Dortmund. Erstmals dürfen wieder Zuschauer in Dortmund ins Stadion. Die Begeisterung bei Spielern und Fans ist groß – die Normalität noch weit entfernt.

Um 19.04 Uhr ist es vorbei mit dem Mindestabstand, zumindest in einem kleinen Teil des Stadions: Menschen in schwarzgelben Trikots fallen einander in die Arme, feiern das 1:0, das Borussia Dortmunds Angreifer Giovanni Reyna gegen Borussia Mönchengladbach erzielt hat. Dann trotten die BVB-Profis in die eigene Hälfte, um den Anstoß abzuwarten.

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Auf dem Rasen ist alles wie immer, auf den Tribünen aber herrscht ein anderes Bild: Wildfremde Menschen, die einander in die Arme fallen? Gibt es an diesem Samstagabend nicht. Die müssten dazu auch über mindestens eine freie Reihe nach vorne oder hinten oder zwei freie Plätze zur Seite klettern. Denn die Organisatoren haben für Distanz zwischen den 9.300 Zuschauern gesorgt. Sie haben Sitze gesperrt, sie haben mit sehr viel Klebeband und Spray neue Wege durchs Stadion markiert. Sie weisen in Durchsagen immer wieder auf Maskenpflicht und Mindestabstand hin. Und dieser, so scheint es, wird weitgehend eingehalten, obwohl es am Ende einen 3:0-Sieg zu feiern gibt.

Graugelbes Mosaik statt gelber Wand

So also sieht er aus, der Schritt in eine neue Normalität, von dem in diesen Tagen so oft die Rede ist. Emotionen ja, aber bitte auf Abstand. Denn es ist ja immer noch Coronavirus-Pandemie. Beim FC Bayern und dem 1. FC Köln mussten die Zuschauer kurzfristig draußen bleiben, weil in beiden Städten der Schwellenwert von 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen überschritten war.

In Dortmund aber dürfen 9.300 Menschen im größten Stadion Deutschlands sitzen, wo sonst 81.365 hineinpassen. Und das ist optisch zunächst gewöhnungsbedürftig. „Gelbe Wand“ steht immer noch in großen Lettern über der Südtribüne, aber nun ist es doch eher ein graugelbes Mosaik. In normalen Zeiten, vor der Pandemie, war diese Südtribüne ein einziger großer, pulsierender Organismus. Jetzt bewegen sich einzelne Punkte.

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Die neue Normalität, sie hat mit der alten noch nicht viel zu tun, das hat sich schon am Nachmittag außerhalb des Stadions gezeigt. Normalerweise ist die ganze Stadt in Gelb getaucht, wenn der BVB ein Heimspiel hat – heute nicht. Heute können Fahrradfahrer problemlos über die Strobelallee fahren, wo sich sonst vor dem Stadion die Besuchermassen ballen.

„Hier stehen ja mehr Ordner als Zuschauer“, wundert sich ein BVB-Fan. Ein anderer erzählt, dass er sonst nie so früh da sei, „normalerweise bin ich drei Minuten nach Anpfiff drin.“ Dieses Mal aber gehört zu jedem Ticket ein viertelstündiges Zeitfenster, in dem das Stadion betreten werden muss. So gelingt es weitgehend, den Anstrom zu entzerren. Nur vor dem Südost-Eingang knubbeln sich die Menschen zwischenzeitlich so eng, dass das Ordnungsamt eingreift. Dennoch wird Oberbürgermeister Ulrich Sierau ein positives Fazit ziehen: „Die Orga des Vereins hat mehr als gut funktioniert und tolle Voraussetzungen geschaffen“, meint er. „Kompliment an das Publikum für ein in jeder Beziehung diszipliniertes Verhalten.“

Diszipliniert – das würden Fußballfans in einem Stadion normalerweise nicht als Kompliment auffassen. Aber es ist ja eben nichts normal. Es fehlen rund 70.000 Zuschauer, es fehlen vor allem die Ul­tras, die erst dann wieder kommen wollen, wenn das Stadion voll und alles wie früher ist. So fehlen jene, die sonst die Atmosphäre prägen, die mit ihren Vorsängern wortwörtlich den Ton angeben.

Besondere Energie von den Rängen

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Und so fehlt die koordinierte Wucht mehrerer zehntausend Kehlen – aber es strömt doch eine besondere Energie von den Rängen. „Es war sehr feierlich am Anfang“, sagt Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke im Gespräch mit dieser Redaktion. Als kurz vor Anpfiff „You’ll never walk alone“ erklingt, kullern tatsächlich einige Tränen. „Ich habe sehr große Freude in vielen Gesichtern gesehen“, meint Watzke. „Das war für die Menschen schon etwas Besonderes, mal wieder gemeinsam mit den Spielern zu feiern.“

Stürmer Erling Haaland spricht später von Gänsehaut . „Es war wieder ein richtiges Fußballspiel“, findet Sportdirektor Michael Zorc. Erstmals seit Ende Februar, erstmals nach fünf Geisterspielen in Dortmund wird wieder angefeuert, wird der Gegner ausgepfiffen und der Schiedsrichter bepöbelt, wenn er eine falsche Entscheidung trifft – was in den Augen der Fans ja immer der Fall ist, wenn sie gegen die eigene Mannschaft geht. Und auch 9.300 Zuschauer können sehr laut sein, das ist eine Erkenntnis dieses Tages – wenn der Ball nur oft genug im richtigen Tor landet.