Essen. Wie in der Gesellschaft, so auch in den Stadien: Auch im Fußball werden Rassisten wieder lauter. Profis wie Goretzka oder Reus halten dagegen.
Die Fans des Drittligisten Preußen Münster bescherten dem Fußball vor knapp zwei Wochen einen der besten Momente dieses Jahres. Sie pfiffen einen Zuschauer aus, der den Würzburger Spieler Leroy Kwadwo rassistisch beleidigt hatte – und stellten sicher, dass der Täter von den Ordnern identifiziert und festgesetzt werden konnte.
Es gab in den Tagen darauf ähnliche Aktionen von Fans in Frankfurt und Berlin, die gefeiert wurden. Das gute Gefühl wird allerdings dadurch getrübt, dass sie immer eine Gegenreaktion auf rassistische, vermutlich von Rechtsextremen beförderte Angriffe darstellen. Was also überwiegt? Sorge oder Hoffnung?
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Vorneweg: Es war schon schlimmer. Anfang der 90er-Jahre traten in vielen Stadien Rechtsextreme offen auf. Affenlaute, mit denen dunkelhäutige Fußballer beleidigt wurden, waren nicht von Einzelnen, sondern von Gruppen zu hören.
Chemnitz markierte eine Trendwende
Auch wegen der Bemühungen von Fans, DFB, Klubs und Behörden, das Problem in den Griff zu bekommen, traten die Rechtsextremen nach der Jahrtausendwende zurückhaltender auf, sie zeigten sich passend zum gesellschaftlichen Klima im Stadion seltener offen.
Die Geschehnisse in Chemnitz vor knapp einem Jahr, als Rechtsextreme einen verstorbenen Hooligan im Stadion feierten, markierten eine neuerliche Trendwende. Auch Fanforscher Gunter A. Pilz sieht keinen Grund zur Entwarnung: „Das Problem ist beim Fußball nicht größer oder kleiner als beim Rest der Gesellschaft. Die Rechtsextremen waren nur – auch in den Stadien – vor einigen Jahren in Deckung gegangen. Mit dem Aufkommen der Rechtspopulisten sind deren Themen, ist die Ausländerfeindlichkeit wieder gesellschaftsfähig. Entsprechend laut werden die Rechtsextremen wieder in den Stadien.“
Regionalligist Rot-Weiss Essen ist auf der Hut
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Wer auf den Osten verweist, macht es sich jedoch zu einfach. Regionalligist Rot-Weiss Essen beispielsweise hat ebenfalls ein Problem mit den Rechten, erzählt einer, der bei fast jedem Spiel dabei ist: „Es ist bekannt, dass es bei RWE Rechtsextreme in der Kurve gibt.“ Diese seien allerdings im Stadion selber kaum aktiv. Es gebe nur vereinzelt rassistische Rufe. Dennoch habe diese Gruppierung – der Fan spricht von 50 oder mehr Personen, die dann im Stadion zusammenstünden – in der Kurve viel zu sagen. Er schäme sich für diese Leute, wolle sich deshalb aber den Fußball auch nicht „vermiesen“ lassen.
Auch die Vereinsführung kennt auf einer anderen Ebene das Problem: RWE plagt sich mit den sogenannten Steeler Jungs herum, einer gewaltbereiten rechten Gruppierung, die seit einigen Wochen das Vereinslogo bei Aufmärschen für ihre Zwecke missbraucht. RWE-Präsident Markus Uhlig, der Wege sucht, gegen die Gruppierung vorzugehen, sagte Anfang Februar im Gespräch mit der WAZ: „Ich warne davor, zu hohe Ansprüche an einen Fußballverein zu stellen. Es ist uns weder möglich, am Stadioneingang eine Gesinnungskontrolle vorzunehmen, noch zu definieren, wer sich als Fan fühlt.“
Fans erobern in den Stadien die Kurven von den Rechten zurück
Dass aber Fans jetzt im Stadion gegen Rechtsextremisten aufstehen, macht Mut. Bereits Anfang des Jahrhunderts eroberten sich in einem Stadion Fans ihre Kurve von Rechtsextremen zurück. Der Bremer Weser Kurier ließ vor einem Jahr einen Ultra zu Wort kommen, der beschreibt, wie sehr die Rechten die Szene dominiert hatten. Nachdem Rechtsextreme 2007 eine Versammlung linker Ultras überfallen hatten, schlug in Bremen die Stimmung um: Die Ultras, die in allen Stadien heterogene Gruppen darstellen, die aber ihre Abneigung gegen Obrigkeit und Ordnung eint, arbeiteten sogar mit den Behörden zusammen, um die Täter vor Gericht zu bringen.
