Dortmund. Im Exklusiv-Interview sprach BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke über Pokalduelle, Finalniederlagen - und die Hummels-Nachfolge.

  • Zum fünften Mal steht Geschäftsführer Watzke mit seinem BVB in einem großen Finale
  • Trotz aller Erfahrung: Auch beim BVB-Boss steigt das Kribbeln
  • Ein Exklusiv-Interview geht über Duelle, Niederlagen - und die Hummels-Nachfolge

Hans-Joachim Watzke hat eine gewisse Routine: Zum fünften Mal steht der Geschäftsführer mit Borussia Dortmund am Saisonende in einem großen Finale - am Samstag steht das DFB-Pokalfinale gegen den FC Bayern München an (20 Uhr, ARD, Sky und in unserem Ticker). Und trotz aller Erfahrung: Auch beim BVB-Boss steigt das Kribbeln. Ein Gespräch über große Siege und die Kunst des Verlierens.

Herr Watzke, welche Gefühle löst das Datum 12. Mai in Ihnen aus?

Hans-Joachim Watzke: Im ersten Moment gar nichts. Was war denn da?

Wirklich nicht? Der 12. Mai 2012?

Watzke: Ach, war das Finale an dem Tag? Ja gut, der Tag löst schon eine ganze Menge aus. Aber ich wusste nicht mehr, um welches Datum es sich handelte.

Wir hätten gewettet, dass Sie solche Daten immer griffbereit haben.

Watzke: Nein, bei mir ist das so, dass ich Erfolge relativ schnell verarbeite. Es nützt nichts, wenn man sich dann noch jahrelang auf die Schultern klopft. Drei Wochen später war das schon Geschichte, weil ich ja wusste, was darauf folgen würde. Denn dieses 5:2 war zu krass. Wir haben die Bayern damit ziemlich angestachelt, sie sind anschließend auch sehr stark ins Risiko gegangen – aber es hat wunderbar funktioniert. Sie haben ihre Mannschaft noch einmal dramatisch aufgerüstet.

War Ihnen das in dem Moment schon klar?

Watzke: Ja. Ich hatte vorher die Gesichter auf der Tribüne gesehen, und da hattest du das Gefühl, dass etwas Einschneidendes passiert war. Ich weiß gar nicht, wie viele Finals der FC Bayern schon gespielt hat, vermutlich um die 40, und sie haben noch nie mehr als zwei Gegentore kassiert. Und dann fünf? Und in einem Jahr wo wir auch noch Meister wurden? Seitdem haben sie ja ihre Personalanstrengungen unfassbar nach oben gefahren. Sie haben es sehr, sehr gut gemacht, keine Frage – aber man muss natürlich auch das Geld dafür haben.

Können Sie uns genauer beschreiben, wie die Herren auf der Tribüne geguckt haben?

Watzke: Nein, das ist nicht meine Art.

Sie waren zuletzt sehr oft in Berlin. Ist der Finalsieg von 2012 die intensivste Erinnerung?

Watzke: Ach, das weiß ich gar nicht. Ich bin rund um ein Spiel immer so tief im Tunnel, dass ich eigentlich gar nichts mitbekomme. Es ist wirklich schade, dass man im Nachhinein gar keine intensive Erinnerung hat. Zum Beispiel 2013 in London: Ich habe rund um das Champions-League-Finale überhaupt nichts erlebt, ich habe keine Impressionen. Du hängst nur im Hotel, ich bin dann im Grunde gar nicht kontaktwillig und kann keine Gespräche führen. Ich kann mich eigentlich immer nur an das Spiel erinnern. Deswegen weiß ich gar nicht, ob das 2012 so prägend war. Es war eine schöne Siegesfeier, das weiß ich noch.

Für die Spieler sind Titel ja das, was es ausmacht. Für Sie auch?

Watzke: Nein, nicht unbedingt. Ein Titel ist natürlich etwas Schönes, und wir haben ja Gott sei Dank schon ein paar geholt. Aber ein Titel ist nicht alles. Sonst könnten ja 15 oder 16 Klubs in der Bundesliga sofort das Spielen einstellen, weil es relativ unwahrscheinlich ist, so schnell einen zu holen. Insofern muss man das mal relativieren. Es gibt in Deutschland diesbezüglich eine Entwicklung, die mir nicht gefällt. Wir haben 18 Erstligisten, einer gewinnt den Titel, und bei uns fand man die Saison auch noch ganz in Ordnung. Vom Rest behauptet man vornehmlich, sie seien Verlierer. Das ist doch falsch!

