Dortmund. Youssoufa Moukoko wird an diesem Freitag 16 – das Bundesliga-Debüt ist nah. Weggefährten erklären, was den Stürmer so besonders macht.
Natürlich wird Baris Tuncay am Samstag den Fernseher einschalten. Borussia Dortmund spielt bei Hertha BSC (20.30 Uhr/DAZN), und es könnte eine historische Partie werden: Youssoufa Moukoko könnte sein Profidebüt geben, einen Tag nach seinem 16. Geburtstag an diesem Freitag. Er wäre dann jüngster Spieler der Bundesliga-Geschichte. Und Baris Tuncay hat seinen Teil dazu beigetragen.
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Der Ersatzvater
Tuncay, 37 Jahre alt und heute U14-Trainer beim Hamburger SV, arbeitet im Herbst 2014 noch beim Stadtrivalen FC St. Pauli. Und dort tauchte damals ein zehnjähriger Junge auf, der gerade erst aus Kamerun, wo er immer nur auf der Straße gespielt hat, nach Hamburg gezogen ist. Und der so gut ist, dass er mit elf schon in Tuncays U15 kommt.
Es entsteht eine enge Bande zwischen Moukoko, der in einem neuen Land mit einer neuen Sprache zurechtkommen muss, und Tuncay, der selbst einen Migrationshintergrund hat. „Der Trainer war immer für mich da. Der war wie ein zweiter Vater für mich“, wird Moukoko später dem Klub-TV des BVB erzählen.
Es ist eine besondere Zeit: „Youssoufa hatte diese Bolzplatz-Mentalität“, erzählt Tuncay im Gespräch mit dieser Redaktion. „Er wollte immer nur kicken.“ Und er will immer gewinnen, ist sehr fordernd gegenüber Trainer und Mitspieler. „Aber er hat der Mannschaft immer unglaublich viel gegeben. Und damit meine ich nicht die Tore, sondern einfach mit seiner positiven Art.“
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Der Jugendtrainer
2016 zieht Moukoko weiter nach Dortmund. Und nach einer Saison, mit zwölf Jahren, befördert ihn der BVB in die U17 von Sebastian Geppert. Der ist vom ersten Tag an begeistert: „Youssoufa hat diesen unglaublichen Zug zum Tor, diese Gier. Er trifft die richtigen Entscheidungen, kann mit beiden Füßen abschließen“, schwärmt der 36-Jährige. „Er schlägt sensationelle Haken. Man weiß zwar, was er macht, aber man kann es trotzdem schwer verteidigen. Fußballerisch hat er ein Repertoire, das beeindruckend ist.“
Moukoko dominiert durch Können, nicht durch Kraft: „Youssoufa war seinen Gegenspielern körperlich zwar nicht unterlegen, aber er war ihnen auch ganz bestimmt nicht überlegen“, meint Geppert. „Es waren eher die fußballerischen Fähigkeiten, die Technik, die Bewegungen in den richtigen Räumen, die Spielfreude, der Instinkt, die den Unterschied gemacht haben.“ 90 Tore in 56 Ligaspielen samt Endrunde, so lautet nach zwei Jahren U17 die Schaffensbilanz. In der U19 sind es 44 Treffer in 23 Partien. Moukoko macht mit den deutlich älteren Gegnern, was er will.
Weil zum Talent außergewöhnliche Professionalität kommt. Der Stürmer ist regelmäßig der Erste, der zum Training kommt, und der Letzte, der geht. „Da ist er für sein Alter sehr reif und sehr professionell“, sagt Geppert und ergänzt lachend: „Jetzt geht er auch schon den Physios bei den Profis auf die Nerven.“ Bevor Moukoko dort im August einsteigt, besorgt er sich die Telefonnummern des Athletiktrainers, des Rehatrainers und des Teampsychologen – um nachzufragen, was er zusätzlich zum Mannschaftstraining noch tun kann. In Bad Ragaz sieht man ihn dann vor den Einheiten regelmäßig im Kraftraum – und danach beim Torschusstraining. Berührungsängste zeigt er keine: In Pausen albert der 15-Jährige mit den Kollegen, in den Spielformen stürzt er sich wagemutig in jeden Zweikampf, jedes Dribbling.
Auch deshalb sagt Geppert: „Ich mache mir in seinem konkreten Fall wirklich keine Sorgen, dass er es nicht schafft.“ Andere aber schon.
