Leverkusen. Der Verteidiger Jonathan Tah hat sich bei Bayer Leverkusen zu einem echten Leistungsträger entwickelt. Das lockt andere Klubs. Das Interview.
Jonathan Tah gehört zu den spannendsten Verteidigern Europas. 21 Jahre jung. 1,94 Meter groß, 92 Kilogramm schwer. Modellathlet mit ivorischen Wurzeln. Nationalspieler bei der Mannschaft der Stunde - Bayer Leverkusen. Ein Star, der kein Star sein will. „Geld ist mir nicht so wichtig“, sagt er, als wir ihn nach dem Vormittagstraining in Leverkusen treffen, „wichtig ist mir, dass die Menschen in Frieden leben.“ Wir sprechen mit ihm über den einstigen Schwergewichtschampion Mike Tyson, über Jerome Boateng, rassistische Momente und die Avancen anderer Klubs, zum Beispiel von Borussia Dortmund.
Sie werden als Mini-Boateng gefeiert, weil sowohl Ihre Statur als auch Ihr Spielstil dem von Münchens Weltmeister Jerome Boateng ähnelt. Gefällt Ihnen das?
Jonathan Tah: Jerome ist ein hervorragender Spieler, für mich der beste Innenverteidiger der Welt. Aber ich will keine Kopie von ihm sein, also auch kein Mini-Boateng. Ich bin immer noch ich. Ich schaue mir auch von anderen Spielern einiges ab. Sergio Ramos und sein Offensivkopfball begeistern mich auch. Oder das ruhige, souveräne und gelassene Aufbauspiel von Mats Hummels.
Zuletzt sah man Sie öfter zusammen mit Boateng. Zufall oder Sympathie?
Jonathan Tah: Ich verstehe mich sehr gut mit Jerome, weil er wie ich auch abseits des Platzes in uns ruhen. Wir beide sind keine Halligalli-Typen. Das verbindet uns.
Boateng und Hummels sind in der Nationalmannschaft gesetzt. Dazu kommt Chelseas Antonio Rüdiger. Machen Sie sich trotz der großen Konkurrenz auf Ihrer Position Hoffnungen, auf den WM-Zug zu springen?
Jonathan Tah: Ich weiß natürlich, dass es sehr schwer werden wird. Die Konkurrenz auf meiner Position ist wirklich sehr stark. Nicht zuletzt, weil die Spieler, die mit mir um den Platz konkurrieren, allesamt international spielen.
Ist das ein Nachteil für Sie, dass Sie in diesem Jahr mit Bayer international keine Rolle spielen?
Jonathan Tah: Selbstverständlich schaut Bundestrainer Joachim Löw darauf, dass sich seine Spieler möglichst auf höchstem Niveau messen, um sich dann auch mit den Besten der Welt messen zu können. In den letzten Jahren war Bayer aber international immer dabei. Deshalb denke und hoffe ich, dass das für mich kein Nachteil sein wird.
Bleiben Sie über den Sommer hinaus in Leverkusen?
Jonathan Tah: Mein Vertrag läuft noch bis 2020. Ich bin total auf Bayer fokussiert, und ich will, dass wir in der kommenden Saison wieder in der Champions-League spielen. Dafür arbeite ich hart.
Sie haben eine Ausstiegsklausel im Vertrag, die es Ihnen erlaubt, für eine Ablösesumme von 25 Millionen Euro den Klub bereits in diesem Sommer zu verlassen. Englische Vereine haben Interesse angemeldet, auch Borussia Dortmund. Werden Sie den nächsten Schritt wagen?
Jonathan Tah: Es ehrt mich natürlich, wenn so große Klubs Interesse haben, weil es für mich eine Bestätigung ist, dass ich gute Leistungen bringe. Das motiviert mich, das tut gut. Ich drücke es so aus: Mein Ziel ist es, aus mir den besten Spieler zu machen, den ich machen kann. Welchen Weg ich dabei einschlage, kann ich jetzt noch nicht sagen.
Wann treffen Sie eine Entscheidung?
Jonathan Tah: Ich habe hier einen gültigen Vertrag, bin happy und der erste Ansprechpartner für mich und meinen Berater Christian Nerlinger ist Bayer 04.
Was spricht für Leverkusen?
Jonathan Tah: Man kann sich in Ruhe entwickeln, der Klub ist groß aber auch sehr familiär. Ich spüre die Wertschätzung der Fans und der Verantwortlichen. Und der Klub hat den Anspruch, international, möglichst Champions-League zu spielen. Deshalb ist das für mich ein Topverein.
Was macht Ihr Trainer Heiko Herrlich besser als seine Vorgänger?
