Bad Ragaz. Neuer Trainer, neue Idee: Borussia Dortmund steht vor einem Umbruch. Von gestiegenem Druck will Sportdirektor Zorc im Interview nichts wissen.
- Borussia Dortmund steht vor einem Umbruch
- Von gestiegenem Druck will Sportdirektor Zorc nichts wissen
- Ein Interview
Der Ort, an dem Michael Zorc sitzt, ist ihm wichtig. Zum siebten Mal befinden sich die Fußballer von Borussia Dortmund in Bad Ragaz, einem Städtlein in der Schweiz, wo sich rundherum die Berge erheben, wo ein Bach rauschend ins Tal stürzt, wo man den Wind in den Blättern hören kann. Ein Idyll. Der perfekte Ort, findet der Sportdirektor des BVB, für ein Trainingslager, weil dort „die Mannschaft zusammenwächst und komplett auf den Fußball konzentriert ist“. Die Tage dort, sagt Zorc auf der Terrasse des noblen Grand Resorts sitzend, seien „das Fundament für die Saison“. Wir haben uns mit Michael Zorc unterhalten.
Wie sind Ihre Eindrücke von den ersten drei Wochen Vorbereitung?
Michael Zorc: Wir sind gut im Plan. Negativ ist, dass Marcel Schmelzer sich in Asien verletzt hat und wir hinten links zeitweise einen Engpass haben, weil Erik Durm ebenfalls nicht belastungsfähig ist und Raphael Guerreiro ohnehin ausfällt. Aber auch Dan-Axel Zagadou hat das interimsweise an der Seite schon gut gemacht. Ansonsten sind die ersten Eindrücke so, wie wir uns das erhofft und erwartet hatten. Die Mannschaft hat in Asien top mitgezogen, zwei gute Spiele absolvieren können. Und das Trainingslager ist ja immer so etwas wie das Fundament einer Saison. Ich halte es für sehr wichtig, dass die Mannschaft zusammenwächst und dass sie komplett auf den Fußball konzentriert ist.
Wie sehr haben Sie und die Mannschaft sich schon an den neuen Trainer Peter Bosz gewöhnt?
Zorc: Wir wollen kein Fazit nach drei Wochen ziehen. Aber wir glauben, dass das sehr gut zusammenpasst mit Peter Bosz und dem Team. Die Mannschaft setzt sukzessive mehr von dem um, was er sehen möchte. Peter arbeitet sehr unaufgeregt, aber beharrlich, was ich für eine gute Mischung halte. Den Fußball, den er sehen möchte, den wollen wir - glaube ich - alle sehen. (Lacht) Und wenn wir dann noch regelmäßig ein Tor mehr schießen als der Gegner, dann sind wir auf dem richtigen Weg.
Haben Sie das Gefühl, dass der Druck nach dem Abschied von Thomas Tuchel, den viele Fans auch nicht verstanden haben, noch ein bisschen höher ist, Ergebnisse zu liefern?
Zorc: Ich kann das Wort Druck nicht mehr hören. Ich bin seit 1981 in der Bundesliga, ich höre immer Druck, Druck, Druck. Wir wollen gute Leistungen abliefern, der Rest interessiert mich nicht. Wir sind von dem, was wir getan haben, überzeugt. Wir sind der Meinung, dass Peter die richtige Wahl ist, um den Weg, den Borussia Dortmund in den vergangenen Jahren gegangen ist, fortzuführen. Natürlich überprüfen wir uns ständig selbst, aber ich sehe uns gegenwärtig nicht in einer besonderen Drucksituation.
Mikel Merino wird den Verein nach Newcastle verlassen. Der Kader dürfte aber noch immer etwas zu groß sein.
Zorc: Zu klein ist er jedenfalls nicht. Es kann sein, dass es noch weitere Veränderungen gibt im Laufe der kommenden Wochen.
Emre Mor gilt als weiterer Kandidat, um ihn zu verleihen. Ist Ihre Geduld mit ihm aufgebraucht?
Zorc: Wieso?
Weil er zuletzt in Bochum beim Testspiel fußballerische Verhaltensmuster an den Tag legte, die nicht zwingend Begeisterung auslösten.
Zorc: Ich halte dagegen: Beim Test gegen Urawa in Japan hat er das Spiel mit zwei Toren gedreht. Wir sollten nicht den Fehler machen und Momentaufnahmen diskutieren. Wir müssen für jeden einzelnen Spieler überprüfen, welche nachhaltige Perspektiven er hat und wie sie sich mit den Vorstellungen des Spielers vereinbaren lassen. Das gilt besonders für den Offensivbereich, in dem wir hohe Qualität und Quantität aufweisen. Aber das deklinieren wir nicht für jeden einzelnen Spieler öffentlich durch. Wir haben gesagt, dass wir mit diesem großen Kader in die Saison gehen, damit der Trainer, der die Mannschaft nicht im Detail kannte, sich einen Eindruck verschaffen kann. Seine Eindrücke decken sich bislang mit unseren Einschätzungen.
Auch wenn er eine Investition für die Zukunft ist: Warum braucht Alexander Isak so viel Zeit zur Eingewöhnung?
Zorc: Die Antwort gibt das Geburtsdatum: Der Junge ist 17, der darf noch nicht mal Auto fahren. Man darf nicht ungeduldig werden, gerade bei so jungen Spielern. Gegen Bochum hat er wie die meisten anderen Spieler, die lange auf dem Platz standen, keine Glanzleistung gezeigt. Aber wenn ich ihn im Training sehe, dann weiß ich: Wir haben Zeit mit ihm, er ist am Anfang seiner Entwicklung.