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Warum?

Watzke: Es ist eine außergewöhnliche Leistung, wenn ein Klub wie Borussia Dortmund fünf Jahre lang ein Finale erreicht – egal, ob du es gewinnst oder verlierst. Ich möchte nicht wissen, wie viele andere in Deutschland glücklich wären, wenn sie in den letzten fünf Jahren jedes Jahr in einem Finale gestanden hätten, auch wenn sie davon ein paar verloren hätten. Denn so etwas schweißt auch den Klub zusammen, so etwas gibt dir gemeinsame Erlebnisse und kurbelt natürlich auch das ganze Geschäft an. Das alles wird mir immer zu knapp bewertet.

Aber es geht doch ums Gewinnen.

Watzke: Ja, aber wir müssen als Borussia Dortmund einfach zur Kenntnis nehmen, dass es den FC Bayern gibt – ob uns das passt oder nicht. Das ist einer der besten Vereine der Welt, mit Barcelona und Real Madrid mittlerweile auf einer Stufe. Das ist außergewöhnlich. Vielleicht sieht die Welt ja in 20 oder 30 Jahren ein wenig anders aus. Wir rücken ihnen seit zehn Jahren auf den Pelz – aber sie entfernen sich auch immer wieder von uns. Was zum Ergebnis hat, dass die Bayern immer noch den gleichen Abstand zu uns haben, aber sich beide auf einem viel höheren Niveau befinden. Damit müssen alle leben, das ist eben so.

Sie haben in den letzten drei Finalspielen Niederlagen erlebt. Wie schmerzhaft ist es, immer wieder so nah dran zu sein und dann doch mit leeren Händen dazustehen?

Watzke: Unterschiedlich schmerzhaft. London hat mir nicht nachhaltig und extrem wehgetan. Das Spiel ist in der 89. Minute entschieden worden. Ich hatte schon damals das Gefühl, dass uns eine leichte Ungerechtigkeit widerfahren ist mit dem nicht geahndeten Foul von Dante, der schon Gelb hatte. Das haben wir damals nicht thematisiert, das war auch wahrscheinlich richtig so. Aber ich hatte schon das Gefühl, dass wir etwas Großes geleistet haben. 2014 waren wir in der Verlängerung. Und auch nach der Niederlage war ich nicht deprimiert, da war ich eher enttäuscht und auch ein bisschen aufgebracht. Wir hätten dieses Finale wohl gewonnen. Jeder wusste: Wer das erste Tor schießt, gewinnt wahrscheinlich. Wir hatten das erste Tor geschossen – es wurde aber leider nicht gegeben. Deprimiert war ich letztes Jahr. Es war für mich keine Überraschung, dass wir im Endspiel nicht bereit waren, weil wir keine gute Saison gespielt hatten. Das war nicht der Anspruch von Borussia Dortmund. Und wir waren auch im Finale lange eher schwach.

Sind Sie ein guter Verlierer?

Watzke: Nein. Definitiv nicht. Ich tue nach außen so, aber nach innen ist das garantiert nicht so. Dennoch habe ich es immer geschafft, dem Gegner zu gratulieren, da kann ich mich dann zusammenreißen. Ich mache das dann anschließend ganz allein mit mir aus - und das dauert dann Tage. Nach ganz harten Niederlagen auch mal eine Woche.

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Wie sieht das dann aus?

Watzke: Ich isoliere mich. Nach solchen Misserfolgen oder Finalniederlagen suche ich nicht die Öffentlichkeit. Es ist für mich dann schon eine Qual, noch auf so eine Party zu gehen, aber man hat ja auch gewisse Verpflichtungen. In den Tagen danach bin ich nirgends zu sehen. Ich habe einmal eine Ausnahme gemacht: 2014 nach der Pokalniederlage hatte ich auch am Tag danach noch ein totales Gefühl des Zorns über das nicht gegebene Tor. Da wusste ich nachmittags nicht, was ich machen sollte, und mein Sohn spielte in der Nähe. Da habe ich gedacht: Da fährst du jetzt hin. Aber ich habe mich komplett verkleidet. Mit Kappe und Sonnenbrille. Dann habe ich mich irgendwo auf den obersten Tribünenrang gesetzt, ganz nach außen an die Eckfahne. Und das hat auch wunderbar funktioniert, es hat mich keiner erkannt.

