in dem er die Erwartungen nicht erfüllte, die sie nun an einen „Weltmeister“ hatten. „Es war sicher keine Bilderbuchkarriere“, sagt Großkreutz selbst. Dafür war sie aber selten langweilig.

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„Wir sind alle Dortmunder Jungs“, singen sie auf der Südtribüne, als er im August 2009 im Bundesligaspiel gegen den 1. FC Köln erstmals eingewechselt wird. Denn Großkreutz ist einer von ihnen, einer, der es von der Südtribüne auf den Platz geschafft hat. „Wenn Kevin sagt, dass er ein echter Borusse ist, dann ist das nicht bloß ein Lippenbekenntnis, dann ist das einfach die Wahrheit“, sagt Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke.

Kevin Großkreutz: Ein Spieler mit "Herz und Ehrgeiz"

Seinen Platz hat sich Großkreutz erarbeitet: „Er war nicht der talentierteste Spieler, aber einer der leidenschaftlichsten“, erinnert sich Weidenfeller. „Einer, der mit Herz und Ehrgeiz das Beste für sich und den BVB gegeben hat.“ Und damit wie gemacht ist für den Vollgasfußball des Trainers Jürgen Klopp.

Die Fußballrepublik spaltet Großkreutz, auch mit abfälligen Sprüchen über den Rivalen Schalke 04. In Dortmund aber lieben ihn nicht nur die Fans. „Ich habe Kevin von Anfang an ins Herz geschlossen, weil er so eine typische Dortmunder Art hatte, immer frei heraus“, sagt Fritz Lünschermann, damals Mannschaftsbetreuer. Großkreutz sorgt für einen guten Draht zwischen Team und aktiver Fanszene. Er kümmert sich um neue Spieler wie Shinji Kagawa, der 2010 aus Japan nach Dortmund kommt. „Kevin hat ihn unter seine Fittiche genommen, und nach anderthalb Wochen trällerte der schon ‚Heja BVB‘“, erzählt Lünschermann.

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2010, als noch niemand von der Meisterschaft zu sprechen wagt, beschließen Großkreutz und Lünschermann: Erst wenn der BVB den Titel holt, werden die Haare wieder geschnitten. „Das nahm auf dem Kopf wilde Formen an“, sagt Lünschermann. Aber schon im Mai 2011 kann der BVB die Meisterschaft feiern. „Felipe Santana hatte extra eine Haarschneidemaschine dabei und hat Kevin auf dem Platz erste Furchen auf dem Kopf gezogen“, sagt Lünschermann. „Das sah völlig wahnsinnig aus.“

Sein größter Erfolg: Kevin Großkreutz wird mit dem BVB 2011 und 2012 Deutscher Meister.
Sein größter Erfolg: Kevin Großkreutz wird mit dem BVB 2011 und 2012 Deutscher Meister. © WAZ

Es folgen 2012 das Double, 2013 der Einzug ins Champions-League-Finale, 2014 der WM-Titel – und der Knick. Die Fitnesswerte sind nach dem Urlaub ausbaufähig, die Konkurrenz wird größer. Es häufen sich Fehltritte, mal uriniert Großkreutz nach dem Pokalfinale 2014 angetrunken in eine Berliner Hotellobby, mal bewirft er in Köln einen Fan mit einem Döner.

Thomas Tuchel sortiert Großkreutz beim BVB aus

Kevin Großkreutz wird 2015 vor der Südkurve von den BVB-Fans verabschiedet.
Kevin Großkreutz wird 2015 vor der Südkurve von den BVB-Fans verabschiedet. © firo

2015 sortiert der neue Trainer Thomas Tuchel den Ur-Dortmunder aus: Beim Wechsel zu Galatasaray passiert ein Formfehler, ein halbes Jahr lang darf er nicht spielen. Das Heimweh wird zu groß, im Januar 2016 geht es zurück nach Deutschland, zum VfB Stuttgart – wo der Vertrag nach einem Jahr aufgelöst wird, nachdem Großkreutz mit einigen Nachwuchsspielern nachts in eine Schlägerei gerät.

Zukunft in der Westfalenliga

Es folgt ein Jahr bei Darmstadt 98, und 2018 geht es zum Drittligisten KFC Uerdingen. Emotional wird es noch einmal im DFB-Pokalspiel gegen den Herzensklub BVB. Danach aber ist bald der Stammplatz weg, und als der einstige Weltmeister bei einem 30-prozentigen Gehaltsverzicht nicht mitziehen will, kommt es zum Rechtsstreit. Im Oktober 2020 wird der Vertrag gegen eine üppige Abfindung aufgelöst.

Jetzt soll mehr Zeit sein für sein Lokal und natürlich für die beiden Kinder und seine Frau. Aber ganz ohne Fußball geht es nicht. Schon an diesem Dienstag dürfte Großkreutz beim Westfalenligisten TuS Bövinghausen unterschreiben. „Ich will dahin, wo ich hergekommen bin“, sagt er. „Ich habe als kleiner Junge auf Asche begonnen. Jetzt will ich nur Spaß haben und mit meinen alten Freunden kicken.“