Dortmund. BVB-Trainer Thomas Tuchel spricht zwei Tage nach dem Attentat über die Erlebnisse im Bus und den Umgang damit in den kommenden Wochen.
- BVB-Trainer Thomas Tuchel spricht zwei Tage nach dem Attentat über die Erlebnisse im Bus
- Für ihn waren die Erlebnisse surreal
- Der Grad der Traumatisierung ist für den Dortmunder Trainer abhängig vom Sitzplatz im Bus
Der Tag nach dem Tag danach sieht nicht sehr gut aus. Thomas Tuchel trägt nicht wie sonst das Gelb seines Vereins, sondern einen grünen Pullover. Grün wie die Hoffnung. Hoffnung darauf, dass es ihm und all den anderen, denen widerfahren ist, was ihnen widerfahren ist, bald besser geht. Müde sieht er aus, leer der Blick. Fürs erste hat das mit besser fühlen nicht geklappt. "Für mich", sagt er, "ist heute der schlimmste Tag."
Zwei Tage nach dem Sprengstoffanschlag auf den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund wirkt der Trainer noch mitgenommener als zuvor. Er fühlt sich auch so. Und obwohl er sagt, dass es ihm schwer fällt, redet er darüber.
Er redet über die Sekunden nach dem Anschlag. "Das war surreal, aber man macht einfach weiter, versucht zu helfen, versucht zu verstehen. Man umarmt sich gegenseitig, versucht seine Familie anzurufen, um zu sagen, dass man sicher ist." Sekunden und Minuten, die niemand erleben will. Sekunden und Minuten, die möglicherweise psychologische Betreuung nötig machen werden. "Jeder geht damit anders um. Wir werden einen Experten hinzuziehen für solche Extremsituationen und jedem freistellen, dessen Dienste in Anspruch zu nehmen."
Traumatisierung abhängig vom Sitzplatz
Der Grad der Traumatisierung sei aber auch abhängig vom Sitzplatz im Bus, schilderte Tuchel. "Die, die auf der linken Busseite saßen, haben es anders wahrgenommen als die, die rechts saßen. Es gibt Spieler, die die Explosion gesehen haben, die gesehen haben, wie etwas auf sie zufliegt, die Bilder im Kopf haben." Tuchel saß rechts.
Doch er funktionierte weiter, weil er funktionieren musste. "Keiner wusste, was los war, und jeder machte das, was getan werden musste. Gestern habe ich die Welt wie durch Watte wahrgenommen. Deswegen ist heute der schlimmste Tag für mich."
Zur Mannschaft zu sprechen, sei ihm am Morgen schwer gefallen. Irgendwie fällt ihm gerade nichts so recht leicht. "Das ist so eine Wellenbewegung: Manchmal ist es weit entfernt und in anderen Momenten ist man sehr emotional und sieht alles wieder sehr realistisch vor sich. Dieser Zustand wird uns in den kommenden Tagen und Wochen weiter begleiten. Aber je mehr Zeit wir haben, desto besser werden wir damit umgehen können."
Tuchel redet von einem Zustand, der schwer zu beschreiben sei. Tuchel versucht es, aber er merkt, dass keines der Worte, das er benutzt, auch nur annähernd ausreicht, um zu transportieren, was da mit ihnen geschehen war. "Es ist ein riesiger Unterschied, etwas am Fernseher zu beobachten, es in der Realität zu beobachten oder Teil davon zu sein. Wahrscheinlich ist es eine Besonderheit, dass nur wir das teilen und verstehen können, manchmal sogar ohne Worte."
11. April wird Insassen verbinden
Der 11. April wird die Insassen dieses Busses ein Leben lang miteinander verbinden. "Jeder hat das recht, dass sich seine Tage jetzt gerade irgendwie komisch anfühlen. Jeder muss einen klaren Weg finden, um Normalität und Spaß wieder zu finden und Spiele wieder mit maximalem Ehrgeiz zu spielen, ohne zu denken, dass es vor dem Hintergrund der Ereignisse keinen Sinn macht sich anzustrengen." Das sei ein naheliegender Gedanke, aber auch einer, der nicht weiterhilft.
"Ich habe an die Mannschaft appelliert, nicht jedes Training und jedes Spiel in einen größeren Sinnzusammenhang zu stellen. Wenn wir jetzt darüber nachdenken, wie wichtig ein Fußballspiel ist, dann wir, dass die Antwort Nullkommanullnull ist im Vergleich zu werten wie Gesundheit, Sicherheit, Familie." Jeder kenne das doch, wenn man plötzlich krank sei und alle anderen Probleme, von denen man bis dahin dachte, dass sie eine Relevanz hätten - der störende Nachbar, der Chef -, plötzlich verblassen. Diese Gedanken permanent zu haben, davor will Tuchel sich und die Mannschaft bewahren.
"Wir wissen, dass Fußball nicht wichtig ist, aber wir müssen die Wertigkeit wieder so hinbekommen, dass wir uns trauen, uns zu konzentrieren und die Spiele mit einem Ehrgeiz anzugehen, die das beste aus dem Talent herausholt. Das werden wir am Samstag versuchen." Aber er sagt auch: "Du bist der beste Sportler, der du sein kannst, wenn du dir keine Sorgen machst. Aber das werden wir so schnell nicht hinbekommen."