Musste da extra noch ein Maskenbildner kommen?

Watzke: Nein. Mich hat auch so keiner erkannt, das war ganz gut.

Wenn Sie uns das Bild mal zur Verfügung stellen könnten...

Watzke: Ich habe kein Selfie gemacht, ich habe eine Selfie-Allergie.

So denkt Watzke über das Pokalfinale gegen den FC Bayern 

Das war schon immer so, dass Niederlagen Sie so mitgenommen haben?

Watzke: Wir haben als Kinder nicht oft verloren, weil wir eine außergewöhnlich gute Mannschaft hatten. Aber wenn wir verloren haben, habe ich so bis zum Alter von 14 zu Hause ab und an erst einmal eine halbe Stunde geflennt. Verlieren konnte ich definitiv noch nie gut.

Die großen Niederlagen, aber auch die großen Siege in den letzten Jahren, gab es fast immer gegen die Bayern...

Watzke: Das ist ja auch der Punkt, warum die Final-Bilanz scheinbar so schlecht aussieht. Wenn du gegen die Bayern spielst, hast du als Bundesligamannschaft in der Regel eh keine Chance. Borussia Dortmund hat immer eine Chance, aber sie ist natürlich nie über 50 Prozent, sondern relativ sicher darunter, weil Bayern einfach so stark ist. Aber wir haben die Chance, und irgendwann werden wir sie auch sicher wieder nutzen. Mein Gefühl ist, dass wir wieder dran sind.

Was macht Sie da so zuversichtlich?

Watzke: Das hat mit Zuversicht nichts zu tun. Irgendwann bist du wieder dran, das ist einfach normal. Die Mannschaften begegnen sich ja relativ häufig - aber man hat ja nicht das Gefühl, dass wir zehnmal hintereinander gegen die Bayern verlieren. Wir haben hier beim 0:0 in diesem Jahr ein hochklassiges Spiel gesehen, wir haben sie im letzten Jahr aus dem Halbfinale des DFB-Pokals befördert - obwohl sie eine überragende Saison gespielt haben und wir keine gute. In solchen Situationen kannst du erkennen: Es werden immer knappe Spiele sein. 2013 haben wir in der 89. Minute verloren, 2014 in der Verlängerung. Das wird jetzt auch in Berlin kein einfaches Ding für einen der Beteiligten.

Der Trainer macht sich nach den schwachen Auftritten gegen Frankfurt und Köln Sorgen. Sie auch?

Watzke: Ich hätte es an seiner Stelle auch so gemacht. Es war nicht so, dass er sich wirklich Sorgen gemacht hat, das war mehr ein Weckruf. Die Mannschaft hat eine enorme Qualität, aber wenn du drei Prozent nachlässt in deinen Bemühungen, können die anderen auch Fußball spielen. Dann verlierst du eben auch mal ein Spiel. Das wird natürlich am Samstag vollkommen anders sein. Das weiß der Trainer auch. Trotzdem war das richtig, denn insbesondere das Spiel gegen den 1. FC Köln kann nicht unser Anspruch sein. Wir waren in der Körperspannung einfach zu lasch.

Sie waren dieses Jahr wieder richtig auf Schlagdistanz zu den Bayern. Macht das Mut für das nächste Jahr?

Watzke: Wir haben ja immer ein Problem: Je näher wir rankommen, desto größer werden wieder die Versuche, uns irgendwelche Spieler zu entlocken. Das ist auch normal. Ich habe mich früher, als ich das Ganze noch emotionaler gesehen habe, mehr darüber aufgeregt als heute. Heute ist es einfach so, und ich weiß auch aus den vielen Gesprächen mit Mats Hummels, dass alleine die Stadt München, seine Heimat, das entscheidende Argument war. Nichtsdestotrotz wird er uns fehlen. Und wir müssen jetzt wieder kreativ sein, müssen wieder neue Lösungen finden, das hält natürlich immer ein bisschen auf.

