Berlin/Dortmund. Das 1:3 bei Union Berlin zeigt, dass bei Borussia Dortmund noch einiges im Argen liegt. Die Aufarbeitung aber dürfte schwierig werden.
Wieder war kein Durchkommen für den Dortmunder, wieder stellte sich ein wackerer Berliner in den Weg: Nico Schulz strebte, das Handy am Ohr, in Richtung Ausgang des Stadions an der Alten Försterei – bis ihm ein Ordner den Weg versperrte und den Durchgang verweigerte. Erst nach längeren Diskussionen konnte Schulz das Stadion verlassen – auf eigene Faust, denn der gebürtige Berliner nutzte den Auswärtstrip nach Köpenick, um Freunde und Familie zu treffen, bevor es am Montag zur Nationalmannschaft nach Hamburg ging.
Kehl rang nach BVB-Niederlage lange nach dem Spiel um Fassung
Schulz wird einigermaßen ausgeruht eintreffen, denn bei der 1:3 (1:1)-Niederlage des Meisterschafts-Aspiranten Borussia Dortmund beim Aufsteiger Union Berlin war er nicht zum Einsatz gekommen – was ihm immerhin ein ordentliches Alibi verschaffte: Am teils desolaten Dortmunder Auftritt war er absolut unschuldig, was sonst nicht so viele von sich sagen konnten. Sein Abgang mit Hindernissen zeigte aber auch, wie schwierig die Aufarbeitung des erschreckenden Auftritts in Berlin werden wird – denn jetzt ist erst einmal Länderspielpause.
Sebastian Kehl rang auch lange nach dem Spiel noch um Fassung, der Leiter der Lizenzspieler-Abteilung fühlte sich zurückversetzt in längst vergangen geglaubte Zeiten: „Ich hatte gedacht, dass wir einen Schritt weiter sind“, sagte Kehl. „In manchen Phasen hat das doch sehr an einige Szenen aus der vergangenen Saison erinnert.“
In dieser hatte der BVB seine erste Niederlage bei Fortuna Düsseldorf erlitten und später mit Punktverlusten gegen den FC Augsburg, den FC Nürnberg und den strauchelnden Revierrivalen Schalke 04 die einstmals exzellente Ausgangslage in der Tabelle endgültig verspielt – und damit auch die Chance auf den Titel.
Gegen die vermeintlich kleinen, gegen die qualitativ deutlich unterlegenen Gegner hatten sich die Dortmunder schwergetan, weil sie nicht die richtige Haltung, nicht den kämpferischen Zugang zum Spiel fanden. Insofern mussten sie nach der hochverdienten Niederlage von Berlin als Wiederholungstäter gelten. „Union hat es sehr gut gemacht, sie haben das Spiel so ernst genommen, wie wir es erwartet haben“, erklärte Kehl. Er sagte es nicht, aber es klang durch: die BVB-Profis nicht.
BVB-Profi Weigl: "Wir wussten, was auf uns zukommt"
Den Vorwurf der fehlenden Einstellung, dass die Dortmunder den kleinen Gegner vielleicht sogar auf die leichte Schulter genommen hätten, wollte Kehl nicht machen. Aber er ausschließen wollte er das auch nicht: „Man kann ja nie ganz genau in die Köpfe der Spieler gucken“, meinte er. „Wir haben es deutlich gemacht, was uns hier erwartet, auch an Atmosphäre.“
Auch Julian Weigls Antwort auf den im Raum stehenden Vorwurf klang weder überzeugt noch überzeugend. „Das glaube und hoffe ich nicht, dass wir solche Gegner nicht ernst nehmen“, sagte er. „Wir hatten uns gut vorbereitet, wir wussten, was auf uns zukommt, was in diesem Stadion auch für eine Wucht kommen kann, wenn du in Rückstand gerätst.“
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Zu sehen aber war von dieser Vorbereitung wenig, der BVB konnte die vielen Qualitäten, die eigentlich in der Mannschaft stecken, kaum abrufen – weil die notwendige Grundlage fehlte: Körperlichkeit und der Wille, an die Leistungsgrenze zu gehen. Nur zwei Fouls beging der BVB, so wenig wie erst einmal zuvor seit Beginn der Datenerfassung. Union kam auf 13. Außerdem liefen die Köpenicker mit 126 rund sieben Kilometer mehr als die Dortmunder, und sie kamen auf deutlich mehr Tempoläufe: 497 gegenüber 393.
„Für unseren Gegner sind solche Spiele Highlightspiele“, erklärte Kehl. „Aber das wird uns in dieser Saison noch häufiger passieren.“ Deswegen waren sie ja derart alarmiert beim BVB: Berlin hatte – wie zuvor schon der 1. FC Köln über zumindest eine Stunde – eine Blaupause geliefert, mit der Dortmund beizukommen ist: mit ekligem Spiel, wie es Union-Trainer Urs Fischer selbst nannte. Also hoher Lauf- und Kampfbereitschaft, aggressivem Pressing und schnellem Umschalten.
Der Titel ist beim BVB ganz offiziell das Ziel
Dass die BVB-Profis außerdem recht freimütig einräumten, dass die Berliner den größeren Willen zum Sieg gezeigt hatten, ließ erst recht die Alarmglocken läuten. Die Mentalität war ja in der Vergangenheit das große Thema gewesen: In der vorvergangenen Saison, als man nur mit viel Glück Tabellenvierter wurde und mit dem Einkauf von Führungsspielern wie Axel Witsel oder Thomas Delaney reagierte.
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Und auch in der Saison 2018/19, als man beim FC Bayern München die Chance zu einer Vorentscheidung im Titelkampf hatte, aber 0:5 verlor, weil man der Situation mental nicht gewachsen war. Und als man in der Folge dann auch gegen Nürnberg, Augsburg, Schalke Punkte verschenkte.
Auch in diesem Sommer hatten die Verantwortlichen einerseits mit Korrekturen am Kader reagiert – andererseits auch mit einer neuen Vorgabe: Der Titel ist nun ganz offiziell das Ziel. Das sollte die Sinne schärfen, sollte dazu führen, dass jedes Spiel mit maximaler Hingabe und Ernsthaftigkeit angegangen wird. Dann kam die Partie in Berlin, in der eine Mannschaft gegen den Abstieg kämpfte – die andere aber nicht für die Meisterschaft.
Die Mentalitätsprobleme sind noch immer da, das war die alarmierende Erkenntnis von Berlin. Und den Verantwortlichen bleiben einstweilen nur Appelle: „Müssen mit der 100-prozentig richtigen Einstellung und Mentalität in solche Spiele gehen, sonst wird man trotz all unserer Qualität den Unterschied nicht sehen“, forderte Kehl.
Die meisten Spieler wird die Botschaft mit Verzögerung erreichen, zwölf Profis sind mit ihren Nationalmannschaften unterwegs. Nur vier Spieler, die in Berlin in der Startelf standen, bleiben in Dortmund. Die Vorbereitung auf das wegweisende Spiel gegen Leverkusen am Samstag, 14. September (18.30 Uhr/Sky) kann erst Mitte der kommenden Woche wirklich beginnen.