Essen. BVB-Trainer Tuchel hatte nur Angst um seine Spieler und damit Angst um den Erfolg. Er muss so bleiben, wie er ist. Neu sind aber zwei Dinge an der Diskussion. Ein Kommentar.
- BVB-Trainer Tuchel hatte nur Angst um seine Spieler und damit Angst um den Erfolg
- Er muss so bleiben, wie er ist
- Neu sind aber zwei Dinge
Thomas Tuchel hat als Trainer von Borussia Dortmund das getan, was jeder gute Trainer für seine Mannschaft tun würde: Er hat seine Spieler in Schutz genommen und gegen eine zu brutale Spielweise von Gegnern gemosert. Auslöser war die Spielweise von Bayer Leverkusen vor zwei Wochen. Hat Tuchel übertrieben? Vielleicht. Sollte er deswegen schweigen? Ganz bestimmt nicht.
Seine Aussagen passierten teilweise aus einem Frustmoment heraus, teilweise aus Berechnung. Und übrigens hat Tuchel diese Kritik auch bei zwei vorherigen Spielen geäußert. Nach BVB-Siegen, daher ist niemand drauf angesprungen.
Kein Schiedsrichter in der Bundesliga wird Tuchels Worte vergessen, wenn es auf dem Platz zu harten Zweikämpfen kommt. Womöglich wird der eine oder andere Unparteiische früher als nötig zugunsten von BVB-Profis pfeifen — um sie zu schützen. Hertha-Trainer Dardai wusste das: Und pestete seinerseits dagegen, bevor er Freitag mit seiner Mannschaft in den Signal Iduna Park kam.
Neu sind zwei Dinge
Alles psychologische Kriegsführung. Alles normal, alles schon gewesen. Neu sind zwei Dinge.
Erstens: Dass in den Expertenrunden davor und danach tatsächlich über eine Regeländerung diskutiert wird, die die im Basketball üblichen Teamfouls vorsieht. Würde bedeuten: Hat eine Mannschaft die Marke von 20 Fouls erreicht, wird sie härter als normal bestraft.
Zweitens: Die Debatte wird persönlich. Im Sport1-Doppelpass am Sonntagmittag musste sich Tuchel aus der Expertenrunde den Vorwurf gefallen lassen, ein - so ist der Vorwurf wörtlich unter Beifall gefallen - „Jammerlappen“ zu sein. Fußball sei schließlich ein Männersport.
Beide Standpunkte drücken die Diskussion auf ein erbärmlich niedriges Niveau. Der Reihe nach.
Zum einen: Fußball und Basketball kann man nicht miteinander vergleichen. Die Zahl der Spieler, die Übersichtlichkeit des Spielfelds, die Dichte der Aktionen, die Komplexität bei der Darstellung von Statistiken, nicht zuletzt die Historie, dass Fußball betont unkompliziert bleiben soll: Man kann nicht das Regelwerk der einen Sportart auf die andere übertragen. Beim Fußball kommt es auf jedes Spiel an. Nach Anpfiff würden die Diskussionen auf die Zählweise hinauslaufen, ob der eine Tritt erst das 19. und nicht das 20. Foul war. Beim Fußball ist es schon schwierig genug, auf Tor oder nicht zu entscheiden. Wollen wir noch mehr Streitfälle?
Und nebenbei: Basketball ist kein „körperloses Spiel“, wie immer behauptet wird. Beim Basketball geht’s rüde zur Sache.
Zum anderen: Tuchel ist kein Jammerlappen. Tuchel hatte nur Angst um seine Spieler und damit Angst um den Erfolg, an dem er bei einem Spitzenklub wie Borussia Dortmund gemessen wird. Wenn ihn etwas stört, mag es auch emotional begründet sein, soll er’s halt sagen dürfen. Gottseidank gehört er zu den wenigen Trainern, die wesentlich mehr geschliffene Sätze zu sagen haben als „Das nächste Spiel ist das wichtigste“. Beleidigungen wie im Doppelpass dürfen nicht dazu führen, dass er keine Meinung mehr kundtut. Tuchel muss so bleiben, wie er ist. Und wenn man ihm widerspricht, wie wir es gelegentlich tun, dann in der Sache — und nicht gegen die Person.
Außerdem: Wenn Dardai behauptet, Fußball sei ein Männersport, dann ist das diskriminierend. Fußball spielen Frauen wie Kinder und Jugendliche gleichermaßen. Nur weil sich medial alles um die Bundesliga und die Nationalmannschaft dreht (ja, auch bei uns!), heißt das noch lange nicht, dass Fußball allein für Testosteron-Monster taugt. Fußball ist ein gesellschaftliches Phänomen, das Profi- und Amateursport einbezieht. Fußball ist wie das richtige Leben: Wer übertreibt, lernt die Grenzen aus dem Regelwerk kennen. Macho-Sprüche sind Unterhaltung. Aber taugen nur bedingt zur Versachlichung, Herr Dardai.
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