Den Bayern steht ein Trainerwechsel bevor, den Sie schon erfolgreich bewältigt haben. Die Chance, mal wieder aufzuschließen, schien so gut wie nie. Und ausgerechnet dann wird so ein Eckpfeiler wie Hummels rausgebrochen.

Watzke: Ja, aber das ist ja nicht zu ändern. Pep Guardiola ist sicher ein Top-Trainer, aber Max Merkel hat mal in den Siebzigerjahren gesagt: Bei Bayern spielen Mozart und Beethoven in einer Band, da ist es fast egal, wer die Noten umblättert. Das ist natürlich sehr krass formuliert. Aber nichtsdestotrotz kann es ja bei einem Übergang von Guardiola zu Ancelotti nicht so einen Bruch geben, weil die Mannschaft eine Top-Mannschaft ist und bleibt. Da kannst du als Trainer gar nicht viel falsch machen – und Ancelotti ist ein ebenfalls ein guter Trainer. Von daher sollte man sich keine allzu großen Hoffnungen machen.

Sehen Sie den Wechsel von Mats Hummels als Niederlage?

Watzke: Im ersten Schritt natürlich schon, weil du alles versucht hast, ihn zu halten. Dann musst du aber umschalten. Dann musst du versuchen, daraus wieder einen Vorteil zu machen, indem du eine möglichst hohe Ablösesumme kriegst. Das ist uns gelungen, wenn man bedenkt, dass wir vermutlich die höchste Ablösesumme erzielt haben, die jemals innerhalb Europas für einen Spieler mit nur einem Jahr Vertragslaufzeit gezahlt worden ist. Insofern war das dann auch wieder in Ordnung. Trotzdem hätte ich Mats lieber hier gehabt, genau wie Michael Zorc und der Trainer. Aber ein gewisses Maß an Realismus muss man sich auch bewahren, irgendwann kommt man an so einen Punkt. Es sei denn, du bist Real Madrid, Barcelona oder der FC Bayern. Aber das sind wir nicht.

Sie verlieren einen außergewöhnlich guten Spieler, aber auch eine Identifikationsfigur, ein Gesicht des Dortmunder Projekts…

Watzke: Borussia Dortmund ist doch kein Projekt! Was Mats angeht: Achteinhalb Jahre sind im Fußball eine extrem lange Zeit. Du kannst nicht jeden Spieler bis 34 behalten, bis er dann karrieretechnisch so langsam der Sonne entgegenreitet. Jeder Klub hat Identifikationsfiguren, die irgendwann aufhören oder gehen. Das ist normal.

Und trotzdem müssen Sie die Lücke ja wieder schließen. Das stellen wir uns schwierig vor.

Watzke: Das ist immer schwierig. Aber darin haben wir ja schon eine gewisse Kernkompetenz. Wir mussten immer wieder Spieler ersetzen. Nuri Sahin war der Erste, der gegangen ist, dann haben wir Ilkay Gündogan geholt. Dann ist Shinji Kagawa gegangen, und wir haben Marco Reus geholt. Dann ist Lewi gegangen, den haben wir durch Auba ersetzt, Götze durch Mkhitaryan. Also im Prinzip hat es ja meistens funktioniert. Und es wird auch jetzt wieder funktionieren. Davon abgesehen: Wir haben nach wie vor eine Innenverteidigung mit Sokratis, Bender, Subotic und Ginter. Ich bin ziemlich sicher, wenn wir jetzt diese vier Innenverteidiger den anderen Bundesligisten zum Tausch mit ihren anbieten, dass außer den Bayern fast alle einschlagen. So groß ist das Problem also nicht.

Aber es geht ja nicht nur um das Sportliche, sondern auch um eine Leitfigur. Die müssen sie ja auch ersetzen.

Watzke: Das ist kein Problem. Ich glaube, dass Mats, so wie er als Kapitän aufgetreten ist, immer von einem Kollektiv umgeben wurde. Mats war nicht der Spieler, der das so dominant geprägt hat, dass alle anderen keine Luft mehr bekommen haben. Marco Reus ist sein Stellvertreter, aber speziell auch Sven Bender und Marcel Schmelzer haben in den vergangenen Monaten schon Kapitänsaufgaben mit übernommen.

Was ist auf dem Platz? Wenn es schlecht läuft und die Mannschaft jemanden braucht, an dem sie sich aufrichten kann. Mats Hummels hat diese Attitüde.