In den Folgejahren konnten die Ultras die Rechten verdrängen. Fanforscher Pilz bestätigt: „Es sind ohnehin die viel gescholtenen Ultra-Gruppen, bei denen einige beispielsweise mit den Anti-Hopp-Plakaten auch viel Mist machen, die oft die ersten sind, die diese Themen bemerken und darauf reagieren. Immerhin haben die Klubs erkannt, dass sie die Ultras unterstützen müssen.“
Schalke 04 und Borussia Dortmund engagiert sich gegen Rassismus
Bereits seit 1994 erscheint auf Schalke das Fanzine „Schalke Unser“, zu dessen Kernanliegen der Kampf gegen Rassismus im Stadion gehört. Roman Kolbe, der fast von Beginn an dort mitarbeitet, sagt dazu: „Ich nehme nicht wahr, dass wir auf Schalke ein Problem mit Rechtsextremen haben. Wie nahezu überall in der Gesellschaft wird man aber auch auf Schalke alltäglichen Rassismus finden. Und ehrlich gesagt hätte ich gedacht, dass wir da inzwischen weiter sind. Aber man merkt bei Diskussionen in sozialen Netzwerken, dass hier auch von Schalkern politische Positionen vertreten werden, die man kaum mehr für möglich gehalten hätte.“
Als Musterbeispiel im Kampf gegen die rechte Szene im Stadion wird Borussia Dortmund angeführt. Der Klub, der in den 90er-Jahren massive Probleme hatte, konnte zumindest das öffentliche Erscheinungsbild deutlich verbessern. Zuletzt löste sich 2017 die Gruppierung „riot 0231“ nach massivem Fahndungsdruck der Behörden selber auf. Ob die Rechten wirklich aus dem Stadion vertrieben wurden, muss bezweifelt werden, aber immerhin dominieren sie das Geschehen auf den Rängen nicht mehr sichtbar. Mit vielen Initiativen versucht der Klub zudem, die neue Fan-Generation gegen rechtsextreme Einflussnahme zu immunisieren.
Aktionswoche gegen Diskriminierung
Auch auf Schalke kümmern sie sich: Unter dem zeitgemäßen Schlagwort #stehtauf gibt es seit 2015 einmal im Jahr eine Aktionswoche gegen Diskriminierung und Rassismus, im Stadion wurde eine Anlaufstelle eingerichtet. Auf der vereinseigenen Webseite gibt der Klub zudem praktische Hilfe, listet er verbotene Symbole, verräterische Musik oder Kleidungsmarken auf und gibt Tipps für den Umgang mit Rechtsextremen. Roman Kolbe sagt über dieses Engagement: „Der DFB und die Vereine versuchen mit Kampagnen wie ,Zeig Rassismus die Rote Karte’ oder wie auf Schalke mit ,#stehtauf’ dagegen zu wirken. Wenn aber eine Reaktion der Fans wie in Frankfurt oder Münster passiert, wo eine ganze Kurve zeigt, was sie von Rassisten hält, dann kann ich nur sagen: Bravo! Münster und Frankfurt zeigen, dass solche Reaktionen direkt aus der Kurve viel stärkere Kraft entwickeln als jede noch so gut gemeinte Kampagne seitens der Verbände und Vereine.“
Auch die Spieler werden, vielleicht zusätzlich ermutigt durch die Fans in Münster, deutlich. Bremens Profi Davie Selke sprach sich im Interview mit der Sport-Bild dafür aus, Spiele abzubrechen, wenn es Übergriffe gebe: „Wenn ich Opfer von Rassismus werde, gehe ich direkt in die Kabine. Wenn man weiterspielt, setzt man doch das Signal, dass es normal ist, was da passiert.“ Man solle aufhören zu spielen, bis die Täter das Stadion verlassen hätten.
Goretzka und Reus setzten deutliche Zeichen
Ein Ausrufezeichen setzte in dieser Woche Bayern-Profi Leon Goretzka. In einem Interview mit dem Spiegel positionierte sich der 25 Jahre alte gebürtige Bochumer sehr eindeutig: „Ich will dazu aufrufen, dass man gegen Leute, die sich rassistisch äußern, vorgeht.“ Größere Breitenwirkung dürfte ein Post auf Instagram haben, den er von einem Besuch aus der Holocaust-Gedenkstätte in Dachau mit dem Hashtag #niewieder an seine knapp eine Million Follower schickte.
Auch BVB-Profi Marco Reus bezog, entsetzt über den Anschlag von Hanau, bei T-online Position: „Kein Tor, kein Sieg, kein Titel im Fußball bedeuten mir so viel wie eine offene und friedliche Gesellschaft.“ Er wünsche sich eine Welt, in der „kein Platz für Rassismus, Hass und Fremdenfeindlichkeit“ ist.
Dass diese Botschaften der Stars wertvoll sind, bestätigt Fanforscher Pilz: „Es ist wichtig, wenn sich Spieler positionieren. Es müssten sich aber noch häufiger Spieler ohne Migrationshintergrund äußern. Das würde den Rechten und Rassisten noch mehr zu denken geben.“