Jonathan Tah: Ich möchte ihn nicht mit anderen Trainern vergleichen, das wäre unfair. Ich kann aber sagen, dass er es geschafft hat, dass die Mannschaft noch enger zusammengerückt ist, er hat uns mental stärker gemacht. Außerdem hat er den extremen Erfolgshunger. Wenn er sieht, dass einem Spieler eine Niederlage im Trainingsspiel nicht interessiert, kommt er und fragt: Was ist mit dir los? Hast du keine Lust zu gewinnen?
Adaptiert man die Gier gewinnen zu wollen?
Jonathan Tah: Ja. Vom Typ her bin ich auch so wie er. Aber wenn man ein bisschen nachlässig wird, hakt Heiko Herrlich nach. Das bringt jeden Spieler ein Stück weiter.
Was fehlt Ihrem Spiel noch?
Jonathan Tah: Ich arbeite vor allem an meinem Aufbauspiel und meinem Offensivkopfball. Ich habe bislang erst ein Tor erzielt – das reicht mir nicht.
In ihrer Freizeit boxen Sie gerne. Ist das für Sie eine gute Möglichkeit abzuschalten?
Jonathan Tah: Beim Boxen bekommt man den Kopf frei, außerdem verbessert man auch die Koordination.
Gibt es einen Boxchampion, der Ihnen gut gefällt?
Jonathan Tah: Mike Tyson. Er hatte diesen Willen, die Gier und diesen unbändigen Ehrgeiz, jeden Kampf gewinnen zu wollen.
Frankfurts Kevin-Prince Boateng hat nach rassistischen Vorfällen in Italien mit seinem Ex-Klub AC Mailand bei Lazio Rom aus Protest den Platz verlassen. Können Sie ihn verstehen?
Jonathan Tah: Ja. Und ich muss sagen, dass ich großen Respekt davor habe, dass er so mutig gehandelt hat. Es ist nicht einfach für einen Spieler mit dunklerer Hautfarbe, sich gegen diese Dinge zur Wehr zu setzen. Das weiß ich aus eigener Erfahrung.
Würden Sie diesen Mut aufbringen, wenn Sie in einem deutschen Stadion rassistisch beleidigt werden würden?
Jonathan Tah: Ich habe ähnliche Momente leider auch schon erlebt. Und es ist traurig, dass es so etwas in der heutigen Zeit noch gibt. Bei Kevin war es aber sehr extrem, ich wüsste in so einer Situation nicht, wie ich mich verhalten würde.
Sie kommen aus Hamburg, sie haben jahrelang beim HSVgespielt. Wie verfolgen Sie die Zustände bei Ihrem Ex-Klub?
Jonathan Tah: Tolle Stadt, toller Klub – aber irgendwie klappt es nicht, leider. Ich finde es schade, dass der Verein derzeit nicht zur Ruhe kommt. Ich hoffe, dass er in die Erfolgsspur zurückfindet.
Liegt es daran, dass der HSV seit Jahren seine besten Talente verkauft? Sie gingen, Hakan Calhanoglu und Levin Öztunali auch…
Jonathan Tah: In Hamburg passiert viel, es ist immer hektisch. Es ist eine große Stadt mit großen Erwartungen. Deshalb war es richtig von mir, den Schritt nach Leverkusen zu machen. Das Umfeld bei Bayer ist sehr ruhig, professionell und gelassen.
Haben Sie Träume?
Jonathan Tah: Ja. Eine Weltmeisterschaft zu spielen und sie natürlich auch zu gewinnen. Und ich möchte alles aus mir herausholen. Einfach alles! Ich möchte bis an meine Grenzen gehen. Wenn ich das umsetzen kann, sage ich vielleicht einmal: Ich bin zufrieden mit mir.
Wie gefällt Ihnen an Bundestrainer Joachim Löw?
Jonathan Tah: Menschlich ist er ein richtig guter Typ. Als Trainer weiß man bei ihm allerdings nie, wie er dich einschätzt. Deshalb kann man sich auch nicht einfach zurücklehnen. In meiner Situation heißt das, dass ich immer Gas geben muss. Bei der Nationalmannschaft bin ich immer unter Hochspannung.
Ihr Vater ist Ivorer, Sie hätten also auch für die Elfenbeinküste spielen können. Allerdings haben Sie sich für Deutschland entscheiden. Fiel ihnen dieser Entschluss schwer?
Jonathan Tah: Als ich 17 Jahre alt war, wurde ich gefragt, ob ich für Deutschland oder für die Elfenbeinküste spielen wolle. Mir war allerdings schnell klar, dass es ein Traum für mich ist für Deutschland zu spielen. Im Herzen bin ich auch Ivorer, aber für Deutschland spielen zu können, ist einfach nicht zu toppen.