Watzke: Die hat er, absolut. Und jetzt müssen eben andere in diese Rolle schlüpfen. Aber ich sehe da schon Spieler, die das können. Nehmen Sie mal Julian Weigl, der ist gerade völlig zurecht zur Nationalmannschaft gestoßen. Das ist ein Spieler, dem ich in den kommenden Jahren genau so eine Rolle zutraue. Marcel Schmelzer hat einen unheimlich großen Stellenwert bei uns. Ich glaube nicht, dass es uns an Persönlichkeiten mangelt. Außerdem werden wir in die Richtung auch noch transfertechnisch ein bisschen etwas tun.

Das heißt, dass sie da auch auf eine gewisse Erfahrung achten? Bislang haben Sie für die kommende Saison sehr junge Spieler geholt.

Watzke: Ja, natürlich möchten wir einen funktionierenden Mix. Aber Sie dürfen eins nicht unterschätzen: Borussia Dortmund war immer ganz stark, wenn wir die Spieler selbst entwickelt haben. Als wir Mats von Bayern München aus der Amateurmannschaft geholt haben, hat hier auch keiner gesagt: 'Mein Gott, was für ein Transfer. Das wird Borussia Dortmund aber in den nächsten acht Jahren zu allen Erfolgen dieser Welt führen.'

Wir meinen, bei uns hätte so etwas gestanden…

Watzke: (grinst) Da bin ich mir nicht so ganz sicher. Wir können nicht nur Spieler auf Weltklasseniveau verpflichten, denn da sind andere da. Und nicht nur die Bayern. Wir müssen auch Spieler verpflichten, bei denen wir das Gefühl haben, wir können sie auf Weltklasse-Niveau heben. Wie Aubameyang, wie Mkhitaryan, die kannte hier auch kein Mensch. Jetzt kennt sie jeder. Als nächstes vielleicht Dembélé, obwohl man den Jungen nicht mit Erwartungen überfrachten sollte. Weigl! Vor einem Jahr hat kein Mensch Notiz von ihm genommen. Das ist unser Weg.

Hier verrät Watzke, ob der BVB Varane von Real Madrid verpflichten kann 

Das heißt, ein Name wie Varane ist großer Unsinn?

Watzke: Ach! (schüttelt den Kopf) Mein Freund Florentino Perez müsste doch mit dem Klammerbeutel gepudert sein, einen Varane abzugeben. Pepe ist 33 Jahre alt, Varane ist zehn Jahre jünger. Eines der größten, nun ja, Talente kann man ja schon gar nicht mehr sagen. Der ausersehene Nachfolger von Pepe in Santiago Bernabeu. Und dann kommen wir und sagen: Junge, du kommst zu Borussia Dortmund? Ich wundere mich manchmal wirklich über die Einschätzung von verschiedenen Leuten.

Sie haben ja kürzlich in den Ruhr Nachrichten gesagt, es gebe keine Denkverbote…

Watzke: Ja natürlich, aber das heißt nicht, dass man komplett unrealistisch wird. Dann können Sie genauso gut fragen: Warum holen die nicht Piqué von Barcelona?

Also bleibt es dabei, dass die Spieler bei den europäischen Topklubs so viel Geld verdienen, dass man die nicht nach Dortmund kriegt?

Watzke: Geld ist nicht das Thema. Aber warum soll einer, der bei Real Madrid der definitive Innenverteidiger der nächsten fünf Jahre sein wird, zu Borussia Dortmund gehen? Das ist eine Frage der Logik, keine finanzielle. Er hat in dem Verein einen Riesenstellenwert. Genauso, wie ein Jerome Boateng nicht zu Borussia Dortmund wechseln würde. Es gibt einfach ein paar Dinge, die total unsinnig sind.

Aber der BVB ist schuldenfrei, Stadion und Geschäftsstelle sind abbezahlt – Sie können also einiges Geld in die Mannschaft pumpen.

Watzke: Machen wir auch, und zwar nicht zu knapp. 2011 hatten wir noch ein Gehaltsbudget von 38 Millionen. Und für die kommende Saison planen wir mit deutlich über 100 Millionen. Innerhalb von fünf Jahren ist das ein deutlicher Unterschied. In der Bundesliga kann da noch Wolfsburg mithalten, Schalke hält zumindest mit – aber dann wird es für die anderen schon etwas schwieriger. Doch der Abstand zu den Bayern liegt immer noch bei 80 bis 100 Millionen Gehaltsbudget. Und das wird sich auch nicht ändern. Aber wir erwirtschaften jedes Jahr viel Geld – und wir haben ja noch mehr Ziele, wollen weiterhin wachsen. Ohne aber unser Markenversprechen zu verändern, ohne unsere Vereinsphilosophie zu verändern.

