Leipzig. Borussia Dortmund bestätigte am Samstagabend seine Rolle als Titelkandidat und gewann mit 1:0 in Leipzig. Axel Witsel war der überragende Mann.

Sebastian Kehl pustete durch, als er in den Mannschaftsbus stieg. „Jetzt ist der Puls wieder normal“, sagte der Leiter der Lizenzspieler-Abteilung von Borussia Dortmund. Hinter ihm und den 41.939 Zuschauern lag ein Auswärtsspiel bei RB Leipzig, das in Sachen Spannung, Tempo und Intensität alles geboten hatte, mit einer starken Anfangsphase der Gäste und einer zweiten Halbzeit, in der eher die Gastgeber das Geschehen diktierten.

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Am Ende stand ein 1:0 (1:0)-Sieg für die Dortmunder, die aber einige knifflige Szenen zu überstehen hatten – etwa in der Nachspielzeit, als BVB-Torjäger Paco Alcácer zwei Großchancen vergab und dann auf der anderen Seite Matheus Cunhas Kopfball das Dortmunder Tor hauchzart verfehlte. „Es war schwer, aber wir haben nicht unverdient gewonnen“, urteilte Trainer Lucien Favre. Und so konnten die Borussen die Heimreise mit der beruhigenden Gewissheit antreten, dass sie den am Freitag herangerückten Verfolger Bayern München wieder auf sechs Punkte distanziert und den ersten Angriff des Rekordmeisters abgewehrt hatten.

Kehl lobt BVB-Torwart Bürki - und der lobt Weigl

Wie immer hatte der Erfolg viele Väter: Kehl lobte Torhüter Roman Bürki, der wieder einmal ein sicherer Rückhalt war und auch einen Ausrutscher samt Fehlpass auf Timo Werner durch couragierten Einsatz ausbügelte. Bürki lobte Mittelfeldspieler Julian Weigl, der nach dem Ausfall dreier Abwehrspieler in der Innenverteidigung aushalf: „Er ist vielleicht nicht der Schnellste, aber er erkennt Situationen sehr gut.“ Und Sportdirektor Michael Zorc verfügte im ZDF-Sportstudio, dass man Weigl keinesfalls in diesem Winter abgeben werde – egal wie sehr sich Thomas Tuchel, der Trainer von Paris Saint-Germain, auch um ihn bemühen mag.

Axel Witsel erhielt kein Sonderlob. Vielleicht, weil man sich in Dortmund schlicht daran gewöhnt hat, dass er Woche für Woche Außergewöhnliches leistet. Vielleicht, weil seine Taten ohnehin für sich sprechen. Der Belgier schoss in Minute 19 das Tor des Tages, als er einen von Lukasz Piszczek verlängerten Eckball mit dem Oberschenkel abtropfen ließ und dann unter die Latte wuchtete – mit einem Tempo von 96 Stundenkilometern, wie die TV-Sender später ermittelten.

Vor allem aber war Witsel ein umsichtiger Lenker des Spiels, der keinen Ball verlor – auch wenn sich zwei oder drei der wie Duracell-Hasen anrennenden Leipziger auf ihn stürzten. Statt des im Abschlusstrainings umgeknickten und daher fehlenden Kapitäns Marco Reus war Witsel der unumstrittene Chef. Der 29-Jährige verkörpert wie kein Anderer den Wandel, den sich der BVB im Sommer verordnet hatte, nachdem er sich in einer regelrecht verkorksten Saison noch eben auf Rang vier gerettet hatte.

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„Wir hatten den Eindruck, dass Borussia Dortmund auf dem Rasen zu wenig Gegenwehr leistet“, erzählte Zorc im Gespräch mit dieser Zeitung. „Wir hatten nicht die Robustheit, die es braucht, um nachhaltig in der Spitze zu spielen.“ Deshalb kehrten die Verantwortlichen von dem Weg ab, vor allem auf junge, hochbegabte Feinfüße zu setzen, deshalb holten sie Thomas Delaney von Werder Bremen – und eben Witsel. „Du musst auch ein bisschen Glück haben dabei, dass ein Witsel überhaupt verfügbar ist“, so Zorc. Der Belgier wollte aus der chinesischen Liga zurück nach Europa, wovon der bestens vernetzte Zorc ebenso frühzeitig Wind bekam wie von der Ausstiegsklausel über 20 Millionen Euro. „Axel ist ein Weltklasse-Spieler, und dass er dann für uns verfügbar war und richtig Lust hatte, sich auf einen Traditionsklub wie Borussia Dortmund hundertprozentig einzulassen, sich mit der ganzen Sache zu identifizieren, das ist eine gute Geschichte für uns“, meinte Zorc.

Viele Chancen für BVB-Gegner RB Leipzig

Der BVB ist nun in der Lage, Wi­drigkeiten zu trotzen, zu denen in Leipzig neben den vielen Verletzten vor allem ein starker Gegner zählte. RB ist wohl die einzige Mannschaft, die es in Sachen Tempo in allen Mannschaftsteilen mit dem BVB aufnehmen kann, entsprechend gefährlich wurde der Tabellenvierte. „Wenn mir vorher einer gesagt hätte, dass wir gegen Borussia Dortmund so viele Chancen haben würden, hätte ich das gerne genommen“, meinte RB-Trainer und -Sportdirektor Ralf Rangnick. „Aber unser Problem war heute, dass wir die nicht genutzt haben.“

Und so schwindet die Zahl derjenigen, die Dortmund nicht als Titelkandidaten benennen – die meisten, die noch übrig sind, arbeiten für den BVB. Trainer Favre etwa ließ alle Fragen nach den Bayern beharrlich ins Leere laufen. „Ja, wir haben ihr Spiel gesehen, aber wir haben auch viele andere Spiele gesehen“, sagte er. Und Zorc beteuerte: „Wir fahren unser eigenes Rennen und versuchen, bestmögliche Ergebnis zu erzielen.“ Sämtliche Kampfansagen ließ er genüsslich abperlen: „Wir fangen da nicht an zu zittern.“ Auch der Sportdirektor hatte längst wieder seinen Ruhepuls erreicht.