Die Wissenschaftler
Arne Güllich ist Sportwissenschafts-Professor an der Technischen Universität Kaiserslautern und sieht es kritisch, wenn Spieler allzu jung in die Bundesliga aufrücken. „Es gibt Ausnahmen, aber in den meisten Fällen haben herausragende jugendliche Athleten später als Erwachsene eine eher abgeflachte Leistungsentwicklung“, sagt Güllich und verweist auf seine Studie aus dem Jahr 2014: Je früher ein Spieler in einer U-Nationalmannschaft debütiert, desto höher ist danach die Wahrscheinlichkeit, dass er es im Erwachsenen-Alter bestenfalls in die 3. Liga schafft.
Auch der Essener Sportpsychologe René Paasch ist skeptisch: „Bislang hatte der Junge nur Erfolge, er wurde immer gehypt. Ob er wirklich die kognitive Reife für die Bundesliga hat, wird man erst bei Rückschlägen sehen, wenn er mal nicht spielt oder verletzt ist.“
Der Vorgänger
Beim BVB aber geht man damit alles andere als leichtfertig um. Michael Zorc steht am Trainingsgelände, und der Sportdirektor wird gefragt, ob man wirklich einen 16-Jährigen in die Bundesliga werfen könne. Das gehe nicht mit jedem Spieler, antwortet Zorc. Nur mit denen, die sehr klar im Kopf seien. Kurz darauf, im August 2005, gibt Nuri Sahin sein Debüt, mit 16 Jahren und 335 Tagen – der noch gültige Rekord. Sahin weiß also, wie sich das anfühlt. Rückschläge würden zwangsläufig kommen, sagte er jüngst dem Kicker. „Wichtig ist dann, dass man Leute um sich hat, die einen begleiten und einem bewusst machen, dass negative Schlagzeilen dazugehören.“ Aber mit Zorc, dem Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke und Lizenzspielerchef Sebastian Kehl „sind beim BVB die richtigen Leute am Werk, um ihn zu schützen“.
Der Klub hat sämtliche Interview-Anfragen abgelehnt, nur in den Klubmedien durfte Moukoko einige Sätze sagen: „Talent haben hier alle. Die entscheidende Frage ist: Gibst du 100 Prozent, opferst du alles dafür, um Profi zu werden, oder gibst du nur 80 Prozent?“ Weil er das nicht nur sagt, sondern auch lebt, glauben sie beim BVB, dass der Stürmer bereit ist für die nächste Stufe auf der Karriereleiter.
Der DFB
Joti Chatzialexiou sieht es ähnlich. „Youssoufa ist ein herausragendes Talent. Wir alle würden uns freuen, ihn mal in unserer A-Nationalmannschaft erleben zu dürfen“, sagt der Sportliche Leiter für die Nationalteams beim Deutschen Fußball-Bund. Zwar müsse man „ihm den notwendigen Raum zur Entfaltung geben“, so der 44-Jährige. Aber: „Mit seinem Talent kann ihm eine große Zukunft bevorstehen.“
Bislang liefert Moukoko keinen Anlass, daran zu zweifeln. Die Boulevard-Schlagzeilen, die Debatte um sein Alter, die erst eine Nachbeurkundung durch das Standesamt Hamburg-Harburg beendete, dazu ein hochdotierter Ausrüster-Vertrag – all das könnte einem Jugendlichen gehörig den Kopf verdrehen. „Wie er damit umgeht, ist beeindruckend“, sagt Geppert. „Er ist nie in eine negative Spirale gekommen. Er ist immer sehr, sehr positiv, er geht jeden Tag mit einem Lächeln auf den Platz.“ Und Tuncay ergänzt: „Das bewundere ich, das habe ich ihm auch gesagt. Er war zu keinem Zeitpunkt abgehoben oder arrogant, das ist ihm nie zu Kopf gestiegen.“
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Die bemerkenswerte Coolness zeigt sich auch auf dem Platz. Beim U19-Derby auf Schalke im Oktober gibt es üble Beleidigungen in Moukokos Richtung. Der schießt beim 3:2-Sieg alle Tore. Und eine Woche später, als er gegen Rot-Weiss Essen wieder trifft, kniet er nieder und reckt die Faust in die Höhe – ein stiller, aber deutlicher Protest gegen Rassismus.
Bei seinem Triumph auf Schalke dachte Moukoko auch wieder an seinen früheren Trainer. Tuncay ist Schalke-Sympathisant, und deswegen gab es nach Derbys schon so manche Nachricht wie diese: „Trainer, tut mir leid, ich musste treffen.“ Der Junge kann eben nicht anders.