Dann sind Sie aber mit dem Erreichen der 100 Millionen Euro Personalkosten früher dran als ursprünglich gedacht, oder?

Hans-Joachim Watzke (l.) im Gespräch mit unseren Reportern Daniel Berg (Mitte) und Sebastian Weßling (r.).
Hans-Joachim Watzke (l.) im Gespräch mit unseren Reportern Daniel Berg (Mitte) und Sebastian Weßling (r.). © Ralf Rottmann / FUNKE Foto Services

Watzke: Nein, das war schon geplant. Das werden wir sogar in dieser Saison schon erreichen, weil wir viele Punktprämien bezahlt haben. Aber das ist mir lieber, als wenn du auf dieser Seite sparst. Wir sind Zweiter, wir sind im Pokalfinale, wir haben auch in der Europa League viele Spiele gemacht – dementsprechend schütten wir sehr viel an die Spieler aus. Dieses Jahr schon über 100 Millionen und nächstes Jahr noch etwas mehr.

Dennoch geht die Steigerung jetzt sehr schnell voran.

Watzke: Wir orientieren uns an dem, was wir einnehmen. Und wenn wir per Ad-hoc-Mitteilung verkünden, dass wir in diesem Jahr einen achtstelligen Gewinn machen, können sie davon ausgehen, dass die Personalkosten da schon berücksichtigt waren. Und dann war das Geld ja offensichtlich da.

Sie haben finanziell schon bemerkenswert früh Planungssicherheit für die kommende Saison gehabt, die Champions-League-Qualifikation stand sehr früh fest. Aber die Personalplanung hakt an ein paar Personalien, wie etwa Gündogan oder Mkhitaryan. Wann wollen Sie da Klarheit haben?

Watzke: Wir haben ein klares Konzept in jede Richtung. Wir wissen, was auf uns zukommt, was wir wollen, und das arbeiten wir jetzt in den kommenden Wochen ab. Michael Zorc hat da sehr, sehr gute Arbeit geleistet und sehr viele Handlungsoptionen aufgezeigt.

Wollen Sie uns teilhaben lassen?

Watzke: Nein, will ich nicht.

Vielleicht schon mit ein paar Zitaten zur Vertragsverlängerung von Mkhitaryan?

Watzke: Ach, da läuft die Diskussion in eine komplett andere Richtung. Ich habe gesagt, dass wir in dieser Saison definitiv nicht drei Spieler verlieren werden. Und dass sein Vertrag bis 2017 läuft, geht ein bisschen unter in der Diskussion, daher sehe ich das ohnehin entspannt. Aber wir hoffen natürlich, dass er sich langfristig zu Borussia Dortmund bekennt – warten wir mal ab. Aber wir wissen auch schon, wen wir noch holen möchten.

Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, das zu verraten.

Watzke: Dass habe ich mir gedacht, aber das bekommen Sie natürlich nicht exklusiv. Wir legen ja immer großen Wert darauf, dass wir das erst sagen, wenn es fix ist.

Und wie sieht das Anforderungsprofil aus?

Watzke: Das hängt von der Position ab.

Man hört, dass Real Madrid richtig Ernst machen wolle bei Aubameyang. Können die sich den Anruf sparen?

Watzke: Die werden nicht anrufen.

Weil sie wissen, dass es zwecklos ist?

Watzke: Nein. Ich muss dazu nichts weiter sagen. Nur, dass sie nicht anrufen werden.

Sie haben beim Audi Star Talk gesagt, wenn Mario Götze auf dem Markt wäre, wäre es unklug, sich nicht mit ihm zu beschäftigen.

Watzke: Ja, das gilt auch heute noch. Aber er ist Stand heute nicht auf dem Markt.

Aber offenbar hat ja sein zukünftiger Trainer ihm mitgeteilt, dass er nicht mehr mit ihm plant.