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Die Erwartungshaltung an die Spieler wächst mit den horrenden Ablösesummen, die ständig anzusteigen scheinen. Wie beurteilen Sie den Markt derzeit?
Zorc: Ich empfinde den Markt - anders als im vergangenen Jahr - derzeit nicht als überhitzt. Es gab bislang weniger Transfers zu extremen Konditionen. Dafür aber wesentlich mehr Gerüchte. Die nehmen immer mehr zu. Vermutlich werden noch einige Transfers im August abgewickelt. Oft ist es so, dass eine Kettenreaktion ausgelöst wird, wenn der erste Stein gefallen ist, wenn der erste Stürmer einer gewissen Güteklasse sich woanders hin bewegt, dann löst sich manchmal ein Stau, der vorher entstanden ist.
Der BVB hat 20 Millionen Euro für Maximilian Philipp ausgegeben.
Zorc: Natürlich sind Ablösesummen im mittleren einstelligen Bereich eine Seltenheit geworden, aber das liegt daran, dass man eben nicht allein auf dem Feld unterwegs ist. Bei Maximilian Philipp gab es verschiedene Interessenten, und dann bestimmen eben Angebot und Nachfrage den Preis.
Wenn man liest, für welche Summen Ihr Ex-Spieler Ivan Perisic gehandelt wird…
Zorc: Aber der hat doch vorgestern noch gespielt, der ist doch noch gar nicht gewechselt. Das ist Stand jetzt wieder ein Gerücht. Ich finde, im vergangenen Jahr war es extremer. In China zum Beispiel, aber auch in England. Sie dürfen nicht gleich jedem Gerücht aufsitzen (lacht).
Gut, kommen wir zu Fakten. Christian Pulisic sagt, Borussia Dortmund habe eine gute Chance, Meister zu werden. Was sagen Sie, hat er Recht?
Zorc: (lacht) Man darf nicht vergessen: Christian ist erst 18. In dem Alter haben Sie und ich auch noch total unbekümmert von der Seele weg geplaudert. Nein, mal im Ernst: Unsere Zielsetzung ist klar, hinreichend bekannt und sehr realitätsbezogen. Wir haben sie in den vergangenen Jahren in der Regel ja auch erreicht. Und wenn Christian mehr möchte: Er hat die Chance, seine Ansprüche auf dem Platz durch Leistung zu untermauern.
Müssen Sie angesichts der Millionen, die im Umlauf sind und vielleicht dann ja auch bald bewegt werden, international vielleicht kleinere Brötchen backen?
Zorc: Ich glaube, dass wir auch international gut aufgestellt sind. Wir möchten in der Champions League überwintern. Wir haben im vergangenen Jahr das Viertelfinale erreicht. Damit standen wir unter den letzten Acht. Wir werden momentan an Nummer sieben in Europa geführt. Sie haben Recht, dass es sicher nicht einfacher wird. Aber wir mussten ja immer schon einen etwas anderen Weg gehen als die Klubs, mit denen wir dann am Ende in diesen Top-Bereichen konkurrieren. Diesen Weg gehen wir weiter und fühlen uns wohl dabei.
Sie können in diesem Punkt auf eine glänzende Transferbilanz verweisen. Sehr viele Spieler, die Sie weiterverkauft haben, konnten sie mit einem dicken Plus veräußern. Wieviel ist Zufall und Glück, wieviel das Ergebnis harter Arbeit?
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Zorc: Sicherlich von allem etwas, in erster Linie aber auch sehr gute Arbeit meiner Scouting-Abteilung, die große und oft unbeachtete Vorarbeit leistet, bis es irgendwann zu den richtigen Entscheidungen kommt. In den vergangenen Jahren haben wir in der Tat ein ganz gutes Auge für Talente bewiesen. Aber dafür stehen wir auch in Deutschland und Europa. Dass ist ein Teil des alternativen Wegs, den wir beschreiten müssen, weil wir im Vergleich zu den ganz großen der Branche doch 250 Mio. Euro Umsatz weniger haben.
Um die Lücke abzufedern, sind Sie auch in Asien unterwegs. Über diese Reisen ist in der Liga eine große Diskussion entbrannt. Sie sind da eher auf der Bayern-Seite?
Zorc: Wir sind nicht auf der Seite eines anderen Klubs, wir tun das, was für Borussia Dortmund klug und richtig ist. Wir waren zum dritten Mal dort, es war eine komprimierte Reise, und wir haben das - finde ich - ganz gut gemanagt. Wir sehen schon für uns die Chance und die Verpflichtung, dorthin zu gehen, weil es ein wichtiger Markt ist, den man nicht vernachlässigen darf, wenn man im Konzert der Großen mitspielen will. Die positiven Reaktion der Spieler und die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass bislang niemand unter diesen Reisen gelitten hat. Und wir lehen die Reisen auch stets relativ früh in die Vorbereitung, um anschließend ausreichend Zeit zu haben, um unter idealen Bedingungen zu arbeiten.
Nächste Woche steigt der Supercup. Was erwarten Sie von Ihrer Mannschaft?
Zorc: Eine gute Leistung. Das Ergebnis hat ja in der Vergangenheit nie die ganz großen Rückschlüsse auf den Verlauf der Saison zugelassen, aber natürlich ist es ein Spiel mit besonderem Image, wenn es gegen die Bayern geht. Wir wollen natürlich im eigenen Stadion auch gewinnen. Dennoch ist das Spiel de facto Teil der Vorbereitung.