Watzke: Das habe ich auch gelesen, ich weiß aber nicht, ob es stimmt. Nicht alles, was aus dem Süden der Republik kommt, muss zwangsläufig stimmen.

Es ist aber auch nicht immer alles falsch.

Watzke: Stimmt, nicht alles. Für mich ist nur entscheidend, dass Mario bei den Bayern bis 2017 unter Vertrag steht. Und ich maße mir nicht an, über Spieler des FC Bayern zu philosophieren.

Machen sie in München doch auch manchmal.

Watzke: Ja, und dann kritisiere ich es auch.

Was Watzke über seinen 2019 auslaufenden Vertrag sagt 

Was ist mit Ihnen selbst? Ihr Vertrag läuft bis 2019…

Watzke: Mein emotionaler Vertrag mit Borussia Dortmund läuft lebenslang. Das ist mein Verein, und ich werde ihn niemals mehr wechseln. Ich hatte zwischendurch sicherlich auch mal die Gelegenheit.

Was für eine Gelegenheit war das?

Watzke: Das behalte ich für mich. Aber das war nie wirklich ein Thema, denn das hier ist mein Verein. Ich lebe ihn, ich liebe ihn - und ich könnte für keinen anderen Verein arbeiten. Denn du brauchst ja für deinen Verein auch immer eine gewisse Motivation und eine gewisse Emotion. Ich könnte für keinen anderen Verein Emotionen entwickeln. Dafür bin ich nicht der Typ. Vielleicht bin ich da auch einen Tick zu romantisch veranlagt, aber jetzt nach 15 oder 20 Jahren nochmal woanders hinzugehen, das wäre bei mir nicht drin, das geht in meinem Fall nicht.

Aber wenn man das jetzt auf Ihre Position als Vorsitzender der Geschäftsführung bezieht: Gibt es schon Planspiele, wie es über 2019 hinaus weitergeht?

Watzke: Nein. Ich weiß nur, dass ich niemals in der Öffentlichkeit sagen würde: Dann und dann ist Schluss. Dann schwächst du deine Position. Aber das ist für mich auch nicht das entscheidende Thema. Mein Thema ist: Wie kannst du Borussia Dortmund voranbringen? Und da ich ohnehin vorhabe, jedes Spiel von Borussia Dortmund in den nächsten 20 Jahren zu sehen, macht es auch so viel nicht aus (lacht). Ich habe noch dreieinhalb Jahre Vertrag, das ist extrem lang. Wenn ich sehe, wer in der Zwischenzeit alles geflogen ist, seit ich angetreten bin - da bin ich ja schon fast ein Fossil.

Sie haben ja gesagt, sie sind Fußball-Romantiker. Das muss man sich doch als Vereinsverantwortlicher auch ein Stück weit abgewöhnen, oder?

Watzke: Ja, du musst lernen. Und in den elfeinhalb Jahren habe ich schon gelernt, meine romantischen Anwandlungen immer so hinzukriegen, dass ich ein gewisses Maß an Realismus einhalten konnte. Mit "romantisch" meine ich auch nur dieses Gefühl, dass eine Mannschaft, wenn sie zusammenhält, erfolgreicher ist, als wenn es nicht so ist. Diese Art Fußball zu denken und zu leben, will ich mir nicht nehmen lassen. Ich war vor ein paar Tagen zum Beispiel in der Dreifaltigkeitskirche am Borsigplatz, im ökumenischen Gottesdienst. Da waren bestimmt 400 BVB-Fans, alles ganz kreuzbrave, anständige Menschen. Das hat mir wahnsinnig viel Kraft gegeben. So etwas meine ich mit "Romantik". Wenn ich mit Karl-Heinz Rummenigge über irgendwelche Dinge spreche, die die Bayern und uns angehen, bin ich nicht romantisch, da braucht sich auch keiner Sorgen zu machen.

Nicht nur Sie müssen täglich einen Spagat bewältigen, sondern auch der Klub: einerseits ein Wirtschaftsunternehmen mit dem Streben nach maximalem Erfolg und Ertrag zu sein, ohne andererseits seine Tradition und Wurzeln zu vernachlässigen.

Watzke: Absolut, das ist immer ein Spagat. Es gibt immer einen Zielkonflikt. Ich glaube aber, dass es gut ist, wenn man noch weiß und wahrnimmt, dass es den gibt. Und ich glaube, dass sich die Menschen, die das ein bisschen kritischer sehen, trotzdem ganz gut bei uns aufgehoben fühlen. Weil die auch wissen, dass wir diesen Spagat kennen und versuchen, ihn für alle Beteiligten gut zu bewältigen. Vom strategischen Investor bis zu unserer aktiven Fanszene – das ist schon ein ganz schöner Bogen, den wir da spannen müssen beim BVB, inklusive Aktionären, Aktionärsschützern und vielen mehr. Ich glaube, dass immer eine Seite das Gefühl haben wird, dass sie gerade zu kurz kommt. Aber wichtig ist, dass es Leite gibt, die wissen, dass es immer ein Interessenausgleich ist. Ich kann mich gar nicht auf eine Seite schlagen, denn dann würde das ganze Gebilde zusammenstürzen.

BVB-Chef Watzke über sein Verhältnis zu Uli Hoeneß 

Sie haben Ihr Unternehmen aus dem Nichts zu einem großen Unternehmen gemacht, auch den BVB wieder nach oben geführt. Sie sind ja durchaus das Gewinnen...

Watzke: …gewohnt, ja. Aber ich kenne auch immer meine Grenzen. Es gibt ja nicht mehr viele Grenzen. Als wir angefangen haben, standen wir im europäischen Ranking ziemlich weit hinten. Jetzt sind wir auf dem achten Platz. Unter den Top Ten Europas. Und wir sind derjenige in diesem Umfeld mit den wenigsten finanziellen Möglichkeiten. Gemeinsam mit Benfica Lissabon. Aber nichtsdestotrotz haben wir das seit Jahren geschafft, und es wird ja nicht schlechter, das ist schon eine Bestätigung. Aber zu wissen, dass du von allen Klubs in Europa die Nummer acht bist, ist ja schonmal cool. Natürlich würde ich gerne ein bisschen höher rutschen, das ist auch das Ziel, keine Frage. Aber Real Madrid, Barcelona, Bayern München, das sind alles 50 Jahre lang gewachsene Institutionen, die alle in Metropolen beheimatet sind. Wir haben das Problem, dass wir in den Neunzigerjahren wirtschaftlich komplett die Balance verloren haben. Über einen Zeitraum von sechs bis zehn Jahren waren wir völlig raus. Und das gibt es bei Real Madrid, Barcelona und Bayern München nicht. Diese Zeit holst du auch nicht so schnell wieder auf.

Sie haben die Metropolen angesprochen. Wie wichtig ist so ein Standortfaktor noch in einer globalisierten Welt?

Watzke: Elementar. Schauen Sie sich mal die Tourismuszahlen von Madrid, Barcelona, München und Dortmund an. Da werden Sie relativ ernüchternde Fakten sehen. Wenn ich weiß, dass die Bayern bei einem einzigen Oktoberfest mehr Trikots verkaufen als zwei andere traditionsreiche Erstligisten im ganzen Jahr zusammen, dann weiß ich, was so ein Metropolstandort ausmacht. Zumal in Bayern ja auch in seltener Harmonie seit 50 Jahren die komplette Landespolitik und der FC Bayern in eine Richtung marschieren. Das ist ja in NRW nicht der Fall. Das geht hier auch gar nicht, dafür gibt es einfach zu viele große, veritable Klubs in der Region.

Wo wir gerade von Bayern München reden: Hatten Sie eigentlich schon wieder Kontakt zu Uli Hoeneß?

Watzke: Ich hatte immer Kontakt zu ihm, ich habe das nur nie an die große Glocke gehängt und werde das auch weiterhin nicht tun. Wenn Sie darauf anspielen, dass ich ihn "Edelfan" genannt habe: Das war überpointiert, aber damit sollte in einer für uns schwierigen Situation verdeutlicht werden, wie die Lage ist. Ich glaube, dass wir beide eine Beziehung haben, die sturmerprobt ist – und er hätte definitiv das Gleiche mit mir gemacht. Wenn ich mich ohne eine Funktion beim BVB zu haben, in dieser Weise über einen Spieler des FC Bayern geäußert hätte, und am nächsten Tag wären 5000 oder 6000 Leute in der Allianz Arena emotional...sagen wir mal...sehr gereizt gewesen, dann hätten wir nicht lange auf seine Reaktion warten müssen.